Als Norbert Röttgen vergangene Woche neben seinem Rivalen Philipp Rösler Platz nahm, um den Kompromiss zur Energieeffizienz-Richtlinie und der Kürzung der Solarförderung zu verkünden, sprach er viel von „industrieller Wettbewerbsfähigkeit“, von „Versorgungssicherheit“ und „Preisstabilität“. Nur ein Wort fehlte in den Aufzählungen des Bundesumweltministers: „Klima“.
Seit dem Scheitern der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen vor zwei Jahren ist Deutschland, ja ganz Europa, in Lethargie verfallen. Kaum ein Land traut sich noch, ambitionierte Ziele in der Klimapolitik zu fordern. Zwar hat sich Europa verpflichtet, bis 2020 ein Fünftel weniger Treibhausgase auszustoßen als noch 1990. Das wird wohl auch gelingen. Doch fehlt jede Debatte, was danach kommt. „Verglichen mit den Jahren 2007 bis 2009 ist die EU in Sachen Klimapolitik in einer absoluten Schaffenskrise“, sagt Severin Fischer von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und Autor des Buchs Auf dem Weg zur gemeinsamen Energiepolitik.
Auf dem Klimagipfel in Kopenhagen waren die Europäer mit ihren ehrgeizigen Zielen nahezu ignoriert worden. Vor allem Umweltminister Röttgen, damals frisch im Amt, wirkte nach der Konferenz ernüchtert. „Kopenhagen hatte einen desaströsen Effekt auf ihn“, sagt Hermann Ott, klimapolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion. „Seitdem ist er vorsichtig geworden, fast schon ängstlich.“ Vergeblich mühte sich Röttgen seither um auch nur minimale Fortschritte im internationalen Klimaschutz.
Atomausstieg zuerst
Aber auch die „Klimakanzlerin“ Angela Merkel setzte neue Prioritäten. Die Nuklearkatastrophe in Japan vor einem Jahr kehrte in Deutschland die Energiepolitik um: Priorität hat nun der Atomausstieg. Wenn es nach Wirtschaftsminister Rösler geht, sollen bis 2020 Gas- und Kohlekraftwerke mit einer Leistung von insgesamt 20 Gigawatt gebaut werden. So soll der Wegfall des Atomstroms und die Schwankungen von Wind- und Solarkraftwerken ausgeglichen werden. Doch das bedeutet: mehr Treibhausgase.
Derzeit dominiert ohnehin nur ein Thema – die Finanz- und Schuldenkrise. Von einem grünen Europa redet EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso nicht mehr, dafür von einem solidarischen. Energiepolitik wird nicht mehr mit Moral begründet, sondern mit Wirtschaftlichkeit. „Was früher Klimaschutz hieß, heißt heute Ressourceneffizienz“, sagt Fischer.
Langfristige Klimaziele bleiben so auf der Strecke. Zwar tauchen in der EU-Kommission immer wieder „Fahrpläne“ auf, wie Europa bis 2050 bis zu 80 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen könnte, um den Anstieg der Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Doch die Papiere wurden bisher alle kassiert. So weigerte sich Polen, die „Klima-Roadmap“ von EU-Kommissarin Connie Hedegaard auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Im Dezember stellte Energiekommissar Günther Oettinger seine „Energie-Roadmap“ vor, die mehrere Szenarien aufzeigt, wie CO2 europaweit eingespart werden kann – unter anderem mit Hilfe der Atomenergie, der Erneuerbaren oder der Speicherung von CO2 unter der Erde. Energieexperte Fischer meint aber, es sei nicht damit zu rechnen, dass sich die Staats- und Regierungschefs mit den „Denkübungen“ ernsthaft auseinandersetzen.
Wie zwei Junkies
Anders als noch 2007 fehlen in der EU die Antreiber Deutschland und Frankreich. Zudem weigern sich süd- und osteuropäische Staaten, über das 20-Prozent-Ziel hinauszugehen. Polen etwa setzt in seinem Energiemix vor allem auf Kohlekraftwerke. Die Blockierer würden Fischer zufolge strengere Regeln wohl nur akzeptieren, wenn es zu einem internationalen Durchbruch käme.
Aber danach sieht es nicht aus. Mit Mühe und Not wurde der Prozess auf der Klimakonferenz im südafrikanischen Durban Ende letzten Jahres am Leben erhalten. Bis 2015 soll es ein Kyoto-Nachfolgeabkommen geben, das 2020 in Kraft tritt. Doch gleich nach Gipfelende folgte wieder Ernüchterung; Kanada kündigte an, aus dem Kyoto-Protokoll auszusteigen. China und die USA, die größten Emittenten, stehen weiter abseits. Deshalb plädiert der Grüne Ott für eine „Allianz der Ambitionierten“. Teilnehmen sollen nur Länder, die auch wirklich Willens sind, den Klimaschutz voranzubringen. Denn bisher hätten sich die Teilnehmer auf den Klimagipfeln so verhalten wie zwei Junkies: Der eine will etwas mehr aufhören als der andere. Mit dem Vorbehalt: „Aber nur, wenn du auch aufhörst.“
Ein Teufelskreis: Weil der internationale Druck verpufft ist, fehlt auch in Europa der Elan. Kaum einer redet noch über das Ziel, 30 Prozent weniger Treibhausgase bis 2020 auszustoßen. Das war für den Fall eines globalen Klimaabkommens vorgesehen, doch fordern Umweltaktivisten schon lange, die EU solle damit einseitig vorangehen. Dänemark, die aktuelle Ratspräsidentschaft, schlug 25 Prozent vor. Weil das Musterland in Sachen erneuerbaren Energien damit aber auf wenig Interesse stieß, konzentrierte es sich auf Energieeffizienz und verwies die Klimaziele auf die nachfolgenden Ratspräsidentschaften: Das Krisenland Irland und den Kleinstaat Zypern.
Strengere Klimaziele braucht es aber auch, um den aus den Angeln geratenen Emissionshandel wieder einzuhängen. Weil in der Finanz- und Schuldenkrise die EU-Länder weniger Energie verbrauchen und etwa Deutschland den Ausbau erneuerbarer Energien fördert, werden deutlich weniger Emissions-Zertifikate benötigt. Der Preis für die CO2-Rechte hat sich auf etwa acht Euro pro Tonne halbiert. Die Folge: Der Anreiz, in klimafreundliche Technologien zu investieren, nimmt ab. Kohle und Erdgas werden attraktiver. Der Emissionshandel, der etwa die Hälfte des CO2-Ausstoßes in Europa abdeckt, wendet sich gegen seinen eigentlichen Zweck: Der Klimawandel wird nicht gebremst. In Brüssel berät man deswegen darüber, die Menge an Zertifikaten für die nächste Handelsperiode ab 2013 zu verknappen, damit die Preise für Verschmutzungsrechte wieder steigen. Doch was passiert, wenn die Konjunktur anzieht und die Zertifikate unbezahlbar werden?
Auch über die Ausweitung des Emissionshandels auf den EU-Luftverkehr wird heftig gestritten. Die EU will ab 2013 Fluggesellschaften verpflichten, für Flüge nach Europa Zertifikate zu kaufen. Die USA, Russland und China wehren sich jedoch heftig. Selbst in Deutschland haben Skeptiker des Klimawandels Rückenwind. Zuletzt machte das Buch des RWE-Managers Fritz Vahrenholt Die kalte Sonne Schlagzeilen und fand reißenden Absatz in den Buchläden.
Hermann Ott hofft, dass der klimapolitische Stillstand trotzdem aufbricht. Die Politik ändere sich mitunter von einem Tag auf den anderen. Ott verweist auf den Umschwung der CDU bei der Kür des Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck. Andererseits hätte Standhaftigkeit in diesem Fall dem Klima vielleicht mehr genützt: Mit Klaus Töpfer wäre ein echter Antreiber der Energiewende im Schloss Bellevue eingezogen.
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