Im schummrigen Licht der Heidelberger Studi-Kneipe Orange sitzen sie ihm gegenüber, seine Freundinnen und Freunde – zumindest dachten sie, dass sie befreundet waren. Die Stimmung ist angespannt. Schließlich platzt es aus einem von ihnen heraus: „Wir haben gehört, du bist Polizist.“ Zuerst versucht Simon Brenner, alles abzustreiten. Dann hält er inne, blickt auf sein Bier, atmet tief durch und sagt: „Ja. Das stimmt.“
Bis er aufflog, nahm Simon Brenner neun Monate lang die linke Szene in Heidelberg unter die Lupe. Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg hatte ihn als verdeckten Ermittler eingeschleust. Luisa K., Jasper M. und Nicola G. lernten Simon Brenner im Sommer 2010 kennen. Sie engagierten sich beim Bildungsstreik, gegen Atomkraft und gegen Nazis. Der Ethnologie-Student Simon mit den langen, blonden Haaren war neu in Heidelberg. Er schaute bei den Treffen vorbei, brachte sich ein, engagierte sich im linken Studierendenverband SDS und schloss Freundschaften.
Offen, hilfsbereit, interessiert, lustig
Wie beschreibt man einen Menschen, der nicht derjenige war, für den man ihn hielt? Offen und hilfsbereit, interessiert und lustig – die, die ihn damals kannten, benutzen fast alle dieselben Worte. Sie zeichnen das Bild eines unauffälligen Studenten, der sich politisch engagieren will. Ein verdeckter Ermittler darf nicht anecken, er muss offen sein, Leute kennenlernen, Vertrauen aufbauen. Das war Simons Aufgabe, hilfsbereit sein, sein Auto für politische Aktionen anbieten. Aber war es auch seine Aufgabe, Apfelkuchen für seine Freundinnen zu backen?
Simon Brenner heißt auch im wirklichen Leben Simon, aber er hat einen anderen Nachnamen. Simon wuchs auch nicht im baden-württembergischen Bad Säckingen auf, wie in seinem Personalausweis zu lesen war. Der wirkliche Simon verbringt seine Kindheit in Radolfzell am Bodensee. Sein Vater ist Polizist und auch Simon will Polizist werden. Er ist ehrgeizig und motiviert, vom Landeskriminalamt bekommt er mit Anfang 20 die Chance, sich zu beweisen. Ein lang angelegter Einsatz als verdeckter Ermittler. Das klingt nach Abenteuer, nach Verantwortung, nach Karriere. Aber das klingt auch nach Einsamkeit. Simon wusste, er würde über Jahre seinen Alltag mit Menschen teilen, die er belügen und betrügen würde, denen er nie erzählen können würde, wer er wirklich ist, was ihn bewegt, wie es ihm geht. Seine echte Freundin würde er nur während seiner seltenen Urlaubszeiten sehen.
"Das war nicht alles gespielt"
Nach den ersten Monaten als Ethnologie-Student Simon Brenner hat er so einen Urlaub. Er fährt mit seiner Freundin an die französische Atlantikküste. Dort lernt er Alena M. kennen, er stellt sich ihr als Polizist vor. Diese Begegnung wird ihn ein halbes Jahr später enttarnen. Denn Alena M. studiert in Heidelberg, während der nächsten Monate macht sie ein Auslandssemester, aber als sie zurückkommt, erkennt sie ihn wieder und erzählt ihren Freunden, dass er Polizist ist.
„Er war unsicher und ein bisschen verbissen“, sagt Alena M. „Und er hatte so etwas Bübchenhaftes, er schien naiv und leicht manipulierbar.“ Was macht das mit einem unsicheren jungen Mann, über Monate eine andere Identität anzunehmen? Simon Brenner schließt berechnend Freundschaften, aber er teilt seinen Alltag mit diesen falschen Freunden. Kann man da immer zwischen den beiden Identitäten trennen? Hat Simon beim Kletterausflug mit Luisa oder beim Campen mit Jasper auch mal vergessen, dass er Polizist ist?
Bei seiner Enttarnung sagt er: „Das war nicht alles gespielt.“ Er meint die persönlichen Beziehungen, die Gespräche, die Freundschaften. Aber er meint auch die politischen Aktionen. Simon ist leidenschaftlicher Radfahrer, die Umwelt ist ihm wichtig. Die Fahrraddemo und die Aktionen gegen Atomkraft, das hätte er auch so getan, sagt er.
Die Einsatzbegründung bleibt vage
Aber Simon sammelte über Monate akribisch Informationen über Luisa, Jasper, Nicola und viele andere. Er gab dem Landeskriminalamt Namen und Adressen, berichtete, wer sich wann wo traf, um über eine Demo gegen die Castor-Transporte zu sprechen. Das erzählt er an jenem Abend im Orange. Fast zwei Stunden bleibt er noch, nachdem seine Tarnung aufgeflogen ist. Aber jetzt ist er jemand anderes, seine Körperhaltung, seine Sprache haben sich verändert. Jetzt ist er nicht mehr Simon, der Student, Aktivist und Freund. Jetzt ist er Simon, der Polizist. Jetzt muss er keine Rolle mehr spielen.
Durfte die Polizei überhaupt die linke Studentenszene in Heidelberg ausspionieren? In der teilweise geschwärzten Einsatzanordnung, die dem Freitag vorliegt, steht nichts davon, dass der verdeckte Ermittler Namen und Strukturen erfassen soll. Dort ist von zwei konkreten Zielpersonen die Rede, die Begründung für den Einsatz bleibt vage. Bei der einen Zielperson seien sieben „gebrauchsfertige Molotowcocktails“ gefunden worden. Das war allerdings in Sinsheim, 35 Kilometer von Heidelberg entfernt. Die zweite Zielperson aus der Antifa Heidelberg hätte sich einmal auf einer Demonstration gegen Nazis mit der ersten Zielperson unterhalten. Außerdem agiere die linke Szene in Heidelberg „sehr konspirativ“ und Universitätsstädte seien als „Magnet von linksorientierten Personen bekannt“, heißt es in der Anordnung. Daraus folgerte Heidelbergs damaliger Polizeichef Bernd Fuchs, dass ein verdeckter Ermittler notwendig sei, um „gegen sich bildende terroristische Vereinigungen rechtzeitig einzuschreiten.“
Mit einem Bier ist alles gut?
Simon Brenner sollte sich wohl erst in Studentenkreisen bewegen, um dann zur Antifa zu gehen und dort als glaubwürdig zu gelten. Er lernte jedoch keine der beiden Zielpersonen wirklich kennen, stattdessen sammelte er munter die Daten von engagierten Studierenden. Einige von denen, die damals mit Simon im Orange saßen, haben deswegen Klage gegen das Land Baden-Württemberg erhoben. Am Mittwoch ist vor dem Verwaltungsgericht in Karlsruhe der Prozess. Simon Brenner ist als Zeuge geladen. Eine Aussage könnte ihm allerdings erspart bleiben, wenn das Land Baden-Württemberg Sicherheitsbedenken hat.
Am Abend seiner Enttarnung, bevor Simon Brenner geht, will er den anderen im Orange noch das Bier bezahlen. „Das bin ich euch wenigstens schuldig“, sagt er. Da ist er wieder der unbeholfene naive Junge, der hofft, mit einem Bier sei alles wieder gut.
Kommentare 25
Da ist er wieder der unbeholfene naive Junge
Simon B. hat gemacht, was die Stasi-Leute gemacht haben. Das waren ja auch alles unbeholfene naive Jungen. Aber schön, dass die Polizei bzw. "die Dienste" die BürgerInnen auch noch auf die klassische Art grundlos bespitzeln. Man könnte ja sonst denken, das gäbe es nur noch via Internet.
Wie beschreibt man einen Menschen, der nicht derjenige war, für den man ihn hielt?
"Drecksack" wäre eine Möglichkeit.
"Durfte die Polizei überhaupt.......?"
....und wenn die Polizei (mal) müsste!.....wird ...."terroristische Vereinigungen".....offenbar!....in den "Eigenen Reihen"!!!
STAATS-Psycho-Terror Gesellschaftliche Selbst-HINRICHTUNG
Diktatur der Angst und Einschüchterung
Schön wenn man sieht dass staatliche Ressourcen sinnvoll genutzt werden, anstatt sie zB zur Kriminalitätsbekämpfung zu verplempern. :)
Das wäre mal n`e Aufgabe, auch ist es nicht schädlich das Gefühl zu haben – erwischt zu werden bei falschen Korpsgeist z.B. Auch Führungskräfte würden sich hoffentlich anders benehmen. "Da ist er wieder der unbeholfene naive Junge, der hofft, mit einem Bier sei alles wieder gut." Na das ist doch auch so in der großen Politik - siehe NSA, NSU usw.
...."mit einem Bier sei alles wieder gut."
....und wenn "das" nicht "reicht".....ein "Schierlingsbecher" tut "es dann (hin-)richten"!!!
"Sie engagierten sich"? Die werfen auch Steine und zünden Autos an. Manche Nazis sind fraglos ungleich gefährlicher aber vor 30 Jahren war es die Rote Armee Fraktion die viele Morde begingen und die RAF hatte damals soviel mit dem SDS zu tun wie die NSU mit der NPD.
Also sicherlich ist nicht jeder im SDS automatisch ein potenzieller Mörder aber das kann man genau so über Nazis sagen. Das Nazis überwacht werden finden Linke aber völlig in Ordnung, ne?
Ich weiß ja nicht, ob der Ba-Wü-Polizei der Grazer Brenner ein Begriff ist - oder ist's Zufall? "Nicht dass du denkst, du kennst den neusten Fall vom Brenner. Da hat sich der Brenner doch unter deutsche linke Studenten gemischt, ja was glaubst du. Stasi Hilfsausdruck."
Im Ernst:
„Das war nicht alles gespielt“, glaube ich ihm gern. Aber so einen Einsatz kann man sicher auch gut ablehnen, aus Gewissensgründen. Zumal, wenn er auf den bloßen blauen Dunst hin geschieht, es könnten sich "terroristische Zellen" bilden ... Das ist schon megahart, und wer weiß, ob der "Brenner" von der psychischen/moralischen Belastung, Leute so betrogen zu haben, je wieder wirklich runterkommt.
"Simon B. hat gemacht, was die Stasi-Leute gemacht haben. Das waren ja auch alles unbeholfene naive Jungen."
Trifft so nicht zu. Die IM in der DDR waren ja keine Stasi-Leute, sondern spitzelten für die Stasi in dem Umfeld, aus dem sie kamen. Das kann der Arbeitsplatz, Künstler- und Musikgruppen oder sogar auch die Familie gewesen sein. Simon B. aber wurde als Polizeibeamter in eine Szene gebracht. Das ist schon ein großer Unterschied. Auch wenn es unter den IM sicher viele gab, die Offerten der Stasi recht umstandslos nachgaben, so wurden doch viele derer auch ziemlich unter Druck gesetzt.
Den "Schierlingsbecher" bekommen meistens die Falschen gereicht!
....oder auch nicht!
......"wen die Götter lieben, den holen sie jung zu sich"!
...die anderen "enden" im (hoffentlich nur eigenen) Kot-Urin-Brei .....sich wundgelegen (falls überhaupt dazu noch in der Lage) wälzend....von ausgebeuteten, überforderten "Pflege-Kräften" entsprechend "betreut"...durch einen sich stetig "verschärfenden" Pharma-Cocktail möglichst lange am "Leben" gehalten!....dem "würdevollen" Ende entgegen siechend!
...von "daher"!....."Schenkt mir ein"!!!....aber bitte "RICHTIG ANGEMESSEN"!!!
Trifft so nicht zu. Die IM in der DDR waren ja keine Stasi-Leute...
Und ich dachte immer, die Stasi hätte zum Spitzeln auch hauptamtliche Spitzel gehabt. So kann man sich irren.
Aber glauben Sie denn, dass ein so erfolgreicher Geheimdienst wie die Stasi als hauptamtliche Spitzel "unbeholfene, naive Jungen" hatte??
"Erfolgreich" ist gut. Wenn man bedenkt, dass der Westen die Systemauseinandersetzung gewonnen hat.
Die Stasi hat sich wie jeder Geheimdienst jeden genommen, den sie kriegen konnte, ob nun durch Überzeugung, Bezahlung oder Erpressung. Natürlich haben sie auch nach der Eignung geschaut.
Und auch sie konnten Doppelagenten nicht vermeiden. Es gibt hunderte von Büchern und Filmen, wo genau das zititerte „Das war nicht alles gespielt“ ein Hauptthema ist.
"Erfolgreich" ist gut. Wenn man bedenkt, dass der Westen die Systemauseinandersetzung gewonnen hat."
Das ist nicht gleich ein Argument für erfolgreich oder nicht erfolgreich. Wie hätte die DDR auch alleine die Systemauseinandersetzung gewinnen sollen? Gänzlich unerfolgreiche Geheimdienste gibt es sicherlich auch gar nicht. Für die Verhältnisse dieses kleinen Staates und seiner von vornherein arg begrenzten internationalen Einflussmöglichkeiten, war die Stasi ein überaus erfolgreicher Geheimdienst. Das nur mal und zunächst ohne Wertung festgestellt.
Aber eigentlich ist das hier ja auch nicht die Diskussion.
"Die Stasi hat sich wie jeder Geheimdienst jeden genommen, den sie kriegen konnte (...)"
Ich glaube doch kaum, dass das bei irgendeinem Geheimdienst der Fall ist - wer könnte sich das erlauben. Freilich müssen wir trennen zwischen IM und Hauptamtlichen.
"Und auch sie konnten Doppelagenten nicht vermeiden."
Tja - welcher Geheimdienst kann das schon? Dass es 'Doppelte' gibt, beschreibt ja ironischerweise gerade gut das Wesen von Geheimdiensten.
Sie haben recht, die Geheimdienste sind nicht das Ausschlaggebende in der Systemauseinandersetzung gewesen.
Im Schaffen eines Klimas des Misstrauens in der Bevölkerung und der Angst, seine Meinung zu vertreten, war die Stasi jahrzehntelang erfolgreich. Das konnte dennoch nicht den Punkt verhindern, wo das kippte. Und dass es glücklicherweise so gewaltlos kippte, zeigt, dass die Angehörigen und IMs genauso wie die Angehörigen aller anderen Organe der Staatsgewalt selbst nicht mehr an ihre "Mission" glaubten und daher nicht zu gewaltsamer Aktion aufzustacheln waren.
Das nicht. Hätte oben...
https://www.freitag.de/autoren/bust-bartels/der-falsche-student#1440398332421230
...hinter die "unbeholfenen, naiven Jungen" einen Ironie-Emoticon setzen müssen. Werde mich bessern.
»Großes Arschloch« wäre eine weitere.
Junge Menschen haben es nicht leicht, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Doch dieser Fall ist moralisch eindeutig. Er hatte die Wahl: Werde ich zum Arschloch oder lasse ich es sein? Seine Schnüffelei ist Hochverrat an dem Vertrauen, das ihm geschenkt wurde. Schlimm nur, dass es innerhalb der Polizei Strukturen gibt, die seine Charakterschwäche missbraucht und für eine (mutmaßlich) kriminelle Aktivität instrumentalisiert haben. Schlimm auch vor dem Hintergrund, dass bei linken Gruppen stets nach terroristischen Aktivitäten gefahndet wird, während Deutschland im braunen Sumpf erstickt.
(*****)!
"Deshalb möchte ich Ihnen als ehemaliger DDR-Bürger gratulieren, wie gut Sie über das Leben der normalen Leute in der damaligen DDR Bescheid wissen." (Richard K.)
"Da" stellt sich mir die Frage, welche Rolle Sie damals in dem System gespielt haben?!....und welche Rolle Sie hier und jetzt in diesem System spielen?!
....das offensichtliche Spannungsfeld ist deutlich erkennbar!!!
Was schwebt Ihnen denn so vor?
Und Sie sehen ein Spannungsfeld? Zwischen welchen Polen?
....(sich) zwischen negativ und positiv (entscheiden)!
Für einen Fluss braucht es sowohl die Anode als auch die Kathode, sowohl die Quelle als auch die Senke. Ohne Spannungsfeld kein Fließen. Nur Stillstand.
:-)
Dies kann ich bejahen!....aber....interessant, herausfordernd!...wie man mit umgeht....daraus macht!