Konsequent unkonkret

Linke Die neue Spitze hat es geschafft, die Selbstblockade der Partei zu lockern. Aber die eigentliche Herausforderung heißt, große Themen zu finden

Manchmal bringen schon kleine Dinge das schönste Konzept aus dem Tritt. Da hat die Linke ein Blog eingerichtet, um ihre Mitglieder über die Strategie für die Bundestagswahl mitreden zu lassen und in die Partei hineinzuhorchen. „Die Linke wird digital, und das Netz wird rot!“, jubelte Bodo Ramelow, Fraktionschef der Linken in Thüringen. Dumm nur, dass sich auf der Startseite sofort eine Diskussion über Zensur entspann, weil ein Nutzer namens Rudi Dutschke die Löschung seiner Antworten anprangerte. „So funktioniert keine Netzfreiheit der Linken!“, empörte sich Rudi.

Sei’s drum. Die neuen Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger haben beschlossen, über solche Kleinigkeiten hinwegzusehen und sich die gute Laune und die Aufbruchstimmung nicht verderben zu lassen. Bisher hat ihre Charme-Offensive gefruchtet. Und auch der Führungsansatz der neuen Spitze scheint aufzugehen: vor allem nicht negativ auffallen. „Ein Glückwunschschreiben an Fidel Castro ist von ihr nicht zu erwarten“, scherzt der Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich.

Die Kunst des Zuhörens

Das neue Führungsduo, das Anfang Juni unter dramatischen Umständen beim Göttinger Parteitag ins Amt kam, setzt sich bewusst von den Vorgängern Klaus Ernst und Gesine Lötzsch ab. Kipping und Riexinger versuchen, mehr nachzufragen, zuzuhören und sich weniger abzuschotten. Sie touren durch die Republik zu Regionalkonferenzen, treffen Landesvorsitzende. Massentelefonkonferenzen sind geplant. Und in diese Strategie passt eben auch das Blog. „Wir wollen die Kunst des Zuhörens praktizieren“, schreiben Kipping und Riexinger etwas gestelzt in ihrem 120-Tage-Programm: Die Versöhnung der Partei hat Priorität.

Nur vereinzelt fielen die Genossen in den vergangenen Wochen in alte Muster zurück. Etwa als Fraktionschef Gregor Gysi eine Spitzenkandidatur von Sahra Wagenknecht bei der Bundestagswahl 2013 ablehnte. Oder als Parteimitglieder forderten, dem neuen Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn für den Bundestagswahlkampf Ulrich Maurer zur Seite zu stellen. Das Reformerlager, dem Höhn angehört, war empört, nahm es doch an, Mauer solle von Ex-Parteichef Oskar Lafontaine als eine Art Aufpasser installiert werden. Riexinger – der in Göttingen für das Lafontaine-Lager an die Spitze kam – löste den Konflikt elegant: Der Bundesgeschäftsführer habe in Sachen Wahlkampf „den Hut auf“, sagte der Parteichef – wohl auch als Beweis seiner Eigenständigkeit.

"Wo ist das Signal?"

Natürlich ist der Grundkonflikt zwischen den Lagern nicht gelöst. Gysi hatte in Göttingen ja von regelrechtem Hass gesprochen. „Wo ist das große Signal, dass das vorbei ist?“, fragt Gero Neugebauer, Parteienforscher von der FU Berlin. „Die neue Führung verunsichert die Partei nicht, aber die Partei verunsichert die Führung.“ Auch Liebich meint: „Die Nagelprobe steht noch aus.“

Gemeint ist vor allem die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl. Liebich ist für ein Duo Lafontaine/Gysi, weil beide die „besten Wahlkämpfer“ der Partei seien. Andere aus dem Lafontaine-Lager wie Heinz Bierbaum sähen gerne Wagenknecht in einer wichtigen Rolle, wenn deren Lebensgefährte Lafontaine nicht antreten wolle. Dagegen sperrt sich jedoch Gysi. Der Plan bisher: Die Parteiführung schlägt Spitzenkandidaten vor, und der Bundesvorstand entscheidet. Das aber steht wohl erst nach der Niedersachsen-Wahl im Januar an. Man wolle den Fehler der Grünen vermeiden, sich über Monate mit der Spitzenfrage zu quälen, heißt es in der Partei.

SPD schnappt das Thema weg

Die größte Herausforderung liegt aber wohl woanders: Mit welchen Themen kann die Linke noch mobilisieren? Derzeit bewegt sich die Partei in den Umfragen zwischen sechs bis sieben Prozent und müht sich vergeblich, etwas Zündendes zu finden. Denn zum einen besetzt die SPD die Themen der Linken. So preschte Parteichef Sigmar Gabriel Ende vergangener Woche mit aggressiver Banken-Schelte vor: Die Exzesse der Finanzmärkte will er zum Wahlkampfthema 2013 machen, wie er in einem Positionspapier schrieb. Ganze Satzfragmente von Lafontaine und Wagenknecht fanden sich dort wieder. Ähnlich erging es den Linken schon mit dem Mindestlohn.

Die gewohnte Reaktion der Parteiführung wirkt eher hilflos: Man freue sich, wenn andere Parteien die eigenen Positionen übernähmen. Und man werde die SPD an ihren Worten messen. Auch in Sachen Vermögenssteuer ähneln sich die Positionen von SPD, Grünen und Linken. Nur mit dem Vorschlag einer Deckelung des Monatseinkommens bei 40.000 Euro geht Kipping darüber hinaus.

Der Partei sei der „Treibstoff ausgegangen“, sagt Neugebauer. Auch wenn Hartz IV als rotes Tuch immer noch Kräfte in der Partei freisetzt, ist die Empörung gegenüber 2005 oder 2009 doch abgeflaut. Das Thema müsse neu übersetzt werden, meint Liebich: Der selbstständige Computerfachmann in Prenzlauer Berg müsse genauso angesprochen werden wie der Metallarbeiter in Baden-Württemberg. Mit diesem Herunterbrechen abstrakter Themen auf die Lebenswelten der Menschen tut sich die Partei aber immer noch schwer, wie Neugebauer analysiert.

Tabu gelockert

Das gilt auch für die neue Spitze. Bei ihrem Sommerinterview kürzlich trieb Kipping ZDF-Mann Thomas Walde schier in den Wahnsinn, weil sie seine konkreten Fragen konsequent mit Allgemeinplätzen konterte. Doch erhoffen sich auch viele Linken-Wähler statt Systemkritik konkrete Linderung ihrer Probleme. Für die Linke rächt sich der ewige Oppositionsstatus.

Das sehen auch viele in der Partei. Ein Bündnis im Bund ist deshalb kein Tabu mehr. „Das hat sich gelockert“, sagt Bierbaum, stellvertretender Parteivorsitzende aus dem Saarland. Auch weil Kipping als Gründungsmitglied des linken Think Tanks Institut Solidarische Moderne seit Längerem den Kontakt zu Grünen und SPD pflegt. Als Bedingungen für eine Koalition im Bund gelten zwar die roten Haltelinien, die auf dem Erfurter Parteitag Ende 2011 beschlossen wurden – etwa Hartz-IV abschaffen oder Auslandseinsätze der Bundeswehr verhindern. Bierbaum meint aber, das sei eher eine Diskussionsgrundlage: „Die Haltelinien sollten wir nicht wie eine Monstranz vor uns hertragen.“

Dass es 2013 zu einer rot-rot-grünen Koalition kommt, glauben dennoch die wenigsten in der Partei. Zumal die SPD kein Interesse zeigt. Das wiederum könnte dem Wahlkampf der Linken in die Hände spielen: Wenn der Eindruck entsteht, die SPD schiele ohnehin nur auf eine große Koalition, könnte das die Wähler dazu animieren, die Linke zu wählen. Wenn sie denn bis dahin wissen, warum sie das tun sollen.

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