Die unsichtbare Macht

Motive Warum gibt jemand brisante Unterlagen an die Öffentlichkeit? Der Whistleblower und seine Stiefbrüder – eine Typologie

Manchmal sind sie wie Geister. Wenn Geheimunterlagen auftauchen, die einen Skandal beweisen, dann reden alle über den Fall – und der Absender bleibt unbekannt. Wikileaks funktioniert deshalb, weil es seinen Zuträgern Anonymität garantiert. Andernfalls, so die Begründung, ließen sich diese schnell brandmarken und müssten um ihren Arbeitsplatz, ihre Freiheit oder gar Gesundheit fürchten. Doch nicht alle Hinweisgeber handeln aus selbstlosen Motiven. Oft werden Originaldokumente gezielt „durchgestochen“, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Bisher gehört die Bewertung solcher Angebote vor allem zum Geschäft von Leitmedien wie etwa dem Spiegel. Sollte das Whistleblowing über das Internet jedoch weiter an Bedeutung gewinnen, stellt sich für alle die Frage: Wer sind die Geister, die Geheimpapiere, Polizei- und Militärberichte, Ermittlungsakten oder private E-Mails an die Öffentlichkeit geben? Eine Typologie.

1. Der Altruist

Der idealtypische Whistleblower handelt uneigennützig und meldet Missstände meist erst in seinem Unternehmen selbst, in der Behörde, in der Partei. Erst wenn der Alarm nichts bewirkt, wendet er sich an Journalisten, Anwälte oder Gewerkschaften. Das Problem: Die Arbeitgeber wissen meist, wer sich vorher intern beschwert hat und können den Hinweisgeber schnell ausmachen.

Wer geht ein solches Risiko ein? Das fragten die Kommunikationswissenschaftler Marcia Miceli und Janet Near im Jahr 1996 und befragten Whistleblower in den USA. Ihr Ergebnis: Der typische Hinweisgeber ist schon etwas älter, männlich, gebildet und verdient gut. Auf Deutschland lässt sich dieses Ergebnis aber womöglich nur bedingt übertragen. Rainer Buchert, Ombudsmann für Korruptionsfälle bei VW, Lufthansa und dem Roten Kreuz, sagt: „Da ist alles dabei: jung, alt, Frau, Mann, im Unternehmen, außerhalb des Unternehmens.“

2. Der Informant

Weitaus häufiger kommt es vor, dass Informanten sich direkt an Massenmedien wenden, mit der Bedingung, dass ihre Namen nicht genannt werden. Ein Grund dafür: Sie haben Angst, gemobbt zu werden oder ihren Arbeitsplatz zu verlieren, wenn herauskommt, dass sie ihren Arbeitgeber angeschwärzt haben. „Die Krux ist: Der Informant wird geschützt, nicht aber der, der zuerst versucht hat, die Missstände intern zu melden“, beklagt Johannes Ludwig, Medienwissenschaftler an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg.

Im Gegensatz zum Altruisten mischen sich in die Motive des Informanten auch eigene Interessen – seien es finanzielle oder politische. Letzteres ist etwa der Fall, wenn Mitarbeiter in Ministerien nach einem Regierungswechsel eine Politik umsetzen müssen, die sie für falsch halten und daher gezielt interne Informationen lancieren. Medien wie der Spiegel und der Stern leben von ihren Informanten. Sie haben sich ein breites Netz aufgebaut und werden regelmäßig mit Interna versorgt.

3. Der Denunziant

Ein Denunziant handelt anders als der Altruist und der Informant nicht aus moralischen oder politischen Motiven, sondern um sich zu rächen oder die Karriere zu fördern. „Nicht jeder ist der edle Whistleblower, manche handeln auch aus Rachsucht“, sagt Christiane Schulzki-Haddouti von der Initiative Nachrichtenaufklärung, einer medienkritischen Organisation von Journalisten und Wissenschaftlern. VW-Ombudsmann Rainer Buchert hält die Fälle von Denunziation allerdings für selten. Buchert ist der erste Ansprechpartner, wenn Mitarbeiter Missstände melden. Zu 95 Prozent seien das Menschen, die Straftaten nicht ertragen könnten, sagt der Rechtsanwalt. Natürlich gebe es auch solche, die alte Rechnungen begleichen und sich an ihren Chefs rächen wollen oder Ehepartner, die im Scheidungsstreit ihren Partner belasten. „Doch das ist die absolute Ausnahme“, sagt Buchert.

4. Der Spin-Doctor

Auch der Spin-Doctor gibt brisante Informationen heraus. Ihm geht es darum, die öffentliche Meinung zugunsten seines Arbeitgebers oder seiner Organisation zu beeinflussen. Behörden, Parteien oder Geheimdienste geben „geheime Informationen“ an die Presse, um eine Debatte anzustoßen oder wohlgesonnene politische Gruppen zu unterstützen. Jüngstes Beispiel ist möglicherweise die aktuelle Debatte um die Datenvorratsspeicherung: Am 3. Oktober veröffentlichte Welt Online ein als Verschlussache tituliertes Papier des Bundeskriminalamtes (BKA), in dem sich die Bundespolizisten beklagen, sie seien in vielen Fällen machtlos, weil sie an bestimmte Telefon- und Internetverbindungen nicht mehr herankämen. Wasser auf die Mühlen der CDU. Die will ihr Profil in der Regierungskoalition schärfen und schnell ein Vorratsdaten-Gesetz auf den Weg bringen – was die FDP ablehnt. Die warf dem BKA vor, Öffentlichkeitsarbeit gegen die Liberalen zu betreiben.

5. Der Manipulierer

Auch wer zum richtigen Zeitpunkt Zweifel streut, kann Politik machen. Wie das funktioniert, zeigt womöglich die „Climate Gate“-Affäre: Kurz vor der Kopenhagener Klimakonferenz im November 2009 wurden Hunderte von E-Mails anonym veröffentlicht. Aus denen ging hervor, dass Forscher der East-Anglia-Universität Klimadaten gefälscht haben sollen, um die Gefahr der Erderwärmung hochzuspielen. Die Datensätze der Forscher waren in den Sachstandsbericht des Weltklimarates aufgenommen worden. Kurz nach der Konferenz kam jedoch der Verdacht auf, dass die E-Mails manipuliert worden waren, mit dem Ziel, die Klima-Warnungen als überzogen darzustellen. Egal, ob das nun wahr ist oder nicht – Zweifel waren jedenfalls geweckt.

Benjamin von Brackel ist Journalist und freut sich, wenn Whistleblower sich bei ihm melden

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