Es ist die Marktlogik!

Gesellschaftskunde Die Debatte um angepasste Schriftsteller aus dem Mittelstand sagt mehr über den Literaturbetrieb, als wir glauben wollen
Ausgabe 06/2014

Ist die deutsche Gegenwartsliteratur eine langweilige Veranstaltung von ein paar Bürgerkindern, die außer einem gut geheizten Literaturinstitut nichts von der Welt gesehen und verstanden haben? Seit Florian Kessler in der Zeit die Situation des Literaturbetriebes beklagte, der einen nur überleben lasse, wenn man aus gut situierten Verhältnissen stamme, ist eine Debatte unter denjenigen entbrannt, die mal schlecht, mal recht auf dem literarischen Karrierekarussell fahren. Eine Debatte, die im Kern darauf zielt, ob man es sich heute leisten können muss, ein Autor zu werden. Leider ist es nämlich nicht so, dass alle auf dem Karussell des Literaturbetriebes gleich schnell fahren. Die Strukturverschiebungen des Buchmarktes haben dazu geführt, dass sich der Erfolg zunehmend polarisiert: Man muss in der künstlerischen Prekarität geduldig bleiben können, um sich durchzusetzen.

Empörung löste Kesslers Artikel weniger durch den Hinweis aus, dass Juli Zeh aus gutem Hause stammt (dafür kann sie nichts), viel mehr traf er einen Nerv, indem er auf die ungeschriebenen Gesetze des Literaturbetriebs zielte. Aber welche sind das? Kaum ein anderer Beruf wie der des Schriftstellers ist mit der Vorstellung verbunden, allein durch individuelles Können und Leistung, durch den „künstlerischen Genius“, komme man zum literarischen Erfolg. Doch das ist nicht alles. An der richtigen Stelle über die richtigen Dinge lachen, die passende Hornbrille zum bildungsbürgerlichen Smalltalk-Wissen tragen – das scheint, so Kessler (übrigens selbst Hornbrillenträger), entscheidend zu sein.

In der Soziologie nennt man dieses versteckte Wissen um die Regeln, wie man zu funktionieren und sich zu verhalten hat, Habitus. Und genau jener bildungsbürgerliche Habitus produziere auf dem literarischen Markt Ausschlussmechanismen: die einen gewinnen und die anderen verlieren. Die einen, die Gewinner, sind tendenziell Ärzte- und Lehrerkinder und die anderen sind es nicht. Dass (erfolgreiche) Autoren vorrangig dem Bildungsbürgertum angehören, ist nicht neu. Und ist auch nicht das Problem. Sondern die Polarisierung des Buchmarktes selbst. Denn ein Blick auf die Bestsellerlisten offenbart, dass Erfolg – ungeachtet der literarischen Leistung – ungleich verteilt ist. Wie kommt es dazu?

Vom Kulturgut zur Kulturware

Um zu verstehen, warum der Literaturbetrieb, der wie kaum eine andere Institution in der Gesellschaft für Kreativität und künstlerische Autonomie steht, allem Anschein nach zunehmend Gleiches produziert, muss man den Strukturwandel des Buchmarktes der letzten Jahrzehnte im Blick haben. Literatur galt idealerweise als Gegenentwurf zum Markt: Man sollte Kunst zweckfrei, d.h. um der Kunst willen betreiben und nicht, um ökonomische Erfolge zu erzielen.

Auch wenn dieses kapitalismuskritische Ideal in der Realität des literarischen Betriebes kaum vorzufinden war (von irgendetwas musste der Autor schließlich leben), wurde das literarische Werk in den 1960er und 1970er Jahren durch politische Eingriffe in den Buchmarkt partiell von der Logik des Marktes entkoppelt. Durch die Buchpreisbindung (Bücher haben überall den gleichen Preis) und ein umfassendes Urheberrecht (das künstlerische Produkt ist geistiges Eigentum des Produzenten) sollte das „Kulturgut“ Buch vor reinen kommerziellen Interessen geschützt werden.

Die Tendenz zur Monopolisierung, man denke nur an den Giganten Random House, und der Niedergang der mittelständischen Verlage der letzten Jahrzehnte führen jedoch dazu, dass das einzelne Buch stärker nach seinem Marktwert beurteilt wird. Durch neue digitale Produktionstechniken werden zudem immer mehr Bücher in kürzerer Zeit produziert. Was auf der einen Seite eine erfreuliche Vielfalt künstlerischen Schaffens bedeuten könnte, befördert auf der anderen Seite die Konkurrenz unter den Verlagen – da immer mehr Bücher binnen immer kürzerer Zeit die Aufmerksamkeit der Leser für sich gewinnen müssen.

Mit dem wachsenden Konkurrenzdruck werden aber auch die Schutzmechanismen des „Kulturgutes“ Buch unterlaufen: Die Buchpreisbindung wird durch „Mängelexemplare“, die preisbindungsfrei sind, partiell aufgehoben (fast jeder ist schon einmal mit einem Stapel Bücher aus einem „Modernen Antiquariat“ herausgegangen). Auch das Urheberrecht kann durch eine Befristung der Rechte im Autorenvertrag begrenzt werden.

Der Matthäus-Effekt

All diese Tendenzen führen mit dazu, dass zunehmend diejenigen Bücher produziert werden, die zumindest eine Aussicht auf Erfolg haben. Zumal dieser Erfolg weiteren Erfolg produziert. Ist ein Autor oder Genre einmal in der Aufmerksamkeitsspirale der Bestsellerlisten, so ist es wahrscheinlicher, dass sein nächstes Buch ebenfalls erfolgreich wird. Dieser so genannte Matthäus-Effekt führt zu einer hohen Konformität der Spitzentitel in den Verlagsprogrammen. Der Blick auf die sich doch sehr ähnelnden Bücher der Bestsellerlisten sagt also weniger über einen vermeintlichen „Kulturverfall“ der Gesellschaft aus, sondern mehr über den strukturellen Wandel des Literaturbetriebes selbst. Was bedeutet das aber für die prekäre Lage der Autoren?

Florian Kesslers Feststellung, dass stromlinienförmige, hoch professionelle Autoren mit zahlungskräftigen Eltern den literarischen Markt besser erobern können als andere, ist nicht etwa Ausdruck einer selbstmitleidigen Malaise der oberen Mittelschicht, zu der auch Kessler gehört. Vielmehr kommt damit zum Ausdruck, dass mit der Konkurrenz unter den Verlagen auch die Konkurrenz unter den Autoren zunimmt – und das spürbar. Es wird augenscheinlich schwieriger, als freier Autor existieren zu können.

Mit dem Beruf des Schriftstellers assoziiert man neben dem Ideal kreativer Selbstverwirklichung auch ein großes Versprechen: Der Künstler ist frei. Die Freiheit des Autors bedeutet jedoch oftmals eine Freiheit von sozialer und ökonomischer Absicherung. Zwar wurde mit der Künstlersozialkasse (KSK) eine Institution geschaffen, die Künstler arbeitnehmerähnlich versichert.

Das jährliche Durchschnittseinkommen beträgt laut KSK jedoch lediglich rund 15.500 Euro brutto; ähnlich wie man von den „working poor“ spricht, die arm trotz Arbeit sind, kann man also von einer nicht unbeträchtlichen Zahl an „writing poor“ ausgehen, die arm trotz Schreiberfolgen sind. Wer sich voll und ganz der brotlosen Kunst verschreibt, muss also entweder ähnlich wie Der arme Poet Spitzwegs in einer undichten kleinen Dachkammer hausen (heute wahrscheinlich in Berlin oder Leipzig) oder aber eben mit ererbtem ökonomischen Kapital ausgestattet sein.

Gabelstaplerfahrer Meyer

Autor sein mit Herz und Seele – hauptberuflich lebend von Autorenhonorar, Lesungen, Literaturpreisen oder Stipendien, das können sich also die wenigsten leisten. Diejenigen, die nicht in der künstlerischen Prekarität durch finanzstarke Eltern verharren können, schreiben mit oder im Nebenberuf. Clemens Meyer malochte bekanntermaßen während seines Studiums (am Leipziger Literaturinstitut) als Möbelpacker und Gabelstaplerfahrer. Den Inhalten ist das in keiner Weise abträglich: Die Produktivität wird durch das profane Leben mindestens genauso befördert, wie durch Diskussionen in Seminaren. Dies hat nichts mit exotisierendem Proletenkult zu tun.

Der übermächtige Zwang zur finanziellen Absicherung kann aber auch kreative Potenziale schlucken. Nicht jeder ist „manisch-kreativ“, geht tagsüber einer Lohnarbeit nach, um nachts in die Tasten zu hauen. Und man wird schneller vom literaturbetrieblichen Karrierekarussell abgeworfen, als einem lieb ist.

Dass die freie Künstlerexistenz des Autors im Alltag ganz unromantisch prekär daherkommt, liegt unter anderem an der veränderten Beziehung des Autors zum Verlag. Die ehemals schier untrennbar heimelige, aber ebenso paternalistische Verleger-Autor-Beziehung (die permanenten Vorschüsse Siegfried Unselds an Thomas Bernhard sind legendär) wird ein Stück weit aufgelöst. Steigt die Renditeerwartung der Verlage, so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Zusammenarbeit mit dem Autor bei „Marktversagen“ aufgekündigt wird.

Zwischen die langfristige Partnerschaft von Autor und Verlag drängt sich darum auch ein neuer Akteur: der Agent. Dieser verhandelt nicht nur die Honorierung, sondern betreibt die Karriereplanung des Autors mit. Oftmals schreibt ein Autor an verschiedenen Buchprojekten gleichzeitig und muss sich dabei immer wieder um die Selbstvermarktung bemühen.

Ausbildungsberuf Schriftsteller

Darum nimmt es nicht weiter wunder, dass die literarische Berufung zum Beruf wird: Viele Jungautoren sehen in der professionellen Autorenausbildung in Hildesheim oder am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig den entscheidenden Schraubschlüssel für die Selektionsmaschine des literarischen Betriebs, auch Florian Kessler, selbst ein Absolvent, hat den Fokus seiner Kritik auf den Studiengang Kreatives Schreiben in Hildesheim gelegt.

Die Professionalisierung führt zu der nun wahrgenommenen Konformität, da neben dem Schreiben für den Markt gleich die passende (Selbst-)Vermarktung studiert wird. Es ist nicht nur die literarische Leistung, die zählt, sondern ebenfalls der öffentliche Auftritt, eine bestimmte Art und Weise zu sprechen, sich wie ein Fisch im Wasser des literarischen Betriebs zu bewegen, die richtigen Leute zu kennen etc.

Ohne die Öffentlichkeit, die Lesung, ist ein Autor im Betriebsgeschäft faktisch kaum existent. Neben dem meist bescheidenen Honorar ist die Lesung für aufblühende Autoren darum vor allem ein Geschäft für das soziale Kapital – den Eintritt in die richtigen Kreise. Diese Kreise sind nicht ganz unerheblich, wenn man einen der rund 1.000 Literaturpreise ergattern möchte. Obwohl eine Auszeichnung zunächst wie ein Lottogewinn anmutet; ganz so zufällig ist der Erfolg nicht. Talent und Qualität spielen natürlich eine wichtige Rolle.

Und durch die Preise wird dem Markterfolg nicht alles überlassen. Aber auch hier gilt wieder: Wer hat, dem wird gegeben. Einmal mit einem Preis bedacht worden, profitiert man meist von lukrativen Folgeerfolgen: Gerade ein Preisträger ist neuer Preise würdig. Der Erfolg polarisiert sich weiter und auf dem künstlerischen Karussell bleiben zu wenige sitzen, die genug Talent, aber zu wenig soziales und ökonomisches Kapital haben.

Carolin Amlinger, geb. 1984, ist Soziologin am Institut für Sozialforschung in Frankfurt und forscht zu der prekären Arbeit von Schriftstellern


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