Zwanzig Jahre ist es her. Es war ein heißer Sommer, für mich geprägt durch drei Ereignisse: Meine Examen an der Uni. Der Zusammenbruch der DDR. Die Markteinführung von Magnum.
Heute ziehe ich Bilanz. Über mein Examen habe ich mich sehr gefreut; aber das Akademische haftet nicht so recht an mir, gelegentlich finde ich es sogar ein bisschen peinlich. Die deutsche Wiedervereinigung hat alle sehr gefreut; aber diese Freude scheint an den Deutschen nicht so recht zu haften. Gelegentlich ist es peinlich, wie sie sich an die Zeit vor 1989 erinnern. (Wobei ich mich durchaus einschließe.)
Nur eines bereitet seit damals allen Freude, egal wie sehr sie mit sich oder ihrer Vergangenheit einverstanden sind: Magnum, König im Reich des Eis am Stiel. Und wenn ich für
enn ich für meine geteilte Liebe zum Akademischen und der Deutschen halbe Liebe zu ihrem ungeteilten Land noch Verständnis aufbringe, eines – verdammt noch mal! – verstehe ich nicht: Wie man das Magnum- Eis so lieben kann! Oder unterhalten etwa so viele Menschen eine innige Beziehung zu Barbarei und Sittenverfall? Denn ein Magnum zu essen (egal welcher Geschmacksrichtung) bedeutet doch eine eminente Gefahr für Anstand und Würde des Essers sowie eine ebenso große für seine Bekleidung. Die einschlägige Werbung will uns zwar glauben machen, es sei eine höchst subtile, um nicht zu sagen: erotische Angelegenheit, so ein (wirklich großes) Eis am Stiel anzuknabbern – aber aus gutem Grund hat noch niemals einer der Spots gezeigt, was für eine, pardon, Sauerei es ist, selbiges Eis am Stiel zu Ende zu lutschen oder zu schlecken oder wie auch immer.Gut, ich gebe es zu: Der erste vorsichtige Biss durch die kalte, wenngleich per Zahn durchaus berührbare Schokoladenschicht – der hat was. Der hat so etwas von zarter Gewalt, vielleicht sogar von Tabubruch. Und wenn dann das noch viel kältere Speiseeis (egal welcher Geschmacksrichtung) zum Vorschein, besser sagte ich wohl: zum Vorschmeck kommt und sich endlich auch die Zunge in die Sache einmischen darf, dann mag sich schon das Gefühl einstellen, man partizipiere an diesem, Achtung, scheußliches Wort: „Geschmackserlebnis“, von dem die Werbung so ergriffen jault.Aber es bleibt ja nicht bei Anbiss und Anschleck! Ich weiß, wovon ich rede, ich als Magnum-Konsument der ersten Stunde! (Und bis heute.) Denn bald schon gilt es, sich den unterirdischen Teil vom Stieleis – nein, falsche Metapher, ich meine den Rest vom Magnum halbwegs würdevoll einzuverleiben. Und das, liebe Firma Unilever, ich sag’s jetzt mal in aller Deutlichkeit, das geht nicht!Denn wenn ich es mit einem schokolade- und also strukturschonenden Lecken versuche, bin ich bald schon gezwungen, mir das (wirklich große) Magnum in toto oral zu applizieren. Lieber Himmel, Sie wissen schon, was ich meine. Und das sieht einfach nicht gut aus. Jedenfalls nicht bei mir.Die andere Möglichkeit besteht darin, knabbernd oder beißend weiter zu verfahren. Das aber führt unweigerlich dazu, dass die Schokoladenhülle in großen und gezackten Schollen sowie völlig unkontrollierbar von der Trägersubstanz (Speiseeis) abbricht und anschließend in böser Kumpanei mit der Erdanziehungskraft dafür sorgt, mein schönes weißes Hemd final zu versauen. Und zwar entweder mit der Schokolade selbst oder mit dem nun bar jeder Schokohülle und -stütze freilaufenden Speiseeis (egal welcher Geschmacksrichtung).Ein Magnum halbwegs in Würde aufzuessen bedeutet also, sich entweder vom Rest der Menschheit abzuwenden (Schleckmethode) oder vornüber gebeugt zu stehen wie bei einer ganz anderen Verrichtung (Knabber- oder Beißmethode). Doch tun das die Menschen? Nö. Vielmehr – und indem ich diese Zeilen schreibe, wird es mir immer deutlicher – freuen sie sich wie Kinder darüber, nach jenem ersten Biss, mit dem sie an der glamourösen Welt der Werbung teilhaben, rasch zurück zur Barbarei zu finden: öffentliches Schlecken und Inhalieren bis zur Maulsperre oder Knabbern, bis die Mutter mit dem Vollwaschmittel kommt.Ja, so sind wir. Für den Nervenkitzel eines Falls von den Höhen einer erotisierenden Genusskultur in die Niederungen der Nahrungsaufnahme bedenkenloser Primaten geben wir gerne zwei Euro aus sowie als Dreingabe die Unbeflecktheit unserer Würde sowie unserer Bekleidung.Denn Magnum ist groß! Und groß ist wohl auch der Wunsch des Konsumenten, den Firlefanz der Hochkultur sowohl mitzumachen als auch drauf zu pfeifen. Man möchte hip und etepetete sein und zugleich ein kleiner Saubalg. Ein Schleckermäulchen und zugleich ein alles verschlingender Gargantua.Schleck mich, sagt das Magnum in der Werbung. Und darauf antwortet der Konsument: Du mich auch!