„Immer mehr Schwule: Verdirbt der Feminismus Männern die Lust am Sex?“, fragt Walter im Forum wgvdl.com. Das Buchstabenhäufchen steht für die Frage: Wie viel Gleichberechtigung verträgt das Land? „Lieber 100 Prozent Single sein, als sich mit einer Falschbeschuldigerin, Abzockerin usw. abzugeben“, antwortet ein Nutzer.
Die Diskussionen in den maskulistischen Foren und Blogs folgen oft denselben Mustern. Männer sind Opfer, werden diskriminiert, und keiner schaut hin. Alle sähen immer nur die Frauen, die gefördert und bemitleidet würden. Wann ist endlich der Mann dran? Maskulismus ist eine Ideologie des Patriarchats. Ihre Vertreter legitimieren einen männlichen Überlegenheitsanspruch und wittern eine feministische Verschwörung in Politik und Gesellschaft. Aber was sind das für Männer, die diese Denkweise übernehmen? Für wen ist der Maskulismus attraktiv, und welche psychologischen Funktionen erfüllt er?
Trennungsschmerzen
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Geschlechtergefüge deutlich hin zu mehr Gleichberechtigung entwickelt. Der Philosoph Luca Di Blasi beschreibt in seinem Buch Der weiße Mann die Versuchung weißer heterosexueller Männer, diesen Abbau von Privilegien mit Diskriminierung zu verwechseln. In diese Falle tappen Maskulisten. Sie empfinden sich als Opfer einer Gesellschaft, deren Schaltstellen von Feministinnen beherrscht würden.
Robert Claus ist Sozialwissenschaftler an der Universität Hannover und hat für eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung die Diskussionen in maskulistischen Foren untersucht. „Einige Maskulisten geben an, persönliches Leid erfahren zu haben“, sagt Claus. Zwar gebe es keine quantitative Studie über Maskulisten, aber ein großer Teil der Diskussionen in Foren und Blogs drehe sich um Trennung und Scheidung, Unterhaltsstreitigkeiten und berufliche Misserfolge. Der Maskulismus liefert hier ein einfaches Feindbild: den Feminismus. Das erklärt das eigene Scheitern im Beruf – denn Quotenregelungen hätten einer weniger qualifizierten Bewerberin einen Vorteil verschafft. Es erklärt auch das Verhalten der Ex-Frau. Diese vernachlässige, angestachelt vom feministischen Frauenbild, die Familie, um selbst Karriere zu machen.
Individuelles Scheitern ist mit dem traditionellen Bild des starken Mannes nicht vereinbar. Die Erzählung des Maskulismus liefert aber ein Männerbild, das das Opfer-Sein beinhaltet und erklärt. Hier sind alle Männer Opfer einer vermeintlich feminisierten Gesellschaft. Die psychische Entlastungsfunktion macht den Maskulismus so attraktiv: Er verortet die Schuld überall, nur nicht beim Maskulisten selbst.
Wenn Maskulisten von Männern als Opfern einer feminisierten Gesellschaft reden, drehen sie dabei die Täter-Opfer-Rollenverteilung um. Männer werden zu Opfern der Frauen. Rolf Pohl, Professor für Sozialpsychologie an der Universität Hannover, nennt den psychologischen Mechanismus hinter dem männlichen Opfer-Denken „projektive Identifizierung“. Dieser Begriff aus der Psychoanalyse beschreibt eine Abspaltung als schlecht empfundener Persönlichkeitsanteile, die dann einer anderen Personengruppe zugeschrieben werden. „Das Konzept wird auch zur Analyse von Schuldabwehr im Umgang mit der NS-Vergangenheit in der deutschen Nachkriegsgeschichte herangezogen“, sagt Pohl. Weil sich die deutsche Gesellschaft nicht mit ihrer Schuld auseinandersetzen wollte, rückte die eigene Opfer-Erfahrung ins Zentrum der Debatte. Vertriebene, Flüchtlinge, Kriegsversehrte, Ausgebombte – das waren die Opfer des Krieges, nicht die Täter.
In unserer Gesellschaft haben Männer jahrhundertelang von patriarchalen Strukturen profitiert. Die eigenen Privilegien werden beim maskulistischen Opfer-Denken aber nicht einfach nur verdrängt, man identifiziert sich mit der gesellschaftlichen Position der Frauen und projiziert die Dominanz der eigenen Gruppe auf die Frauen beziehungsweise den Feminismus. „Das ist ein Weg, sich nicht mit den eigenen Konflikten, der eigenen Verantwortung auseinandersetzen zu müssen“, sagt Pohl.
In dieser Opfer-Logik werden auch andere gesellschaftliche Entwicklungen dem Feminismus angelastet. Eine der zentralen Thesen des Maskulismus lautet, dass der Feminismus die Familie kaputt mache. In der Tat gibt es eine Entwicklung, die Robert Claus „Marginalisierung der Reproduktionsarbeit“ nennt. Gemeint ist Folgendes: In vielen Familien reicht das Gehalt eines Elternteils heute nicht mehr zum Leben. Mitunter haben beide Elternteile sogar mehrere Jobs, um sich über Wasser zu halten. Das führt dazu, dass Eltern heute weniger Zeit für ihre Kinder haben als früher, als die Mutter noch ausschließlich für die Erziehungsarbeit zuständig war. Auch diese Veränderungen in der Arbeitswelt bringen eine Flexibilisierung der Geschlechterrollen mit sich. Also nicht nur neue Geschlechterrollen machen die Familie „kaputt“ – wie Maskulisten es ausdrücken würden –, sondern auch eine veränderte Arbeitswelt.
Feminismus, Gendertheorien in der Wissenschaft und die Bedürfnisse des Wirtschaftssystems greifen beim Entstehen flexiblerer Geschlechterbilder ineinander. Klar aber ist, der geschlechterpolitische Wertewandel verunsichert. Er greift in das Ureigenste des Menschen ein, in seine Identität. Wenn plötzlich nicht mehr klar ist, was als männlich gilt, was als weiblich, gehen Orientierungspunkte verloren. Maskulismus gibt diese klaren Rollenbilder zurück.
Hier sieht Sozialwissenschaftler Robert Claus die Gründe, wieso mitunter auch Frauen maskulistische Positionen vertreten. „Strikte Geschlechterbilder geben vermeintliche Sicherheit, traditionelle Familien mit ihrer klar geregelten Arbeitsteilung ein trügerisches Gefühl von Ordnung“, sagt Robert Claus. „Sie lassen dabei wenig Raum für eigenen Gestaltungsspielraum, individuelle Entwicklung und Ambivalenz zu.“ Aber eindeutige Geschlechterbilder befreien auch von Verantwortung. Denn eigenes Verhalten kann auf scheinbar biologisch determinierte Eigenschaften zurückgeführt werden.
Dennoch sind Frauen bei den Maskulisten klar in der Minderheit. Allerdings gehen Maskulisten nicht selten Allianzen mit christlichen Familienfundamentalisten ein, organisieren zum Beispiel gemeinsam einen Kongress. Hier sind Frauen weitaus häufiger vertreten und aufgrund der großen inhaltlichen Schnittmengen erscheinen diese Frauen dann auch als Maskulistinnen. „Und der Maskulismus stellt sich gerne als geschlechterübergreifende Bewegung dar“, sagt Claus. Frauen auf den Podien maskulistischer Veranstaltungen sind daher auch keine Seltenheit.
In den Foren und Blogs aber bewegen sich fast nur Männer. Das lasse sich aus den jeweiligen persönlichen Geschichten ableiten, aber auch aus einem starken Frauenhass und einer sexualisierten Sprache, erklärt Claus. Nicht alle Diskutierenden sind Maskulisten, die Übergänge sind da fließend. Männer, deren Beziehung oder Karriereweg gescheitert ist, die sich von Gendertheorie und Veränderungen im Geschlechterverhältnis verunsichert fühlen – sie alle finden in den Foren Gleichgesinnte. „Hier werden sie in ihrem sexistischen Denken durch Nutzer mit geschlossenem maskulistischem Weltbild radikalisiert“, sagt Claus.
Morddrohungen im Netz
Maskulisten schwärmen von ihren Foren aber auch ins Netz aus, einige von ihnen verabreden sich gezielt, um die Kommentarspalten von Onlinemedien zu entern, wenn diese profeministische Texte veröffentlichen. Oder sie attackieren Feministinnen direkt. Zum Beispiel die Bloggerin Anita Sarkeesian, die in ihrer Webserie Tropes vs. Women Rollenklischees und sexualisierte Gewalt in Videospielen anprangerte. Ihre Kritiker entwickelten das Spiel Beat Up Anita Sarkeesian, beleidigten und bedrohten sie, sodass sie schließlich Polizeischutz bekommen musste. Hier schwappte die virtuelle Gewalt aus den Foren plötzlich zurück in die reale Welt.
Das bekannteste Beispiel, bei dem die verbale Gewalt aus dem Netz in physische Gewalt umschlug, ist der norwegische Attentäter Anders Behring Breivik. Sein 1.500-Seiten-Manifest war nicht nur islamfeindlich und rassistisch, er hetze auch seitenweise gegen Frauen und den Feminismus. Breivik baute eine ideologische Brücke nach rechts. Über diese zu gehen, würden sich die meisten Maskulisten sicher weigern – aber es gibt sie.
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