Nach ein paar Sekunden hat die Drohne zehn, zwanzig Meter Höhe erreicht. Die Gruppe der linken Demonstranten erscheinen wie Spielfiguren. Dahinter rennen 18 Polizisten weißbehelmt den Bürgersteig der Warschauer Prachtstraße entlang, in Richtung Verfassungsplatz, wo sich polnische Nationalisten zum Nationalfeiertag versammelt haben. Feuerwerkskörper schießen über Altbauten, Rauchwolken steigen auf, hier und da blitzt es. Später gehen Scheiben zu Bruch. Der Apparat mit den vier Rotoren und der Kamera erkundet die Gegend. Besonderes Augenmerk richtet er auf die Polizei-Einheiten.
Inzwischen setzen nicht mehr nur Behörden Drohnen ein. Demonstranten greifen selbst auf die Technik zurück, um wie am 11. November 2012 in Warschau „
au „die Gegenseite“ zu überwachen oder Übergriffe der Polizei zu dokumentieren. Schon zum G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 hatten Aktivisten des Chaos Computer Clubs (CCC) eine erste Drohne in die Luft geschickt. „Das ist ein Ausgleich der Möglichkeiten“, sagt CCC-Mitglied Andreas Steinhauser.In größerem Stil ist das erst seit Kurzem möglich: Denn erst jetzt sind die Quadrokopter – Hubschrauber-Drohnen mit vier Rotoren – auch für den Privatmann bezahlbar und so ausgereift, dass sie sich von Laien bedienen lassen. Quadrokopter fliegen stabiler als herkömmliche Modellhubschrauber und driften weniger leicht ab. In wenigen Jahren hat sich aus einer Hand voll Bastlern eine veritable Szene entwickelt. Ihre Mitglieder tüfteln an Drohnen für den Hausgebrauch – und setzen sich nicht nur mit technischen Fragen auseinander: Wollen sie überhaupt eine Welt, in der jedermann ein mit Sensoren vollgestopften Flugroboter aufsteigen lassen kann? Was sind die Risiken, was die Chancen? Wie weit darf der Staat, wie weit darf der Einzelne gehen?Das Ziel: ein fliegendes Auto Norbert Tiedt hat seine erste Drohne vor fünf Jahren gekauft, da steckte die Quadrokopterszene noch in den Kinderschuhen. „Ich war vom ersten Tag an dabei“, sagt der Frührentner aus Berlin. Tiedt kaufte damals ein Aluminiumkreuz aus dem Baumarkt, bestellte vier Motoren und lernte, Metallteile zusammen zu löten, die kleiner als ein Reiskorn waren.Die ersten fertigen Modelle hatten noch Macken, wie das „X-Ufo“, einer der ersten Quadrokopter, der mit 100 Euro für jedermann zu bezahlen war. Ein Spielzeug. Nur fünf Minuten blieb der Apparat in der Luft. „Bei jedem Windstoß stürzte er ab und in der Luft konnte er nur langsam vor sich hinschweben“, erzählt Tiedt.Inzwischen hat sich viel getan. Mit einem Fingertippen auf die Fernbedienung springen die Rotoren an und Tiedts Drohne schwebt etwa einen halben Meter über dem Boden. Handelsübliche Quadrokopter können inzwischen 20 Minuten fliegen und eigenständig Hindernisse erkennen. Selbst starker Wind kann den meisten nichts mehr anhaben. Dank GPS wissen sie immer genau, wo sie sind und können selbstständig Punkte abfliegen, die der Benutzer vorher ausgewählt hat – etwa im Internet über Google Maps. Für Hobbybastler wie Tiedt ist das Programmieren des Flugapparats inzwischen zur größten Herausforderung geworden. „An meinem letzten Quadrokopter konnte ich 180 Parameter einstellen“, sagt er.Wenn Tiedt seine Drohnen fliegen lässt, dann nur im Garten, auf Feldern oder offenen Flächen, wo er seine Modelle immer im Blick hat – außer Sichtweite ist verboten. Praktisch wäre ein illegaler Flug aber kein Problem. Heute kann sich jeder für knapp 200 Euro über den Versandhändler Amazon einen Parrot-Quadrokopter kaufen. Laut Herstellerangaben ist das Gefährt mit zwei Kameras ausgerüstet, hat eine Reichweite von 50 Metern und lässt sich sogar über das Smartphone steuern.Zum harten Kern der Szene zählen etwa 300 Leute, schätzt Tiedt. Normalerweise tauschen sich die Drohnenbastler in Internetforen aus, aber ein paar Mal im Jahr treffen sich in Sporthallen, um ihre Eigenbauten zu präsentieren. Und einmal jährlich findet die Leistungsschau „Motodrone“ auf einem alten Militärflugplatz im brandenburgischen Finowfurt statt. Dort disktutieren die Hobbyflieger dann auch Überwachungsszenarien.Um die Risiken und Chancen von Drohnen bewerten zu können, müsse man die Technik selbst ausprobieren, sagt Andreas Steinhauser, der auch Mitgründer des Vereins Motodrone ist, welcher das „autonome Fliegen“ fördern will. Die Ziele der meisten Drohnenbauer ähneln den von Hackern: Sicherheitslücken aufspüren und die Technik ausreizen. Er könne sich gut vorstellen, dass Greenpeace oder Amnesty International Drohnen sinnvoll einsetzen werden, sagt Steinhauser, etwa um hinter Mauern und Barrieren zu gucken. Demonstranten aber, welche Drohnen einsetzen, würden heute oft noch für Zivilpolizisten gehalten werden. Steinhauser ist sich bewusst, welche Folgen die Drohnentechnik für die Gesellschaft haben könnte: Papparazzi, die mit Drohnen vor die Balkone von Prominenten steuern. Terroristen, die ein mit Sprengstoff behängtes Flugzeug in ein Fußballstadion fliegen lassen. Ein Überwachungsstaat mit Tausenden fliegender Kameras.Vor sechs Jahren noch applaudierten die Teilnehmer des Chaos Communication Congresses, als Andreas Steinhauser in der Halle des Berliner Congress Centers eine Drohne abheben und sicher wieder landen ließ. Heute kann das jeder. Die CCC-Mitglieder debattieren inzwischen darüber, wie Drohnen selbstständig in geschlossenen Räumen fliegen können und wann die Entwicklung der Akkus soweit sei, bis Hobbybastler ein „fliegendes Auto“ bauen können – eine Drohne, die einen Menschen transportiert.