Ein Hoch auf den Untergang

Endzeit Die Faszination an der Apokalypse ist Ausdruck unseres gestiegenen Sicherheits­bedürfnisses. Sie lenkt davon ab, dass der Mensch das größte Risiko für den Planeten ist

Das wird es dann also gewesen sein. 350 Tage noch. Auf diesen Freitag folgen noch 49 weitere Ausgaben, dann ist Schluss. Die 50. Nummer am 21. Dezember fällt aus, da ist Weltuntergang. 21. 12. 2012. Dieses Datum haben die Mayas in ihre Kalender gemeißelt. Bei ihnen heißt es 13.0.0.0.0 – die Vollendung einer Serie von 13 Zyklen und damit das Ende ihrer Zeitrechnung. Nach unserem Kalender begann sie im Jahr 3113 vor Christus und hat insgesamt 5125 Jahre gewährt.

Und dann?

Nun, darüber schweigen die Mayas. Aber im Prinzip wissen wir, was bevorsteht, da reicht ein Blick in die einschlägige Literatur. Nostradamus, die Johannes-Offenbarung oder die nordische Mythologie – übereinstimmend wird der Untergang als eine Abfolge von Erdbeben, Feuersbrünsten, Überschwemmungen, Dürren, Seuchen, Blitz und Donner geschildert. Für 2012, so scheint es, müssen wir keine Vorsätze fassen – das Leben gewinnt auch so an Schwung.

Natürlich nerven wie immer ein paar Bremser. So genannte „Maya-Experten“ behaupten: Die Inschriften auf den Tafeln bedeuteten lediglich, mit dem 13. Zyklus ende eine „Ära“; es solle ein Gott erscheinen und mit ihm die nächste Welt-Phase beginnen, nach Maya-Rechnung die fünfte. Andere Langweiler fragen mit spitzen Lippen: Wenn diese Welt erst 3113 v. Chr. geschaffen wurde – was war dann davor? Urknall, Evolution, Faustkeile, Höhlenmalerei – bloß Hirngespinste? Und warum sollten eigentlich die Mayas besser wissen, wann Feierabend ist als die Zeugen Jehovas, die sich mehrfach verschätzt haben?

Faszinierende Endgültigkeit

Na ja, entgegnen die Untergangsapologeten, da sind ja nicht nur die Mayas. Wenn man zum Beispiel die Daten des Anschlags auf das World Trade Center und des Erdbebens in Fukushima addiere, 11. 9. 01 plus 10. 3. 11, dann komme man auf den 21. 12. 12. Könne ja wohl kein Zufall sein. Außerdem stünden an diesem Tag jede Menge Planeten unseres Sonnensystems in einer Linie (Fachbegriff: Konjunktion) und würden mit vereinter Anziehungskraft die Erde durchschütteln. Schließlich: Künden nicht auch die Weissagungen der Hopi von einem „nahen“ Ende unseres Zeitalters und dem Beginn eines neuen, friedlichen, reinen?

Spätestens jetzt beginnt das Kartenhaus der Apokalyptiker zu wanken: Die Hopis werden auffallend oft zitiert, wenn zivilisationsmüde Westler nicht mehr weiter wissen. Daten addieren gilt als Sport unter Verschwörungstheoretikern. Und eine Konjunktion am Sternenhimmel, sagen die Astronomen, deutet sich auch nicht an; und selbst wenn – sie würde nicht schaden.

Also doch alles wie gehabt? Folgendes Szenario: Am 21. 12. 2012 erscheint ein Freitag. Weder wird sich die Erde auftun noch uns der Himmel auf den Kopf fallen. Drei Tage später ist Weihnachten. Wir packen viele halbherzig besorgte Geschenke aus. Irgendein Bundespräsident hält eine Ansprache, die keinen interessiert.

Erleichtert? Oder doch eher enttäuscht – dass sich mal wieder die Banalität des Alltags gegen das verrückte Außergewöhnliche durchsetzt. Dass die normative Kraft des praktischen Hamsterrades unser Leben weiterhin in eine Richtung zwingt, die uns ein bisschen fremdgesteuert und langweilig vorkommt?

Fakt ist: Die Welt wird untergehen. Nicht unbedingt an jenem Tag, den die Maya in ihrem Kalender angekreuzt haben. Vielleicht erst in ein paar Milliarden Jahren, wenn die Sonne sich zum Roten Riesen aufplustert. Oder schon morgen, wenn ein Meteorit auf die Erde kracht. Ein Brocken von der Größe des Kanzleramts würde reichen, um Berlin auszulöschen. Kein Astrophysiker bezweifelt, dass das jederzeit geschehen kann: Eine Menge solcher unscheinbaren Klötze kreuzen regelmäßig die Umlaufbahn der Erde – reiner Zufall, dass es nicht längst gekracht hat.

Der Wissenschaftsautor Bill Bryson hat beschrieben, was ein rund zweieinhalb Kilometer großer Felsbrocken anrichten würde. Angenommen, wir hätten das Glück, die letzten Momente unseres Lebens bei schönem Wetter zu erleben, etwa hundert Kilometer vom Einschlagsort entfernt. Zunächst sähen wir einen gleißend hellen Lichtblitz – den hellsten, den menschliche Augen je gesehen haben. Nach kurzem Blinzeln böte sich dann „ein apokalyptischer Anblick von unvorstellbarer Großartigkeit: eine brodelnde Wand aus Dunkelheit, die bis zum Himmel reicht und mit mehreren Tausend Stundenkilometern wandert. Da sie sich mit einem Vielfachen der Schallgeschwindigkeit bewegt, wäre ihre Ankunft von gespenstischer Stille begleitet.“

Ich hege eine gewisse Zärtlichkeit für Katastrophen von derartiger Endgültigkeit. Und behaupte, das geht nicht nur mir so. Die Vorstellung, dass ein Super-Rumms jederzeit passieren kann, bewegt. Sie bedeutet zwar, dass es womöglich keinen Sinn macht, fürs Abendbrot einzukaufen. Und wer heute ins Fitnessstudio geht, kann nicht davon ausgehen, dass er morgen noch jemanden das Ergebnis vorführen kann. Geklärt ist nicht einmal, ob im Moment des Untergangs das Netz funktioniert.

Andererseits: Sich den immermöglichen Tod vor Augen zu führen, belebt, kitzelt, wirft uns zurück auf die grundlegende Einsicht: Das Leben ist ein Risiko. Hierin liegt der eigentliche Wert aller Weltuntergangsbetrachtungen.

Aber wieso sollte uns das Ungewisse, womöglich Todbringende faszinieren? Setzen wir nicht alles daran, das Leben vorhersehbar zu machen? Sind wir nicht gerade im Zeitalter des „Risk-Managements“ bemüht, Risiken mathematisch exakt zu kalkulieren und auszuschließen bis auf einen winzigen, unvermeidlichen Rest? Stecken wir nicht einen Großteil unseres Gelds in aufwendige Sicherheitsvorkehrungen, um Bedrohungen aller Art im Keim zu ersticken?

Dahinter steckt eine uralte Sehnsucht nach Sicherheit. Und die Illusion, wir könnten sie eines Tages erlangen. Die meisten Endzeitszenarien sind deshalb an religiöse Folgeerscheinungen geknüpft. Versinkt der Planet, steigt in der Regel – wie bei den Mayas – ein Gott auf, der mit eisernem Besen durchs weltliche Chaos fegt: verdammt das Böse, belebt das Gute und sogar Tote, reinigt Seelen, sorgt für ewiges Leben, Friede und Harmonie.

Das Resultat des göttlichen Großreinemachens stellen sich viele Menschen als Paradies vor. Laut Bibel liegen in einer Flusslandschaft hier und da Goldklümpchen, auf den Wiesen weidet Vieh, unterm Himmel singen Vögel, mittendrin ein Obstgarten. Hübsch anzusehen, sicher. Aber was die meisten bis heute nicht einsehen wollen: Der Mensch ist dafür nicht geschaffen. Das einzige dort lebende Pärchen kommt fast um vor Langeweile (aber eben nur fast – sie sind ja unsterblich). Vor allem die Frau sucht den Kick.

Wenn Eva Stellung zum Sündenfall nehmen könnte, sie würde vermutlich erzählen, wie super es war. Wie die Nerven kitzelten, als sie sich den verbotenen Früchten näherte. Wie die Aussicht, Abwechslung in ihr unendlich-eintöniges Leben zu bringen, erregte. Wie die Überlegung, welche Folgen der Regelverstoß haben würde, ein Feuerwerk der Fantasie entzündete.

Eva ging das größte und folgenreichste Risiko der Menschheit ein. Es hat sich gelohnt: Sie musste nicht länger in Dummheit vegetieren und genoss fortan „ein Verlangen nach dem Manne“. Sie verkörpert alle Anlagen, die den Menschen erst groß und klug gemacht haben: Neugier, Wagemut, Abenteuerlust, Risikofreude.

Als einziges Lebewesen wagte Homo erectus, sich dem Feuer zu nähern und lernte, es zu kontrollieren. Dann trieb es ihn hinaus in die Welt; er streunte über alle Kontinente, setzte sich sogar in selbst gebaute Holzschalen, um über unbekannte Meere zu bloß vermuteten Küsten zu segeln. In der Renaissance fegte er überkommene Weisheiten vom Tisch und begann, mit eigenen Augen den Sternenhimmel zu erforschen und die Natur zu seinen Füßen. Schließlich setzten sich drei Leute in eine Kapsel mit mehreren tausend Tonnen Treibstoff unterm Hintern und ließen sich zum Mond schießen – nur weil sie wissen wollten, ob das überhaupt geht.

Hochriskante Unternehmungen. Mit ungewissen Ausgang. Spannend und dramatisch. Und dennoch: Den Traum vom kontrollierten Paradies haben wir nicht aufgegeben.

Sicherheit ist Illusion

Es ist paradox. Anspruchsvoll und ungeduldig, aufgeklärt und erfindungsreich strebt der Mensch nach dem Gegenteil – nach Sicherheit und ewigem Leben. Und weil er nicht länger aufs Jenseits warten will, verlegt er das Paradies mit technischem Sachverstand ins Diesseits. Mit unbezweifelbarem Erfolg, zumindest in den westlichen Industriestaaten. Seit der Steinzeit ist das Leben bequemer, vorhersehbarer, länger geworden. Mithilfe des Feuers heizt der Zweibeiner inzwischen kuschelige Wohnungen, kocht auf Induktionsherden und rollt, hinter Verbrennungmotoren sitzend, übers Land.

Aus einer Gesellschaft, die einst das Lebensnotwendige selbst erjagte, hat sich ein System entwickelt, das aus einem Minimum an Materie ein Maximum an Gewinn erzielt – das Atomkraftwerke baut und virtuelles Geld in Sekundenbruchteilen rund um den Globus klickt. Und? Fühlen wir uns nun sicher?

Irgendwas ist schiefgegangen. Wir haben Angst, die Wohlstand verheißenden, global vernetzten Apparate und Systeme könnten uns um die Ohren fliegen. Diese Angst ist eine entschieden andere als jener fröhlich-morbide Grusel, der uns beim Gedanken an ein planetares Finale erfasst (obwohl das wesentlich mehr Schaden anrichten würde). Wenn nämlich am 21. Dezember die Welt untergeht, kann keiner was dafür. Wenn jedoch die selbst gefertigten Motoren unserer Super-Zivilisation explodieren, dann sind wir fassungslos, weil wir geglaubt haben, die Dinger liefen zu unserer Sicherheit. Doch ausgerechnet in den Sicherheitssystemen liegt heute die Bedrohung. Der Versuch, immer mehr Unwägbarkeiten des Alltags auszuschalten, hat zu unüberschaubaren Mega-Risiken mit Katastrophenpotenzial geführt.

Mit zunehmender Intelligenz hatten wir uns der Illusion hingegeben, wir hätten alles im Griff. Mit der Entdeckung der Naturgesetze wuchs der Ehrgeiz, nach dem Prinzip von Ursache und Wirkung die Zukunft zu lenken. Jetzt gelangen wir zu der historischen Einsicht: Nichts haben wir im Griff. Wir können zwar ziemlich gut rechnen, aber eine „Nummer sicher“ gibt es nicht.

Die schockartige Vorstellung vom Rumms aus heiterem Himmel mag bei dieser Einsicht helfen. Das Chaos ist stärker als wir. Statt es besiegen zu wollen und vom Paradies zu träumen, sollten wir uns Eva zum Vorbild nehmen: ihren Aufstand gegen die Macht der Routine, ihren Mut zur Ungewissheit. Denn wer wagt, gewinnt etwas, das wichtiger ist als alle versprochene Sicherheit: innere Zuversicht.

Carsten Jasner ist freier Journalist. 2011 ist sein Buch Mut proben! Das Leben ist tödlich. Aber es muss nicht sterbenslangweilig sein bei Blanvalet erschienen

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