Offiziell waren im Januar mehr als 4,6 Millionen Menschen ohne Job, der höchste Stand seit Amtsantritt von Rot-Grün. Ein Anstieg auf fünf Millionen kann nicht ausgeschlossen werden, wenn die Wirtschafts- und Finanzpolitik weiter dem neoliberalen Zeitgeist folgt. Äußerst dramatisch ist das Beschäftigungsgefälle zwischen West und Ost. Einer Erwerbslosenquote von 8,8 Prozent in den alten steht eine von 19,5 in den neuen Ländern gegenüber. Und das trotz anschwellender Abwanderung und forcierter Frühverrentung.
Nicht dass die Regierenden dieser für individuelle Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit bedrohlichen Entwicklung tatenlos zugeschaut hätten. Aber dem Übel an die Wurzel ging und geht ihr Aktionismus nicht. Massiv senkte Rot-Grün die Steuersätze für Unternehmen. Der erwartete Effekt auf dem Arbeitsmarkt blieb aus. Gewinnträchtige Unternehmen erzielen bei Anlage ihres Surplus auf Finanz- und Immobilienmärkten in der Regel höhere Renditen als bei dessen Investition in Forschung und Produktion. Ein Großteil der Klein- und Mittelbetriebe schreibt eine schwarze Null oder gar rote Zahlen und hat nichts von reduzierten Spitzensteuersätzen. Prinzipiell gilt für Unternehmen, dass sie erst investieren und Arbeitsplätze schaffen, wenn sie Aufträge haben. Dafür aber hat der Bund sich, aber auch den Ländern und Kommunen, die Möglichkeiten arg beschnitten, indem er den Kapitalgesellschaften üppige Steuergeschenke machte. Eine Gegenleistung für das Gemeinwesen fehlt.
Versagt hat aber vor allem die von Unternehmerverbänden geforderte Deregulierung des Arbeitsmarktes. Das mit großer Erwartung gestartete »Mainzer Modell« für den Niedriglohnsektor brachte 2002 gerade einmal 9.900 Menschen in Lohn und Brot. Von den 22.8000 im Januar ausgegebenen Vermittlungsgutscheinen, mit denen Arbeitslose sich selbst einen Vermittler suchen können, wurden nur 1.300 eingelöst. Das kann nicht verwundern, steht doch im ganzen Land 340.000 offenen Stellen das 14-fache an Jobsuchenden gegenüber. An diesem Missverhältnis ändern schärfere Zumutbarkeitsregelungen und die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe nichts. Sie höhlen nur den Sozialstaat weiter aus.
Die 50.000 Stellen, die Minister Clement mit dem Programm »Kapital für Arbeit« schaffen will, stehen in den Sternen. Bislang sind ganze 1.000 Menschen mit einem staatlichen Kredit eingestellt worden. Auch von den laut Hartz-Konzept zu schaffenden Personal-Service-Agenturen einen beträchtlichen Beschäftigungszuwachs zu erwarten, ist illusionär. Seit 1998 hat die Zahl der Leiharbeiter jährlich »nur« um durchschnittlich 35.000 zugenommen. Wer mit einem stärkeren Anstieg solcher Arbeitsverhältnisse rechnet, kalkuliert mit Arbeitskosten eines »Geliehenen« deutlich unter denen eines Festangestellten. Existenzsichernd wären die Löhne nicht.
Überzogen sind die Erwartungen in die »Ich-AG«. Die subventionierte Ein-Mann-Struktur wird dazu genutzt werden, aus großen und mittleren Firmen Tätigkeiten auszugliedern, um sie billiger von Scheinselbstständigen erledigen zu lassen. Bisher tariflich entlohnte Beschäftigte im Handwerk dürften durch neue Selbstständige verdrängt werden, die zu Dumpingbedingungen um Aufträge ringen. Seit kurzem wird die Aufweichung des Kündigungsschutzes erwogen. Dabei ist das Argument, es handele sich um eine Hürde für Neueinstellungen, zumindest seit Ausweitung der Leiharbeit haltlos.
Rot-Grün hat eine breite Skala von Maßnahmen einer angebotsorientierten, das heißt, auf bessere Konditionen für die Privatwirtschaft zielenden Politik ausgereizt, doch die versprochenen Beschäftigungseffekte sind ausgeblieben. Nur ein radikaler Kurswechsel in der Wirtschafts- und Finanzpolitik kann daher wirklich Arbeitsplatzaufbau bewirken. Gestärkt werden muss vorrangig die Nachfrage auf dem Binnenmarkt. Solange sich private Haushalte zurückhalten und Unternehmen wenig Investitionsbereitschaft zeigen, sollte der Staat für Geld im ökonomischen Kreislauf sorgen. Dazu müssen aber Bund, Länder und Kommunen ihre finanzielle Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. Stichworte sind: kommunale Investitionspauschale, Wiedererhebung der Vermögensteuer, Verzicht auf die Absenkung des Spitzensteuersatzes und Neuregelung der Körperschaftssteuer, die Absage des Bundes an den kontraproduktiven »Sparkurs«, bis Beschäftigungszunahme durch Investitionsimpulse die öffentlichen Haushalte entlastet. Die zeitweilige Aufnahme höherer als geplanter neuer Schulden darf kein Tabu sein.
Erhebliches Beschäftigungspotenzial böte die deutliche Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Vielfältige Chancen für dauerhafte Erwerbsarbeit ergäben sich, wenn heute oft ehrenamtlich erbrachte, sozial notwendige Tätigkeiten in der Kinder- und Jugendarbeit oder etwa der psychosozialen Betreuung öffentlich, also steuerfinanziert würden. Pilotprojekte sollten dafür ausgehend von Erfahrungen in Mecklenburg-Vorpommern in ganz Ostdeutschland geschaffen werden. Hier wäre es auch nötig, die bis 2020 geplanten Infrastrukturinvestitionen vorzuziehen, um Menschen in ihrer Heimat eine berufliche Perspektive zu geben. Geschieht das nicht, nimmt die Zahl der Geburten weiter ab und die Abwanderung zu. Dann bestünde die Bevölkerung in den neuen Ländern schon 2020 zu zwei Dritteln aus Senioren, und der Infrastrukturausbau käme zu spät.
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