Herzlich willkommen in Deutschland

BAD LIEBENWERDA IST INS GEREDE GEKOMMEN Einer der Täter von Dessau hat hier gelebt - aber keiner will das glauben

Liebenwerda hat noch einmal Glück gehabt. Das ist die Geschichte. Keiner weiß den Anfang, und ein Ende hat sie auch nicht. Passieren kann sie überall.

Bad Liebenwerda also. Es gibt gute Gründe, dorthin zu fahren und jetzt einen schlechten dazu. Einer der Mörder des Mosambikaners Alberto Adriano kommt aus Bad Liebenwerda. Inzwischen ist das Urteil über ihn gesprochen. Die Reden sind gehalten, die Kränze gelegt, und der Schrecken versickert langsam im Sumpf neuer Meldungen. Aber Enrico H. hat diese Spur gelegt. Schnell entsteht Verdacht. Mindestens aber Neugier: Was ist das für eine Stadt, wie denken die Leute, haben die denn nichts gemerkt?

Die Kleinstadt an der Schwarzen Elster im Süden Brandenburgs ist nun wirklich ein freundlicher Ort. Sauber und gepflegt. Gemütlich. Wahrscheinlich kennt hier jeder jeden. Das gibt Halt und Zusammenhalt - ein Klima der Ordnung und Beschaulichkeit So sieht es jedenfalls aus. Die Stadt ist soweit im Gleichgewicht. Und keiner hat sich wirklich Sorgen gemacht: Rechte in unserer Stadt? Eigentlich nicht vorstellbar. Es passt nicht rein in das Gefüge des Ortes. Ist unanständig, gehört sich einfach nicht.

Der Mord in Dessau löst auch in der Kurstadt Entsetzen aus. Dass der Täter Enrico H. aus Bad Liebenwerda ist, will keiner glauben. Die Ordnung wankt, Gemütlichkeit hört auf. Wer ist das? Wo kommt der her? Kenn' ich den? Plötzlich ist alles ganz nah: Mölln, Solingen, Hoyerswerda, Guben - nun auch Bad Liebenwerda? Pfarrer Thomas Meißner erinnert sich, dass seine erste Reaktion auch Abwehr war. Es gibt in der Stadt keine rechte Szene, hier laufen keine Glatzen rum und schreien Heil. Das gibt es nicht. Er beschreibt das Gefühl der Hilflosigkeit: Was tue ich als Bürger der Stadt, was kann ich tun? Er will in der Jugendgruppe darüber reden. Vielleicht spricht er über das Lebensgefühl im Osten, über den Zusammenhang von Perspektivlosigkeit und Werteverlusten, über die Herausbildung ethischer Grundlagen in der Kindheit der Kinder. Diese latente Fremdenfeindlichkeit bedrückt ihn. Der offene Hass macht auch Angst, nicht physisch. Jederzeit würde er eingreifen. Er meint den Abgrund an Menschenverachtung und Intoleranz. Da werden Afrikaner aus der Straßenbahn gerempelt - und die war voller Leute. Schüler aus Hongkong, die in seiner Familie zu Gast waren, wurden auf dem Schulweg offen beschimpft - und der Vater des Krakeelers stellte sich schützend vor seinen Sprössling. Thomas Meißner ist sich sicher, dass seine Jugendgruppe auf Tat und Täter nur mit Abscheu reagiert - und mit Fragen. Das wäre ein guter Anfang für Zivilcourage: Nachdenken über die alltäglichen Grenzüberschreitungen. Nachdenken übrigens auch über Reaktionen in der Stadt, als sich herausstellte, dass Enrico H. im Ortsteil Burxdorf gewohnt hat. Die Erleichterung: Ach so, der ist aus Burxdorf, nicht aus der Stadt, und sowieso aus Cottbus zugezogen. Gottseidank, keiner von uns. Das macht es nicht besser, aber wahrscheinlich leichter für manche. Wegsehen noch im Nachhinein

"Zwei gottverdammte Jahre hat der hier gelebt." Franka Heide ist fassungslos und zornig. "Burxdorf gehört zu Liebenwerda. Das kann ich nicht zur Seite schieben. Aber ich hab das nicht für möglich gehalten, dass das hier unter uns ist". Wir treffen uns im Regenbogenhaus, dem Freizeitzentrum für Kinder und Jugendliche. Die junge Frau - Jugendpflegerin von Bad Liebenwerda und Leiterin des Freizeitzentrums - glaubt nicht, dass sich irgendwer mit Enrico H. auseinandergesetzt hat, vor der Tat. Sie selbst war fest überzeugt, dass Rechte nicht Fuß fassen können in der Stadt - und sie ist es noch, jedenfalls davon, dass Bürger sich dagegen wehren. Die Chancen für langfristige präventive Jugendarbeit sind gut. Immerhin finanziert die Kommune unter anderem elf Jugendclubs, das Freizeitzentrum, das Schwimmbad, die Bibliothek, das Kinderferienlager. Alles kein Grund, sich beruhigt zurückzulehnen, keine Garantie. Aber eine Möglichkeit.

Markttag. Der Brunnen plätschert. Vom Hähnchengrill weht Bratenduft. Stände mit Pantoffeln, Kleidung, Krimskrams für eine Mark. Geschäftsgespräch über ein seidenes Tuch. Die Händler sind gelassen. Inder und Pakistani winken und lächeln. Drei Vietnamesen machen eine Zigarettenpause. Sie lächeln ebenfalls. Einer fragt nach der Zeitung. Aha, aus Berlin. Nein, sie sind nicht aus Bad Liebenwerda, sie wohnen außerhalb. Einer lebt seit 1988 hier, hat im Stahlwerk Gröditz gearbeitet. Gute Arbeit, ist aber weg. Und jetzt? Alles Okay. Angst vor Angriffen? Lächeln, Schweigen, Schulterzucken. Nachfrage - keine Antwort. Einer geht weg. Der zweite verschränkt die Arme bis an die Schultern, der dritte betrachtet die Luft. Der Brunnen plätschert. Seine Inschrift teilt ewig Gültiges und ziemlich Aktuelles mit. "Mein Quell rauscht über alle Zeiten. Ich sah die Stadt in Glück und Not. Was sich die Menschen selbst bereiten, das ernten sie - Sturm oder Brot." Vom Kirchturm schlägt die Stunde. Dann beugt sich ein Vietnamese vor und sagt: Deutschland gut. Nazis schlecht. Und Schluss. Mehr werden sie nicht sagen.

Im Zeitungsladen gegenüber ist man einem Schwatz nicht abgeneigt. Aber keine Namen, na gut, den Anfangsbuchstaben. Zwischen Lottotipp und Zeitungskauf wird über einen Mord geredet. Alle sind sich einig: Harte Strafen für diese Täter. Wo kommen wir sonst hin. Frau S., 32 Jahre, kann Ausländerfeindlichkeit nicht verstehen. "Wenn ich das schon höre: Ausländer nehmen die Arbeit weg. Stimmt vorn und hinten nicht. Sieht man doch in der Stadt. Da müsste es einfach mal mehr Aufklärung geben. Wie in Ostzeiten. In der Schule geht das los, mit Geschichte und was die Nazis getrieben haben." Frau H., 68 Jahre:"Ehrlich gesagt, ich will eigentlich lieber nichts sagen. Ausländer gut und schön. In Talkshows sind sie die größten. Nur, ich weiß nicht ... was soll ich dazu sagen ..." Herr P., 36 Jahre:" Traurig, dass es überhaupt so weit gekommen ist Ja, woran liegt das? Jedenfalls soll'n die von drüben nicht so tun, als wäre es uns in die Wiege gelegt worden. Rechtsradikale sind überall. Im Internet, auf Videos, CDs, Plakaten, Aufmärschen. In Liebenwerda - nein, das glaub ich nicht. Es sind nur wenig Ausländer hier". Frau F., 46 Jahre, hat es eilig: "Ich hab mir noch keine Gedanken gemacht. Mein Junge ist nicht so, der ist ganz vernünftig."

Meinungen auf die Schnelle. Nachdenken und Gleichgültigkeit. Normalität, bis etwas passiert. Herzlich willkommen in Bad Liebenwerda, Deutschland. Es scheint, Bad Liebenwerda hat bisher Glück gehabt. Tatsächlich sind keine Nazisymbole zu sehen, keine Aufkleber, es gab keine Aufmärsche, keine Zusammenrottungen. Und ist nun trotzdem ins Gerede gekommen. Das hat viele Bürger geärgert, sagt eine Mitarbeiterin des Ordnungsamtes. Ein guter Ruf ist für den Ort, der auf Kurgäste und Touristen baut, gewissermaßen die halbe Miete. Das geplante Kurzentrum, ein Wirtschaftsfaktor. Dafür wurde schon einiges getan. Das Stadtzentrum ist hergerichtet, fünf Minuten weiter die neue Rheumaklinik, gleich daneben der Kurpark und das "Haus des Gastes". Am Stadtrand nette Eigenheime, das Arbeitsamt ist blendend weiß gestrichen, aus dem Knast wurde das Grundbuchamt. Handwerk und Handel kommen einigermaßen klar. In der Stadtverordnetenversammlung stellt die CDU die stärkste Fraktion und den Bürgermeister. Der will oder soll aufhören - aber das ist eine andere Geschichte. Zum Verwaltungsbereich der Stadt gehören 16 Ortsteile, insgesamt hat Bad Liebenwerda 11.500 Einwohner. Die Arbeitslosenquote des Geschäftsbereiches (das entspricht der alten Kreisgrenze) bewegt sich mit 17,9 Prozent - das sind 4.493 Personen - im Mittelfeld, darunter 567 Jugendliche. 115 Bürger beziehen Sozialhilfe. Für sie findet zweimal wöchentlich eine Art Lebensmittelbasar statt. Die Polizeistatistik weist für das erste Halbjahr 2000 360 Straftaten aus. Bad Liebenwerda ist nicht nur ein hübsches Städtchen. Hinter vielen Fassaden brütet Frust.

Ja, es kloppen sich schon mal welche, so allgemein. Und ja, es gab mal Hakenkreuze, aber das ist 'ne ganze Weile her. Abends, die Jugendlichen am Roßmarkt, die saufen auch mal, aber das sind keine Skinheads. "Wissen Sie, die Erscheinungen gibt es in jedem Ort." Der Abgeordnete Helmut Andrack schließt allerdings rechte Denkweisen nicht aus, aber "zum Glück haben wir keine rechten Strukturen. Nicht erkennbar. Fragen Sie die Leute, die zucken alle mit den Schultern. Es ist nichts aufgefallen." Das könne daran liegen, dass jeder jeden kennt in so einer kleinen Stadt - soziale Kontrolle. Da gibt es ungeschriebene Gesetze, die noch wirken. Bad Liebenwerda eine Insel und also fein raus? Ein ebenso trügerischer wie gefährlicher Gedanke: Die Beratungsteams des Landes gegen Ausländerfeindlichkeit machten Ende August darauf aufmerksam, dass gerade kleinere Orte Gegenstand rechtsextremer Strategie sind. Umso unverständlicher ist, dass es in vielen Kommunen keine Ansprechpartner für die Anti-Rechts-Berater gibt. Kein Wunder, wenn regierungsamtlich durch einen Bildungsstaatssekretär von Rot-Schwarz verlautbart wird, rechtsextreme und gewaltbereite Haltungen unter den Jugendlichen würden stagnieren und teilweise zurück gehen.

In Bad Liebenwerda steht derweil ein anderes Problem zur Debatte. An neue Fassaden, erzählt Stadtkämmerer Engelmann, wurden Parolen gesprayt: "Antifa" und "Es grüßt die antifaschistische Gruppe Bali " (Bad Liebenwerda). Die Hausbesitzer sind wütend, die Stadt hat den Ärger, eine Klage läuft, und die Kripo ermittelt. Und außerdem, wie sieht das aus.

Der Kämmerer kommt aufs Thema zurück: Neonazis haben keine Chance in der Stadt. Zwei, drei Leute, möglich, aber die ziehen raus aus dem Ort, dahin, wo andere sind. Und Enrico H.? War dem Ordnungsamt bekannt, auch sein Umfeld. Nicht gewaltbereit, hieß es. Und er war zugezogen. "Mensch, der ist hier nicht aufgewachsen, nicht in den Kindergarten gegangen, Eltern leben nicht hier. Wenn der drei Kilometer weiter weg gezogen wäre ..."

Ja. Ist er aber nicht. Der arbeitslose Bäcker wohnte im Ortsteil Burxdorf. Die einen sagen, zwei Jahre, andere, ein dreiviertel Jahr. Jedenfalls ist er aufgefallen: Wegen Ruhestörung, wegen frei laufender Kampfhunde, wegen seines Aussehens. "Dass da ein bisschen anderes Gedankengut dahinter steckt, war schon klar. Aber solange die keine Propaganda im Dorf gemacht haben, hatten wir keine Veranlassung, was zu unternehmen." Ortsvorsteher Böhm muss eben mit denen, die "links wohnen" und mit denen, die "rechts wohnen", klarkommen. Das sei auch eine Frage, wie man auf die Leute zugeht. "Man kann mit denen zusammen leben. Nur, es darf eben nicht zu solchen Ausschreitungen kommen." Wie in Dessau? Genau. Dass es soweit geht, hätte er nicht gedacht. Zu Enrico H. kamen auffällig viel Besucher. Im Bericht der zuständigen Polizeiwache Elsterwerda steht: Rechtsgerichtete junge Leute um die 20 Jahre.

Das verwahrloste Haus, von einem Alteigentümer aus dem Westen vermietet, wirkt leer. Aber die Klingel geht, und durch das offene Fenster ist ein Vogelbauer zu sehen. Sven hat einen Wellensittich. Sven ist ein Kumpel von Enrico. Sie haben sich in Cottbus kennen gelernt. Sven war mit im SEK (Skinhead-Einsatzkommando), das ist durch die Straßen gezogen, hat gegrölt und gepöbelt. Sven wohnt oben im Haus. Sein Zimmer ist aufgeräumt. Unten ist die Bude von Enrico H. Vermüllt und schmuddlig. Aus dem Knast hat er geschrieben, dass er bald draußen sein und seinen Geburtstag im September zu Hause feiern wird. Sven sagt: Na, das wird wohl nichts. Wenn der lebenslang kriegt, hängt der sich auf. Sven würde auch nicht mit Enrico reden wollen. "Für mich ist der erledigt". Warum? "Man muss nicht gleich einen totprügeln." Sondern? "Vielleicht mal anpöbeln." Warum? "Spaß haben." Was für'n Spaß? "Spaß eben." Was hast du gegen Ausländer? "Die kriegen alles reingeschoben, und wir bezahlen alles." Was? "Alles. Das regt mich auf." Bist du ein Rechter? "Ja". Warum? "Für Deutschland." Versteh ich nicht, erklär mal bitte. "Deutschland muss Deutschland bleiben. Schön bleiben." Ist es das nicht? "Nein, nicht mehr." Warum? "Wegen der Ausländer." Wie bist du Rechter geworden? "Durch meine Oma. Die hatte 'n Hass auf die Russen. Die haben damals ihre Brüder erschossen." Was weißt du über Hitler? "Hitler hat viele Fehler gemacht. Auf seine Art wollte er Gutes für Deutschland." Wie findest du die NPD? "Gut". Was wählst du? "Gar nicht." Warum? "Frust." Warum? "Wahrscheinlich das ganze Scheißleben." Wovor hast du Angst? "Dass ich einmal dastehe und nicht weiß, wie es weitergehen soll." Was wünschst du dir? "Arbeit. Ein Haus mit Garten, 'ne Familie, drei Kinder."

Sven ist 21 Jahre, hat seine Schlosserlehre abgebrochen, macht jetzt eine Umschulung zum Facharbeiter für Straßenbau. Er ist vorbestraft wegen Fahrens ohne Führerschein. Er ist ein armes Schwein und für Leute wie Hupka, Mahler, Worch, Voigt und Konsorten genau richtig - als Fußvolk. Benutzbar wie Klopapier.

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