Es schien, als hätte sich die Linke nach dem Parteitag in Göttingen die Mahnung ihres Fraktionschefs zu Herzen genommen. Gregor Gysi hatte vor der Spaltung der Partei gewarnt. Beide Seiten, Reformer und Fundis, hielten fortan still. Ihren Anteil daran hatten die neuen Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger.
Dass aber der Neuanfang die Probleme nicht gelöst hat, sondern nur überdeckt, beweisen jetzt zwei Streitfälle im Osten der Republik. Die könnten den Konflikt der beiden Lager wieder aufflammen lassen. Und dahinter steht wieder vor allem der Streit über das Verhältnis der Partei zur SPD.
Der erste Schauplatz ist das Ostseestädtchen Stralsund. Hier wehrt sich der örtliche Kreisverband gegen seine Auflösung. Die hatte der Landesv
hatte der Landesvorstand vorangetrieben, weil nach einer Kreisgebietsreform Stralsund mit Vorpommern-Rügen fusionieren soll. Aber geht es hier nur um die Struktur oder um mehr?Fakt ist, dass auf dem Göttinger Parteitag ein Riss durch den Landesverband ging, ob dieser den Reformer Dietmar Bartsch unterstützen sollte. Fakt ist auch, dass der Kreisverband Stralsund mit dem Landesvorstand seit längerem über Kreuz liegt. Die streitbare Kreischefin Marianne Linke kritisiert den Landesverband für Funktionärstum und Anpassung an die SPD. „Wenn unsere Politik konturlos wird, verlieren wir Wähler“, sagt sie dem Freitag.Pluralität und ProvokationVorangetrieben hat die Auflösung des Kreisverbands Steffen Bockhahn, der dem Reformerlager zuzurechnen ist. Inzwischen ist er als Landesparteichef überraschend zurückgetreten. Er wolle sich auf seinen Sitz in der Rostocker Bürgerschaft konzentrieren und sein Direktmandat bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr verteidigen, begründete das der 33-Jährige.Heidrun Bluhm, die neue Landeschefin der Linken, sieht vor allem persönliche Animositäten als Ursache des Konflikts. Gegen den Vorwurf, einen unliebsamen Kreisverband mundtot zu machen, wehrt sie sich: „Bei uns herrscht Meinungsfreiheit und Pluralität.“ Stralsund sei der einzige Kreisverband, der sich der Gebietsreform nicht gefügt habe. „Der Kreisverband hat den Landesvorstand herausgefordert“, sagt Bluhm.Zunächst scheiterte der Antrag auf Auflösung an der fehlenden Zwei-Drittel-Mehrheit auf einem Landesparteitag. Doch ließ der Landesvorstand nicht locker und übertrug die Sache einer Landesschiedskommission. Die entschied für die Auflösung. Der Kreisverband wiederum pocht weiter auf seine Eigenständigkeit. „Ich halte die Entscheidung politisch wie demokratisch für nicht vertretbar“, sagt die ehemalige Landessozialministerin Linke.Zunächst werde sie auf die Begründung der Landesschiedskommission warten und dann entscheiden, ob der Kreisverband Rechtsmittel einlege. Landeschefin Bluhm will erst alle richterlichen Entscheidungen abwarten, bevor sie einen Sonderparteitag einberuft. Der Streitfall Stralsund wird damit ins Wahljahr 2013 getragen.Zurück in die ZukunftDer Streit wirkt ziemlich kleinteilig, doch schlagen die Wogen längst hoch, auch außerhalb des Bundeslandes. „Zurück in die Zukunft der SED?“, fragt Wolfgang Nešković, bis Mitte der Woche Justiziar der Linksfraktion im Bundestag, auf seiner Homepage und konstatiert: „Auch über 20 Jahre nach der Wende haben Teile der Partei Die Linke größte Mühe, einfachste Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu beachten.“Nešković steht selbst im Zentrum eines anderen innerparteilichen Kampfes. Der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof saß als parteiloser Abgeordneter für die Linke im Bundestag und hat sich nun aber aus der Fraktion verabschiedet. "Politiker sollen die Interessen der Volkes vertreten", schreibt er in einem offenen Brief an die Wählerinnen und Wähler seines Wahlkreises Cottbus/Spree-Neiße. "Wenn Parteitaktik und Machtstreben diesen Auftrag zur Makulatur werden lassen, wird Widerständigkeit zur Pflicht."Von Fraktionschef Gysi war Nešković lange umworben und 2005 überredet worden, für die Linke in den Bundestag zu gehen. Gysi hätte es gern gesehen, dass Nešković im Westen die neugegründete Partei mit aufbaut. Doch der ging in den Osten. Dort wurde er von Pragmatikern in der Partei als „ungeliebter Westimport“ gesehen, wie es in der Süddeutsche Zeitung hieß. Als Stachel im Fleisch des Reformerlagers im Osten.Sprechblasen-Ämter-TaktiererDie Pragmatiker brachte er gegen sich auf, als er im Frühjahr während der Suche nach einem neuen Spitzenduo den Reformer Bartsch als „Sprechblasenfacharbeiter“ bezeichnete. Ein andermal nannte er ihn einen „politischen Taktierer und Ämtersammler“. Das Reformerlager wollte sich das nicht bieten lassen – nicht auf eigenem Territorium und noch dazu von einem Nichtmitglied.Auch mit seiner Kritik an der rot-roten Landesregierung in Potsdam hat Nešković bei Parteikollegen in Brandenburg für Unmut gesorgt. Er monierte, dass die Linke im Koalitionsvertrag die Braunkohleförderung mittrug. Seine Partei habe bei der Verteilung der Ministerposten schlecht abgeschnitten und es nicht vermocht, die versprochenen 15.000 öffentlichen Stellen zu schaffen. „Das Bild einer nach Harmonie trachtenden Koalitions-Linken lässt die Frage nach politischen Schmerzgrenzen aufkommen“, schrieb er. Das saß.Schließlich erzürnte er die Parteifunktionäre in Brandenburg mit seiner Forderung, den Verfassungsschutz nicht abzuschaffen, sondern zu reformieren. Das ist gegen die Parteilinie. Selbst sein einstiger Förderer Gysi ging auf Distanz.Unabhängige GeisterDer Cottbuser Kreisvorstand hat nun statt Nešković die Landtagsabgeordnete Birgit Wöllert als Kandidatin für den Bundestag nominiert. Nešković sieht dahinter den Druck der Landesspitze – insbesondere von Landeschef Stefan Ludwig, der von der scharfen Kritik des ehemaligen Richters genervt war. Nešković will sich im Herbst 2013 als unabhängiger Kandidat in seinem alten Wahlkreis um ein Direktmandat bewerben.Zuletzt war er in der Fraktion vor allem von Sahra Wagenknecht unterstützt worden. Die Linke müsse auch „unabhängige Geister“ aushalten können, sagt die Vizefraktions- und -parteichefin. Auf Nešković als einen der profiliertesten Rechtsexperten solle auch die nächste Bundestagsfraktion nicht verzichten. Das wird sie jetzt aber wohl müssen.Riexinger und Kipping kann das Hickhack nicht gefallen. In Umfragen hat sich die Linke bei etwa sieben Prozent stabilisiert. Einen wieder aufbrechenden Flügelkampf kann das Führungsduo im Wahljahr 2013 gar nicht gebrauchen. Denn die größte Prüfung der neuen Harmonie steht ja noch aus: die Benennung der Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl. Gysi will Wagenknecht als zweite Spitze neben sich selbst unbedingt verhindern. Bartsch dürfte wieder auf der anderen Lagerseite für Unmut sorgen. Fast alles wie gehabt also.