Warten wir den Montag ab

Kleiner Parteitag der PDS Über Zeitfenster und Bäume, die nicht in den Himmel wachsen

Von Katzen, Indianern und Olivenbäumen ist die Rede. Große Begriffe wie historisches Zeitfenster, Schicksalswahl und Notgemeinschaft machen die Runde. Über Identitäten, Mentalitäten und Offenheit wird diskutiert. Auch über Pragmatismus. Der kleine Parteitag der PDS am 28. Mai verhandelt die eigene Position im Bundestagswahlkampf. Etwa 100 Genossen aus Berlin und den Ländern besprechen in der Berliner Kongresshalle Route und Etappen zum Ziel: Einzug in den Bundestag in Fraktionsstärke und aus eigener Kraft.

Test, Test, Test - die Mikrofonprobe im noch leeren Tagungssaal hat fast etwas Symbolisches. Denn der Ernstfall ist eingetreten: PDS und WASG könnten, müssten, sollten etwas zu Wege bringen, von dem alle Linken immer gern reden, was aber trotzdem noch nie zu Stande kam, wenigstens nicht in Deutschland seit 1990: Ein Stück Einheit im erklärten Kampf für eine humane, soziale, solidarische Gesellschaft. Alle Beteiligten sind dafür, natürlich. Und reden miteinander. Offerten, Termine, Konzepte, Strategie und Taktik. Denn Hoppla-Hopp geht gar nicht, und viel Zeit bleibt auch nicht.

Wahlbündnis, offene Listen, eine neue Partei? Viel Für, viel Wider: Die Kommunistische Plattform stellt in ihrem Flyer fest, "auch mit einer Wahlpartei kaufen wir nicht nur die Katze im Sack, wir wüssten nicht einmal, ob es eine Katze wäre..." Ja, das wäre freilich ein klassischer Reinfall. Deshalb sei alles andere als eine "PDS-offene, linke Liste" "ein Hasard-Spiel".

Ein engagierter Basis-Mensch aus Berlin-Marzahn sieht bei der WASG zu viele Häuptlinge und zu wenige Indianer. Wo sind die Wähler? Funktioniert bundesweit, was in Nordrhein-Westfalen Prozente brachte? Trägt die Welle über die Fünf-Prozent-Hürde? Ein anderer Teilnehmer brummt dazu die Formel aller Selbstbeschwörer: Alles wird gut.

So einfach macht sich Wahlkampfleiter Bodo Ramelow die Sache nicht. Am Mikrofon eines Senders züchtet auch er Olivenbäume, kann und will aber nicht den Umstand ignorieren, dass sie in der deutschen Landschaft nun einmal nicht vorkommen. Ja, schade. Dafür wachsen hier andere Pflanzen - zwar nicht in den Himmel, aber immerhin bis heute dauerhaft. Könnten nicht zwei, drei Gärtner mehr das heimische Gewächs PDS hegen und pflegen - und im Herbst gemeinsam die Ernte einbringen? Das sagt er so nicht. Er spricht vom Wahlkampf der PDS, von Optionen und viel Offenheit, von interessanten Menschen und von Anrufen, die er erwartet. Im Übrigen haben die Gespräche mit der WASG erst begonnen. Noch sind sie ergebnisoffen. Ein bedeutender Staatsrechtler prüft für beide Seiten die partei- und wahlrechtlichen Konsequenzen. Nicht nur in Rechtsfragen gibt es erheblichen Klärungsbedarf. Mentalitäten und Ressentiments sitzen immer mit am Verhandlungstisch. Die Reisetätigkeit wird intensiviert, Kontakte ebenfalls. In der ersten Runde soll das "Wie" geklärt und halbwegs erfolgreich an diesem Wochenende abgeschlossen sein. Man wird sehen. Warten wir den Montag ab. Gemeint ist der 6. Juni. "Wenn wir zu keinen Lösungen kommen, dann werden wir das ehrlich sagen."

Bodo Ramelow jedenfalls leitet den Wahlkampf der PDS. Den Teilnehmern des Kleinen Parteitages präsentiert er zum Schluss ein Wahlplakat: Freiheit statt Kapitalismus. An der Stirnseite des Tagungssaales steht als Motto: Klarheit schaffen.

Klarheit mindestens so weit und so gut, dass auch die westlichen Landesverbände in der PDS nicht nur ihren tatsächlichen Wählern in Sachen linker Alternative Mut geben, sondern den von Rot-Grün enttäuschten, vor Schwarz-Gelb zurückschreckenden Bürgern einige Vorbehalte gegen die PDS nehmen können. Das wäre vielleicht die Stunde der WASG. Wer weiß.

So jedenfalls denkt sich mancher die Kooperation: Im Osten nichts verlieren, im Westen dazu gewinnen, eine Wahlkooperative. Im Jahr 15 der Einheit eine Vorstellung mit einer gewissen Folgerichtigkeit. Thomas Dorner aus Saarbrücken glaubt, dass Oskar Lafontaine im Saarland ein Direktmandat holen könnte. Rainer Rupp aus Bremen will keine Schnellschüsse, sondern ein durchdachtes Projekt, das mehr bringt als die einfache Addition. Ulrich Wilken aus Hessen sieht die Chance, den gesellschaftlichen Sockel für linke Politik zu verbreitern. Er spricht von Wendezeiten.

Stichwort für Anja Stiedenroth aus Sachsen-Anhalt. Im Herbst 1989 war sie 18 Jahre alt und machte in Leipzig eine Lehre. Sie erlebte die Hoffnungen, den Aufbruch und die Enttäuschungen der Wendezeit. Sie war mittendrin und ist seitdem bei der PDS. "Aber der Traum vom dritten Weg war schnell ausgeträumt." Was nicht heiße, dass es keine politischen Ziele mehr gebe. Anja Stiedenroth nahm am Gründungskongress der Europäischen Linkspartei in Rom teil. "Und wenn es hier nun eine Chance gibt... Auf lange Sicht müssen wir diesen Weg gehen."

Aus Gesprächen mit Basismitgliedern in Halle kennt sie die Ängste, wenn derzeit von einer Parteineugründung die Rede ist. "Die größten Vorbehalten ergeben sich aus der Angst, Identität zu verlieren. Ich werde in letzter Zeit oft gefragt: Gebt ihr uns jetzt auf? Das kann man nicht einfach wegwischen. Es hängen immer Lebensgeschichten daran."

Das trifft auf beide Partner zu. Aber sie sieht auch die Schnittmengen zwischen PDS und WASG. Ihr Wunsch für die Gespräche: Respekt und Augenhöhe, Verzicht auf Eitelkeiten und Empfindlichkeiten. Es geht eben nicht um eine Notgemeinschaft. Man wird sehen. Spätestens am Abend des 18. September. Da gibt es die Quittung. So oder so.


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