Mit der Kamera frühstücken

Ratlos vor dem Wrack Jean-Philippe Delhomme persifliert die zeitgenössische Kunst

Seien Sie ehrlich, wann haben Sie zuletzt in einer Galerie gerätselt, ob es sich bei der Installation um ein Kunstwerk handelt oder ganz schlicht um "einen punktuellen Eingriff in das Heizungssystem", wie der Zeichner Jean-Philippe Delhomme es nennt? Seine Cartoons zum Thema "zeitgenössische Kunst" bestätigen die böse Ahnung, dass der Kunstbetrieb oftmals nichts anderes ist als die schicke Beschäftigungstherapie einer masochistisch veranlagten Gesellschaft, die von gar nichts mehr geschockt ist. Ob "partizipative Bodyart", bei der sich der Betrachter wie geschlachtetes Vieh an Haken aufhängen soll, oder infernalischer Gestank, der als "Grenzüberschreitung" der Arte povera verkauft wird, - das trendbewusste Publikum macht in Delhommes Cartoons alles mit.

Interessanterweise legt da jemand ganz bescheiden den Finger in die Wunde, der in Frankreich und den USA als Illustrator für Modemagazine und in der Werbung gearbeitet hat. Delhomme studierte an der École Supérieure des Arts Décoratifs in Paris und landete mit der Serie "polaroids des jeunes filles" für die französische Ausgabe von Glamour 1987 seinen ersten großen Erfolg - der acht Jahre bis zum Ende der Zeitschrift anhielt. Er aquarellierte fiktive Porträts junger Frauen, deren Snobismus er ironisch zur Schau stellte. Bereits damals kauften genau diejenigen seine Cartoons, die in ihnen persifliert wurden. Genauso werden sich nun Kunstfreunde den 2008 auf deutsch erschienenen Band Zeitgenössische Kunst von Delhomme gegenseitig zum Geschenk machen, denn was erregt den kritischen Zeitgenossen mehr, als sich selbst zu hinterfragen?

Noch ein paar Beispiele aus Delhommes Skizzenbuch: Da dokumentiert ein Künstler gerade für die Biennale in Osaka sein Frühstück mit der Kamera, als ihm einfällt, dass kein Kuratorenleben je ausreichen würde, um die Künstlervideos eines Jahres anzuschauen. Der Franzose spießt auch gerne den übertriebenen Minimalismus der Galerieräume auf, die vom inhaltlich überforderten Personal etwa damit gerechtfertigt werden, dass auf diese Weise die Zuschauer besser zur Geltung kämen. Sofort fallen einem Erlebnisse ein, bei denen Banalität und geistiger Höhenflug nahe beieinander lagen. So hingen diesen Sommer im Kunsthaus Bregenz drei geschmiedete "Zeichnungen" von Richard Serra in einem Raum so groß wie ein halbes Handballfeld. Die Ölkreide war auf einem völlig ungeeignetem Untergrund aufgebracht, nämlich auf zentimeterdickem Metall - ein Reflex auf das bildhauerische Werk des international bekannten Künstlers. Was kunsthistorisch als Sprengung der Gattungsgrenzen legitimiert wird, wirkte in der totalen Kontextlosigkeit der sparsamen Inszenierung völlig absurd.

Noch grausamer für den Kunstfreund sind Aktionen, die bereits stattgefunden haben. Roman Signer zelebrierte vor kurzem eine "Skulptur als Unfall", indem er in einer renovierten Fabrikhalle, dem Kunstraum Dornbirn/Vorarlberg, einen Piaggio, dessen Ladefläche mit sechs Fässern Wasser beladen war, eine Halfpipe herunterstürzen ließ. Natürlich fand im überregulierten Europa die gefährliche Aktion unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Der Besucher steht ratlos vor dem Wrack und den zerbeulten Fässern. Er ist gezwungen, sich das Video ansehen. Wenn ihn die Dokumentation dann an den Film "Der Lauf der Dinge" von Fischli Weiss aus dem Jahre 1987 erinnert, kommt er sich vor wie in einem Cartoon von Delhomme - der hätte zu diesem Szenario allerdings noch Helme und Absperrungsgitter dazugezeichnet, einen bereitgestellten Unfallwagen, etcetera.

Warum ist die Werbebranche - also in diesem Fall der als Anzeigen- und Billboard-Gestalter erfolgreiche Illustrator - mit diesem ebenso subtilen wie unaufgeregten Cartoonband der Kunstkritik voraus? Der Konsumanalytiker und Professsor für Kunstwissenschaft Wolfgang Ullrich hat in seiner Essaysammlung Tiefer hängen - Über den Umgang mit der Kunst gezeigt, dass sich seit Jahrzehnten die Mode- und Werbebranche bei den Paradoxien der modernen Kunst bedient hat. Sein eindrücklichstes Beispiel ist die Figur des "Sowohl-als-auch". Kaffee wird in der Werbung oftmals als entspannend und zugleich anregend beschrieben, genau wie ein abstraktes Gemälde als konkret - nämlich nur aus Farbe bestehend - und zugleich als unfassbar in seiner spirituellen Wirkung empfunden wird. Umgekehrt hat der Kunstbetrieb Ideen wie Vernetzung, persönliche Kontakte und Zugang zu bestimmten Infrastrukturen von der Wirtschaft übernommen. Die Beliebigkeit der zeitgenössischen Kunst wie ihre Rituale sind für Delhomme also nichts Neues. In seinem Vorwort bezeichnet er sie als "friedliches Nebeneinander von Microwelten, die sich in obskuren Dialekten artikulieren". Und natürlich wissen seine trendbewussten Akteure, dass es schon wieder "out" sein kann, samstagnachmittags durch Galerien zu schlendern. So ein Fauxpas kann bei Delhommes kapriziösem Personal eine echte Krise auslösen.

Jean Philippe Delhomme Zeitgenössische Kunst. Aus dem Französischen von Florian Grimm. Liebeskind. München 2008, 94 S., 18,90 EUR

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