Die Angst vor dem F-Wort

Debatte Der Feminismus hat ein Imageproblem und der #aufschrei greift zu kurz. Darüber diskutierten Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen am Montagabend am Berliner HAU
Die Angst vor dem F-Wort

Foto: Missy Magazine

Who needs feminism? Das fragt eine Kampagne aus den USA. Und 30.000 Fans diskutieren auf Facebook darüber, was für sie Feminismus bedeutet und wieso er gebraucht wird. Die Netzaktivistin Jasmin Mittag hat das Pendant „Wer braucht eigentlich Feminismus?“ initiiert. „Die Kampagne will Feminismus ein neues Gesicht geben“, sagt Jasmin Mittag. Eine Definition von Feminismus gibt sie bewusst nicht vor.

Aber wieso braucht Feminismus ein neues Gesicht? Weil Feminismus ein Imageproblem hat. Als die Rapperin Sookee vom Portal rap.de verlinkt wurde, war sie die „Gender-Rapperin“. – „Haben die Angst vor dem F-Wort?“, fragt Sookee. Das F-Wort meint Feminismus.

Über das Imageproblem des Feminismus, und was das für die #aufschrei-Debatte bedeutet, diskutierten die britische Feministin Angela McRobbie, #aufschrei-Erfinderin Anne Wizorek, Kulturwissenschaftlerin Nana Adusei-Poku, Rapperin Sookee und Aktivistin Jasmin Mittag. „There is more to sexism than meets the eye“ hieß die Posdumsdiskussion, zu der das Missy Magazin am Pfingstmontag ins HAU eigeladen hatte.

Feministinnen gelten als humorlos

„Vor dreißig Jahren hatte Feminismus einen legitimen Platz in der politischen Kultur“, sagt Angela McRobbie in ihrem Eröffnungsvortrag. Das ist vorbei. Heute gilt Feminismus als überholt. Frei nach dem Motto: Feminismus hatte eine wichtige Aufgabe, aber man darf es auch nicht übertreiben.

„Gleichberechtigung wird als selbstverständlich vorausgesetzt“, sagt McRobbie. Dabei wird sich immer noch überall ungeniert sexistischer Bilder und Geschlechterstereotypen bedient. In der Werbung, in Unterhaltungssendungen, im täglichen Sprachbrauch. Der Sexismus kommt mit einem Augenzwinkern daher, er tarnt sich als Witz. „War doch nicht so gemeint, stell dich nicht so an“, heißt es dann. „Damit werden die Kritikerinnen herabgesetzt“, ergänzt Anne Wizorek. Heute meint jede und jeder zu wissen, was Sexismus ist. Die Marketingabteilung hat Kulturwissenschaften studiert, sie weiß Bescheid: „Klar reproduziert unsere Werbung Stereotype, na und?“ Der Sexismus-Vorwurf wird abgeschmettert mit dem Verweis auf Humorlosigkeit. Die Feministin ist immer die Spaßverderberin.

"Für Frauen ist es schwer geworden, ernst zu sein“, sagt Angela McRobbie. Sie dürfen Forderungen stellen – aber lächelnd und freundlich bitte. McRobbie verweist auf das Buch der Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg „Lean in. Frauen und der Wille zum Erfolg“. Die erzählt in ihrem Buch von ihrem Erfolgsrezept: lächelnd netzwerken.

Vom Neoliberalismus verführt

Den Frauen wird durch Wahlfreiheit suggeriert, sie seien gleichberechtigt. Doch das Angebot war heuchlerisch. Sexistische Strukturen wirken weiter. Die Verantwortung für deren Auswirkungen wird auf die persönliche Ebene verschoben. „Für Frauen ist die Opferrolle heute nicht mehr annehmbar“, erklärt McRobbie. Sie anzunehmen macht die Frau zur Loserin. Zusätzlich wird sie als Feministin gebrandmarkt. „Die Konsequenz ist, dass die Frauen schweigen“, sagt McRobbie. Deswegen nehmen so wenige Frauen das F-Wort in den Mund.

Der Karriere-Feminismus á la Sheryl Sandberg hingegen ist breit akzeptiert. Er kommt von Konservativen, die sind frei vom Verdacht Feministinnen zu sein. In der CDU beispielsweise heißt es Gleichberechtigung, Quote oder Frauenförderung – aber nicht Feminismus.

Sexismus ist ein Prä-Butler-Begriff

Deshalb hat der #aufschrei so gut funktioniert. In der medialen Debatte stand der Begriff Sexismus im Fokus, nicht Feminismus. „Sexismus ist ein Prä-Butler Begriff“, sagt Nana Adusei-Poku. Er verfestigt Geschlechterrollen und stellt nicht die Gender-Frage – wie sie die Theoretikerin Judith Butler stellt. „Das Klischee vom Raubtier 'Mann', das seine Sexualität bändigen muss, wird ebenso bedient, wie das der verletzlichen Frau, die ihre Sexualität verbergen soll“, erklärt Angela McRobbie.

Die #aufschrei-Debatte verstand unter Sexismus vor allem sexuelle Belästigung. Hier hat die Bewegung etwas bewirkt: „Sexismus kann nun besser ausgesprochen und angesprochen werden“, bilanziert Anne Wizorek. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes bekommt mehr Anfragen und Beschwerden als früher. #aufschrei hat das Thema vielen Menschen ins Bewusstsein gebracht.

Aber Sexismus ist mehr als ein alter Mann, der eine junge Frau anmacht. Sexismus ist jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, und die wirkt auch durch gesellschaftliche Strukturen und kulturelle Muster. Da blendete die mediale #aufschrei-Debatte vieles aus. „Ich bin nicht zufrieden mit dem Verlauf der #aufschrei-Debatte“, sagt Anne Wizorek. Sie suggeriert, Sexismus treffe nur junge, schöne, erfolgreiche Frauen. „Ein Manko der #aufschrei-Debatte war sicher auch, dass sie nicht intersektional gedacht wurde“, sagt Anne Wizorek.

Ein #aufschrei weißer erfolgreicher Frauen

Für das Thema Intersektionalität sitzt Nana Adusei-Poku auf dem Missy-Podium. Intersektionalität beschreibt das Zusammenwirken verschiedener Diskriminierungsformen in einer Person. Es ging bei der #aufschrei-Debatte um erfolgreiche weiße Frauen. Die Kritik beschränkte sich auf ihre Erfahrungen. Sie wurde nicht gemeinsam gedacht mit Menschen, die andere Diskriminierungserfahrungen machen.

Muslima werden aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt. Gleichzeitig erfahren sie durch ihren Glauben Diskriminierungen. Diese Dimensionen der Diskriminierung müssen zusammen gedacht werden, denn sie wirken ineinander. Zum Beispiel wenn Frauenrechte herangezogen werden, um den Afghanistankrieg zu rechtfertigen.

„Die #aufschrei-Diskussion im Netz war viel breiter“, sagt Anne Wizorek. Nur schafften es nicht alle Stimmen in die Medien. Muslima wurden in der #aufschrei-Debatte nicht gehört. Die Medien bilden lieber den Feminismus ab, der sich nicht Feminismus nennen will. Auch die Medien haben Angst vor dem F-Wort.

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