Die Bundesregierung will, dass alle am Aufschwung teilhaben, hat sie nach ihrer Klausur im brandenburgischen Meseberg mitgeteilt. Wie das geschehen soll, blieb weitgehend offen. Zugleich wurde ein "integrales Konzept der Klima- und Energiepolitik" verabschiedet, das schon vorab nicht allein bei der Opposition auf Kritik und Skepsis gestoßen war.
In Meseberg ist Dorffest. Polittheater war gestern. Nun ist man wieder unter sich, trinkt Kaffee oder ein Bierchen. Die Frauen haben Kuchen gebacken. Es gab einen schönen Umzug durchs Dorf und ein Fußballspiel. Dann ist Tauziehen und danach Tanz.
Am Sonntag nach der Klausur ist alles wie immer. Nichts hat sich geändert. "Was hat das Schloss mit uns zu tun, außer dass es hier steht." Horst Strahl macht sich keine Illusionen. "Im Grunde genommen geht das, was im Schloss läuft, an unserem Leben vorbei. Wir können krähen, was wir wollen, die hör´n doch nicht auf uns." Seine Frau stößt ihn sachte an. Red nicht soviel, soll das heißen und bedeuten, dass man in Meseberg doch ein bisschen auf das Schloss hofft. Dass von seinem Glanz ein wenig auf die Gegend fällt. Vielleicht passiert eine schöne Geschichte, in der alles gut wird oder doch wenigstens etwas besser. In der es Arbeit gibt und weniger arme Leute. In der am Ende steht, dass sie glücklich und zufrieden leben können.
Was denken Sie denn?
Am 23. August reisen die Kanzlerin und das Kabinett zur Klausur nach Meseberg ins Gästehaus der Bundesregierung. Zum Erbsenzählen und Weichenstellen "für ein zukunftsfähiges Deutschland für die nächsten Jahre und Jahrzehnte", wird die Kanzlerin später sagen und dabei ganz sicher nicht die regionale Realität im Sinn haben, zu der Meseberg als Ortsteil der Stadt Gransee gehört.
Weiß und cremefarben und mit vergoldeten Türmchen strahlt das Barockschloss am Ende der Dorfstraße. Es sieht sehr schön aus und soll auch innen hübsch anzusehen sein. "Na, was denken Sie denn", sagt Frau Auer. Sie wohnt jetzt an der Dorfstraße, nicht mehr wie früher im Schloss. Da über dem Portal, wo jetzt Frau Merkel ihre Suite hat - genau dort hat sie jahrelang gewohnt. Als die Kanzlerin im Juli alle 173 Meseberger zum Einstand ins Schloss geladen hatte, wollte die ehemalige Schlossbewohnerin Auer in ihre einstige gute Stube gucken. Das ging nicht mehr, "na, was denken Sie denn". Überhaupt war so gut wie nichts mehr wieder zu erkennen.
Mehrere Generationen Meseberger sind im Schloss in den Kindergarten gegangen, zur Schule, in den Konsum, in die Gemeindebibliothek, in die Gaststätte oder zu allerlei Feiereien der LPG, die unten ihre Küche hatte. Seit der Bodenreform enteignet - die Vorbesitzer hatten allen Grund, in den Westen zu gehen -, war das Schloss Volkseigentum und wurde entsprechend genutzt. Unten am See war der Badesteg. Anfang der achtziger Jahre übernahm die Akademie der Wissenschaften das Gebäude und plante eine Begegnungsstätte. Die bis dahin im Schloss wohnenden Familien erhielten im Dorf neue Häuser. Nun wurde sogar das Schlossdach gedeckt, aber 1990 war Schluss. "Na, was denken Sie denn", sagt Frau Auer. Es kamen richtige Herren. Mit Schlössern ging man jetzt anders um. Meseberg gelangte 1993 "in die Obhut des Finanzministeriums von Brandenburg" und später der Messerschmitt-Stiftung, heißt es in einer Broschüre.
Die Restaurierung hat Jahre und Millionen gekostet. "Die Messerschmitts", wie Frau Auer nachbarschaftlich verkürzt die Stiftung nennt - also, die haben nicht gegeizt. Diese größte private Denkmalschutz-Stiftung - von dem Flugzeugkonstrukteur und Unternehmer Messerschmitt 1969 vermutlich auch mit dem Vermögen gegründet, das er im II. Weltkrieg dank vieler Zwangsarbeiter erwirtschaften konnte - investierte 25 Millionen Euro ins Schloss, 13 Millionen gab die Bundesregierung für Sicherheits- und Kommunikationstechnik dazu. Es hat sich gelohnt, man kann sich nun in Meseberg sehen lassen.
Ursula Tesewitz steht mit anderen Frauen aus dem Dorf hinter dem Kaffee-und-Kuchen-Tisch. Sie sind zufrieden mit dem Fest. Arbeit ist für die meisten ein Lebenselixier. Schon immer, sagt Frau Tesewitz. "Früher war nicht einer arbeitslos hier. Man hat gearbeitet und Spaß gehabt. Jetzt ist jeder für sich." Ihre Erfahrung: Ohne Arbeit geht das Leben weg. Die Leute verkriechen sich. "Auf der Klausur haben die von Zukunft gesprochen. Welche Zukunft denn. Hier ist keine Zukunft", mischt sich Herr Auer ins Gespräch und zeichnet mit dem Arm einen Kreis bis zum Horizont. Er meint Gransee. Er meint Brandenburg, er meint das ganze Land.
In der Kleiderkammer
Bundesweit leben 2,6 Millionen Kinder und Jugendliche durch Hartz IV unterhalb der Armutsgrenze. Im Land Brandenburg sind es 70.000 unter 15 Jahren. 2.000 Schüler haben das Busgeld für den Schulweg nicht. Mittlerweile gibt es Elterninitiativen, die für ärmere Kinder Schulbrote schmieren. Vielleicht ist mancher Mangel selbst verschuldet, vielleicht hilft ein Antrag auf soziale Unterstützung - vielleicht aber wollen manche Eltern oder Jugendliche nicht immer bitten und betteln und erklären, warum sie arm sind.
Vielleicht wollen sie den Artikel 1 des Grundgesetzes einlösen. Die Würde des Menschen ist unantastbar. In der Kleiderkammer in Gransee allerdings nicht. Dabei ist alles so gut gemeint. Das teuerste Stück kostet drei Euro und ist ein Mantel. Christa Gnutzmann sagt, teurer dürfen die Sachen nicht sein. "Die wirklich nichts haben, kriegen die Sachen auch umsonst. Gegen einen Bekleidungsschein vom Sozialamt. Oder wer viel Kinder hat. Die haben einen Zettel vom Jugendamt oder vom Amt für Grundsicherung." Christa Gnutzmann ist seit sechs Jahren dabei. Am Anfang als Arbeitslose, dann habe sie sich hochgearbeitet und sei nun fest angestellt. Manche Kundschaft wird im Laufe der Zeit zu einer Bekanntschaft. "Erst kommt die Mama mit Bauch, dann mit Kinderwagen, dann laufen die Kinder - und ich sehe sie hier groß werden." Es ist das Leben der anderen. Zukunft, die keine ist. Bis zum Schloss sind es sieben Kilometer.
Natürlich möchte die junge Frau ihren Namen nicht nennen. Auch nicht die ihrer beiden Kinder. Ja, sie kennt die Kleiderkammer. KaDeWe in Gransee, würden manche dazu sagen. Sie aber nicht. Sie holt sich da manchmal Sachen. Wenn es gar nicht anders geht. Sie ist gelernte Verkäuferin, arbeitslos, Hartz IV und keine Chancen. Für Gransee und umliegende Ortschaften (ehemaliger Altkreis) weist die Statistik insgesamt 4.137 Arbeitslose aus, davon beziehen 1.076 Bürger ALG I und 3.061 erhalten Hartz IV. Das war der Stand zum 31. Juli 2007. Offene Stellen gibt es 477.
"Wir wollen den Aufschwung stärken und niemand zurücklassen." Die Kanzlerin sagt es zum Abschluss der Klausur im Schloss.
Alois Demuth, der ehrenamtliche Ortsbürgermeister, hat die Botschaft gehört. Aufschwung könnten Meseberg und die ganze Gegend gut gebrauchen. Tourismus wäre gut. "Denn große Objekte haben wir nicht mehr. Industrie auch nicht. Von der LPG ist die Agrar GmbH geblieben." Arbeit für elf Leute. Die Meseberger Arbeitslosen stecken in der großen Zahl 4.137 mit drin. Genauso die "Hartz-Vierer und Ein-Euro-Jobber, die im Wald arbeiten". Das bedrückt die nicht, sagt Alois Demuth und zeigt zum Schloss.
Bei Ursula Tesewitz ist der Kuchen inzwischen verkauft. Zeit zum Erzählen. Einige Meseberger haben das große Los gezogen. Ihre Tochter gehört dazu. Sie haben Arbeit. Denn wo ein Schloss ist, bleibt immer was zu tun. Es soll ja schön bleiben. Im Garten ist zu tun. Das muss doch einer machen. Und so kommt es, dass ein Mann als Hausmeister und sechs Frauen als Gärtnerinnen und Putzkräfte jeden Tag in Richtung Schloss ziehen. "Und wenn die Obrigkeit kommt, dann tragen sie die Taschen ins Zimmer. Und sie kriegen schönes Geld", sagt Frau Tesewitz. "Aber draußen dürfen sie nichts erzählen." Das Schloss geht das Dorf nichts an.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.