In Amerika brechen jetzt die Banken zusammen. Man sieht, im Fernsehen oder vor dem geistigen Auge, Legionen von smarten Mittdreißigern ihre paar Habseligkeiten aus den Büros hinaus ins Ungewisse tragen. In der Tiefgarage wartet ihr Luxuscoupé, uptown warten ihre Luxuswohnung, ein Schuldenberg und eine Zukunft in Depression. "Empfinden Sie Schadenfreude?", fragte mich gestern angesichts dieser Bilder ein Journalist. "Trifft es jetzt endlich mal die Richtigen?"
Die Frage war als Frage an einen Schriftsteller durchaus zu erwarten. Denn man weiß ja, dass es zu den Überlebensmechanismen von Kulturschaffenden gehört, sich vom Ökonomischen möglichst fern zu halten oder wenigstens ordentlich schlecht darüber zu denken. Intellektuelle ertragen ja angesich
a angesichts ihrer eigenen, meist eher bescheidenen Einkünfte die fantastischen Managergehälter nur durch den psychologischen Trick, sich permanent vorzusagen, dass die Leute aus den Konzernen und Banken bestenfalls bloß kulturlos, in der Regel aber richtig fies sind. Man gönnt ihnen dann ihre Millionengehälter quasi als Entschädigung für das Fehlen von Bewusstsein und Charakter.In der momentanen Bankenkrise nun nehmen viele Menschen diese folkloristische Haltung der Intellektuellen ein. Wirtschaft, insbesondere die moderne Kapitalwirtschaft, erweise sich, so heißt es jetzt, endgültig (oder bloß wieder einmal?) als durch und durch unmoralisch. Ich höre und lese bereits allerorts Reaktionen nach dem alten Muster des "Ihr da oben (= böse) versus Wir hier unten (= gut)". Und war während der letzten Rezession ganz allgemein der Manager das Feindbild ("Nieten in Nadelstreifen"), so ist es jetzt der Banker und insbesondere der Kapital-Schieber, der seine finanziellen Transaktionen erfolgreich als Wertsteigerungen deklariert und über ein Bonusssystem persönlich von Maßnahmen profitiert, die Tausende Menschen ihre Ersparnisse kosten.Doch Achtung! Die Verhältnisse, sie sind nicht so, wie ich und die anderen Nicht-Banker es uns in unserem gerechten Zorne wünschen. Ich nenne drei Punkte, die zumindest mir die Wut erheblich trüben.Erstens: Wenn Geld "verbrannt" wird, verschwindet es nicht. Wir reden über die amerikanischen Hausbesitzer, die aus ihren 250-Quadratmeter-Schuldenfallen getrieben werden, und über die amerikanischen Banker, die sie hineingelockt haben, um anschließend mit Schuldscheinen zu jonglieren. Wer aber redet über die amerikanischen Handwerker, die die Häuser gebaut und prächtig daran verdient haben? Und amerikanische Handwerker sind auch viele von uns, die wir jetzt den Kapitalmarkt verfluchen. Über verschlungene Wege, die wir kaum nachvollziehen können, profitieren wir zum Beispiel als Inhaber fondgebundener Lebensversicherungen von allerlei Geldverbrennung irgendwo in der Welt. Wo des einen Geld verbrannt wird, wärmt es des anderen Füße. Am Ende sogar unsere eigenen.Zweitens: Die amerikanischen Investmentbanker haben kapitalen Bockmist gebaut, aber sie sind keine Teufel. Lehman Bros. ist nicht die Mafia. Mag ja sein, dass ein ins Perverse ragendes Bonussystem in vielen Köpfen das verantwortungsbewusste Denken lahm gelegt und die Gier befördert hat, doch sicher haben über 90 Prozent der Banker bis zum Schluss daran geglaubt, in und an einem System zu arbeiten, das imstande ist, allen Beteiligten zu größerem Wohlstand zu verhelfen. Auch den Kunden!Und drittens sowie wichtigstens: Unsere Wut mag groß und ehrlich empfunden sein, aber sie ist kraft- und hilflos. Einerseits in der Sache, denn uns fehlen die Gegenentwürfe. Früher hatte die Opposition gegen politische Herrscher zumeist eine Utopie in der Jackentasche. Wer ein System beseitigen wollte, musste, um Unterstützung zu bekommen, eine Vorstellung von dem besitzen, was als Richtiges dem Falschen folgen sollte. "Weg mit!" alleine reicht nicht. Parteien entwarfen deshalb Programme, die sich zur Weltordnung rundeten und sich gegen die Programme anderer Parteien abgrenzten. Wie aber sollte jetzt eine weltanschaulich fundierte Kritik den angeschlagenen Großbanken begegnen? Oder anders formuliert: Welche Art von Kapitalismus wünschen wir an die Stelle des gegenwärtigen gesetzt?Darauf weiß vielleicht der oder jener Wirtschaftswissenschaftler eine Antwort - aber es wird keine Antwort sein, mit der man auf die Straße gehen und Politik machen und Anhänger werben kann. Eine "andere" Wirtschaft forderten mit Verve und Wirkung zuletzt in den 1980er Jahren und im weltabgewandten Inselreich BRD die Grünen. Doch angesichts von Milliarden Menschen, die heute aus vorindustriellen Lebenszuständen heraus mit Macht in den postindustriellen Wohlstand drängen, sind alle sogenannten alternativen Konzepte vollkommen obsolet geworden. Eine Woche in China wird jedem klarmachen, wo auf der Welt der große ökonomische Motor steht und wie er läuft.Allein, es fehlen uns nicht nur die Utopien und Argumente, es fehlt uns auch die Sprache des Widerstands. Die politischen Ideologien entwickelten im 19. und 20. Jahrhundert ihre eigenen Sprachen als Art und Weise, die Welt im gewünschten Sinne zu verstehen und zu vermitteln. Seit 1989, seit dem Fall der Ideologien, ist das politische Sprechen auf dem Rückzug, wenn nicht gar auf dem Aussterbetat. Und in die Lücke, die es im öffentlichen Sprechen hinterlassen hat, in dieses Vakuum ist die Sprache der modernen Wirtschaft eingezogen, insbesondere die des Managements, des Marketings und der Börse. Der herrschende Diskurs ist der der Ökonomie. Nun haben wir freilich immer gewirtschaftet und auch darüber geredet. Der Hunger ja ist nicht so leicht zu ertragen. Aber über Jahrhunderte war das Ökonomische etwas Nachrangiges. Wenn sich im Mittelalter ein Bauer beim Bischof über die Kargheit seiner Erträge und die Tücken des Wetters beschwert haben würde, so hätte der geistliche Herr ihm ohne jeden Zynismus antworten können, dass schlechte Arbeitsbedingungen, Missernten und Hunger zwar ohne Zweifel unschöne Dinge sind, aber mit Blick auf das große Ganze und das heißt: auf das Verhältnis des Menschen zu Gott, eher nebensächliche Erscheinungen. Verglichen mit dem Seelenheil ist das Essen einfach nicht so wichtig. Fünfhundert Jahre später wurde den Menschen in Osteuropa der Hunger mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit der Errichtung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung ebenso klein geredet.Da nun aber Kirchen und Einheitsparteien sich nicht mehr über die Wirtschaft wölben, bricht die sich ihre Bahn. Sie gibt vor, allein aus sich heraus zeitgenössische Sinnstiftung leisten zu können. Richtig (und wahr) ist jetzt, was sich "rechnet" und Renditen abwirft. Das Denken und Reden der Ökonomie erobert und kolonialisiert Bereiche, die bislang privat geblieben oder anderen Werten verpflichtet waren. Man kann das bis in die Niederungen des Alltags verfolgen: Wenn etwa in der Umgangssprache nicht mehr Termini und Wendungen aus Politik, Soziologie oder Psychologie, sondern Wirtschafts-Vokabeln den Ton prägen. Oder wenn zwei Minuten vor der Tagesschau der Börsenbericht gesendet wird, so als seien Nachrichten von der Wall Street wichtiger als Nachrichten aus dem Weißen Haus. (Was sie ja wahrscheinlich auch sind.)So haben wir mittlerweile alle, willentlich oder unbewusst, Anteil an der globalen Ökonomisierung des Bewusstseins, indem wir deren Tonfall übernehmen. Doch ich frage mich ernsthaft, ob das Ökosprech als Neusprech nicht in weiten Teilen ein phrasenhafter Jargon ist und ob es jetzt nicht die katastrophalen Folgen zeitigt, die früher das Resultat der politischen Jargons waren!Es gibt Anzeichen, die dafür sprechen. Denn die schlimmste Folge von Phrase und Jargon ist die Entfremdung: Der Zusammenhang zwischen Wort und Sache wird durch das Über-Design der Fachsprachen allmählich aufgelöst. Es entsteht ein Leben im permanent wortgesättigten, aber lebensfernen Raum. Wer erinnert sich nicht an die jeweils letzten Reden der Machthaber des 20. Jahrhunderts, in denen sie kurz vor Toresschluss noch eine Welt beschworen, die so real war wie ein Potemkinsches Dorf. Je geschlossener die ideologischen Sprachwelten waren, desto schneller ließen sie alles Leben hinter sich. Was nicht in ihren Duktus passte, sahen sie nicht mehr - oder ließen es vernichten.Und auch die Sprache der modernen Ökonomie sehe ich in der Gefahr, ein selbstgenügsames System von vorgeblich rechnerisch Richtigem konstruiert zu haben, dem die Bedürfnisse, Eigenschaften und Lebenszyklen der real existierenden Menschen zunehmend entgleiten. Die Sprache der Berater droht ebenso selbstgefällig zu werden wie weiland die der Parteikommissare. Und wir Millionen Nachsprecher biedern uns in der Hoffnung auf ein Prozent mehr Rendite hemmungslos an. So ist eine Sprachatmosphäre entstanden, in der alle des Kaisers neue Kleider sehen, sprich die neuesten "Finanzprodukte", auch wenn die gar nicht mehr im Zusammenhang mit der Energie, der Leistung und dem Willen der Menschen stehen - und infolgedessen keine reale Deckung haben. Die zeitgenössische Sprache der Ökonomie untermalt und befördert zugleich die Tendenz, das Kapital von der Produktion so weit zu entfernen, dass ein Zusammenhang nicht mehr gesehen, ja gar nicht mehr gedacht werden kann.Gerade höre ich im Radio, das Weiße Haus schicke sich an, die Aufsicht über die Wall Street zu übernehmen. Vater Kempowski würde sagen: "Gut dem Dinge!" Ich sage: Holt die großen Kinder von den Monitoren und erlöst sie aus den Fängen ihrer virtuellen Welt. Gebt ihnen, damit sie Häuser und nicht Spukschlösser bauen, Holz und Leim und Hammer und Nägel in die Hände. Verbietet ihnen, ihre Konstruktionen weiterhin als Finanz-"Produkte" zu bezeichnen. Lehrt sie eine Sprache, die sagt, was Sache ist.Burkhard Spinnen, geboren 1956 in Mönchengladbach, lebt als freier Schriftsteller in Münster. In diesem Jahr erschien von ihm der Band Gut aufgestellt. Kleiner Phrasenführer durch die Wirtschaftssprache.
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