Kernarbeitsnormen als Zentrales Ziel

EIN VIERTEL JAHRHUNDERT INTERNATIONALE FRAUENPOLITIK Über Leistungen, Ziele und Probleme von Frauen-Nichtregierungsorganisationen in Nord und Süd

Ein viertel Jahrhundert ist sie alt: die neue Epoche internationaler Frauenpolitik. Als die Vereinten Nationen das Jahr 1975 zum "Internationalen Jahr der Frau" erklärten, reagierten sie auf zweierlei: Einerseits waren neue politische Lösungskonzepte und Akteure zur Bewältigung von Strukturproblemen der Entwicklung, vor allem der Armut gesucht. Zum anderen setzte die neue westliche Frauenbewegung staatliche und UN-Institutionen unter Handlungsdruck. Aus dem "Jahr der Frau" wurde ein Jahrzehnt, und die drei UN-Konferenzen, die Anfang, Halbzeit und Ende der Frauendekade markierten, wurden zum politischen Handlungsfeld, auf dem sich eine neue internationale Frauenbewegung formierte.

"Sagen Sie mir bitte, Señora, hat Ihre Lage Ähnlichkeit mit der meinen?"

Mit der 1. Weltfrauenkonferenz 1975 in Mexiko und dem parallelen Forum der Nichtregierungsorganisationen (NRO) begann ein höchst konfliktreicher Orientierungs- und Selbstorganisierungsprozess von Frauengruppen aus allen Kontinenten und Kulturen. Unterschiedliche Prioritäten und der Führungsanspruch der westlichen Feministinnen führte zu einem teils unversöhnlichen "Schwesternstreit".

Auf den Punkt brachte Domitila Barrios de Chungaras, Ehefrau eines bolivianischen Minenarbeiters, die aufklaffenden Gegensätze in ihren Fragen an eine Frau aus der mexikanischen Elite: "Sagen Sie mir bitte, Senora, hat Ihre Lage Ähnlichkeit mit der meinen? Über welche Gleichheit werden wir reden? Scheint es Ihnen nicht so, dass wir im Augenblick, auch als Frauen, nicht gleich sein können?"

Auch 1980 in Kopenhagen ließ sich Strittiges zunächst leichter identifizieren als Verbindendes. Schlagzeilen machte der Ausspruch: "Einer Frau, die kein Wasser, keine Nahrung und kein Haus hat, Feminismus zu predigen, ist Unsinn." Gleichwohl wuchs die Verständigungsbereitschaft zwischen Frauen mit sehr unterschiedlichen Problemlasten, Befindlichkeiten, Träumen und Zielen, und erste Fäden für ihre internationale Vernetzung wurden gesponnen. Die Senegalesin Marie-Angelique Savané resümierte: "Trotz aller Differenzen glauben wir an die Schwesterlichkeit."

Feminismus kann nicht monolithisch in seinen Themen, Zielen und Strategien sein

Die Keime der Verschwisterung, die in Kopenhagen entstanden, gingen in Nairobi auf. "Uns eint mehr, als uns trennt" wurde zum Signal für den nun dominierenden Solidarisierungs- und Bündniswillen. Strukturanpassung, atomare Bewaffnung, Umweltzerstörung und neue Technologien verschränkten augenscheinlich die Problemlagen von Frauen und erzeugten Erfahrungsklammern.

Erstmalig in der Geschichte internationaler Frauenbewegungen bestimmten Frauen aus dem Süden die meisten Debatten. Das Süd-Netzwerk DAWN lieferte die Schlüsselformel zur Überwindung der alten Polarisierungen: "Feminismus kann nicht monolithisch in seinen Themen, Zielen und Strategien sein. Es gibt und muss eine Vielfalt von Feminismen geben". Das von DAWN vorgestellte Empowerment-Konzept entwarf für die folgenden Jahre eine strategische Perspektive: Es stellte die Machtfrage neu - zwischen den Geschlechtern, innerhalb einzelner Gesellschaften und zwischen den Nationen und Machtblöcken. Selbstorganisierung von Frauen, von der Grassroot- bis zur internationalen Ebene, wurde dabei als zentrale Strategie der Machtbildung betrachtet.

Der Grundrechteansatz machte aus Bittstellerinnen Akteurinnen

Der Optimismus des Dekadenanfangs über die Institutionalisierung von Frauenpolitik und Gleichstellungsfortschritten war 1985 angesichts negativer Bilanzen verpufft. An seine Stelle trat ein neues Bewusstsein kollektiver Stärke der Frauenbewegungen durch transnationale Vernetzung und transkulturelle Verständigung. "Dies ist nicht das Ende einer Dekade, sondern der Anfang einer ganzen Bewegung", resümierte Betty Friedan euphorisch den internationalistischen Aufbruch.

Als die Vereinten Nationen nach dem Ende der bipolaren Weltordnung eine Serie großer Konferenzen planten, die nach globalen politischen Antworten auf globale Umwelt-, Sozial- und Entwicklungsprobleme suchen sollten, traten transnationale Frauennetzwerke mit dem Anspruch in die internationale Politikarena, mit von der Partie zu sein. Zum ersten Mal verfolgten sie systematisch die Strategie des Mainstreaming: raus aus der Frauennische, nicht mehr beschränken auf Frauenbelange als Sonderthemen, sondern Fraueninteressen und eine Frauenperspektive in alle politischen Themenfelder einbringen.

Gleichzeitig bezogen sich immer mehr Frauenorganisationen auf das Menschenrechtskonzept. Sie re-definierten es aus feministischer Sicht und erweiterten es aus der öffentlichen in die Privatsphäre hinein. Damit vollzogen sie einen Paradigmenwechsel vom Grundbedürfnisansatz zum Grundrechteansatz. Dies hatte bedeutende Auswirkungen auf ihr Selbstverständnis: Sie traten nicht als Bittstellerinnen auf, sondern als zivilgesellschaftliche Akteurinnen, die Rechtsansprüche vertraten und ihre Umsetzung einklagten: ein Recht auf Bildung, auf Gesundheit, auf Gewaltfreiheit.

Anders als während der Frauendekade war der Organisierungsprozess um den UN-Konferenzzyklus der neunziger Jahre primär auf Ein- und Mitmischen bei der Politik ausgerichtet. Lobbying auf der Grundlage einer "strategischen Verschwisterung" war die zentrale Taktik: eine Politik der kleinen Schritte, um Dokumente und Verhandlungen zu beeinflussen. E-mail und Internet wurden zum neuen globalisierten Handlungsfeld für Vernetzung und Kooperation.

Aus Protestbewegungen wurden Projektbewegungen

Diese Politikmethoden spiegelten eine Veränderung in den Frauenorganisationen und -bewegungen. Die meisten hatten die Straße verlassen und den langen Marsch hinein in die Institutionen angetreten. Aus Protestbewegungen wurden Projektebewegungen, die zunehmend professionell arbeiten und den Regierungen nicht selten Aufgaben im sozialen Bereich abnehmen. Hatten sie in den Achtzigern versucht, Gegenwehr gegen patriarchale Strukturen und autonome Gegenmacht gegen den Staat aufzubauen, so stritten sie jetzt um institutionelle Mitmacht. "Transformation durch Partizipation" war denn auch die neue strategische Losung von DAWN bei der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking 1995, in der das emanzipatorische Ziel der Veränderung mit dem der Gleichstellung und Beteiligung verbunden wurde.

Das NRO-Forum in China wurde zum bisher größten Sammelbecken zivilgesellschaftlicher Mobilisierung und Organisierung von Frauen und ein Festival der Vernetzung. Die Menge (knapp 30 000) und ihre kunterbunte Verschiedenheit reflektierten die Globalisierung von Frauenpolitik bis in die letzten Winkel des Planeten, aber auch wie sich Frauenbewegungen im vergangenen Jahrzehnt ausdifferenziert und zersplittert haben. Die Pluralität wurde zum Programm erhoben: "Vielfalt ist unsere Stärke". Das schloss die Akzeptanz von Unterschieden, sogar von Widersprüchen ein - und die Vermeidung von Konfrontation.

Eine Klammer um die inhaltliche Spannbreite bildete immer wieder der Bezug auf den Prozess der neoliberalen Globalisierung, der strukturelle Angleichungen in den Lebens- und Arbeitswelten und Problemlagen von Frauen erzeugt. Dadurch kreisten viele Diskussionen um einen ökonomischen Kern. Drei rote Fäden zogen sich durch die Debatten: das Frauen-/Menschenrechtskonzept, die Erfahrung von Gewalt in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen und Demokratisierung.

Diese Fäden konnten die Lobbyistinnen auch in das Abschlussdokument der Peking-Konferenz, die Aktionsplattform einfädeln. Sie könnte weltweit eine gute Leitplanke für Frauenpolitik sein. Doch zunächst einmal ist sie nur Papier und hehre Absichtserklärung. Die entscheidende Frage ist, ob der erklärte politische Wille der Regierungen über Sonntagsreden hinausreicht und sich nicht von den Sparzwängen lahm legen lässt.

Die Feminisierung der Armut und der sozialen Verantwortung wachsen

Drei Jahre nach Peking bilanzierte das internationale Netzwerk Women's Environment and Development Organization WEDO mit Sitz in New York erste Trends: Zwei Drittel der Regierungen hatten Umsetzungpläne entwickelt, ein Drittel führte rechtliche und politische Maßnahmen zur Einlösung von Frauenrechten durch. Gleichzeitig stellen jedoch wirtschaftliche Umstrukturierungen und die Globalisierung eine wachsende Bedrohung für die Durchsetzung von Frauenrechten im Bereich Gesundheit, Bildung und Beschäftigung dar. Sie gefährden auch die Gleichstellung der Geschlechter insgesamt. NRO sind in vielen Ländern treibende Kräfte für die Umsetzung der Beschlüsse von Peking. Erfolgreich war die Strategie des Druck-Machens vor allem hinsichtlich Gesetzesreformen zu Gewalt gegen Frauen, Frauen- und Kinderhandel, reproduktiver Gesundheit, politischer Partizipation und Landrechten. Im Juni nächsten Jahres werden die Vereinten Nationen eine Fünf-Jahres-Bilanz aufmachen.

Die größte Leistung der transnationalen Frauenbewegungen im letzten Viertel des Jahrhunderts bestand darin, das Thema Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung auf internationaler Ebene enttabuisiert, politisiert und verankert zu haben. Der Kampf gegen Gewalt und das Einklagen von Menschenrechten für Frauen, einschließlich reproduktiver Rechte, sind Leitplanken für Frauen-NRO ins nächste Jahrtausend. Denn die Einlösung von Frauenrechten ist ein ebenso unvollendetes Projekt wie die Demokratie, wo Frauen nach UN-Berechnungen weltweit noch 470 Jahre benötigen werden, um Parität bei der Partizipation, bei Entscheidungs- und Gestaltungsmacht zu erreichen. Wenn keine Beschleunigung eintritt. Einen Fuß in die Tür haben Frauen bisher nur bei den weichen Politikressorts, vor allem den sozialen Themen bekommen. Bei makro-ökonomischen Themen und den harten Politikressorts bleiben sie draußen vor der Tür.

Die Veränderung makro-ökonomischer und makro-politischer Strukturen, der Widerstand gegen Liberalisierung, Privatisierung, Strukturanpassung oder Sozialabbau sind jedoch die zentralen Anliegen von Frauen zum Jahrtausendwechsel. Denn immer deutlicher wird, dass die Globalisierung keineswegs die versprochenen Wohlstandsgewinne und Gleichstellungseffekte für alle erzeugt, sondern dazu führt, dass Armut und die Feminisierung der Armut zunehmen, - aber auch die Feminisierung sozialer Verantwortung und die überproportionale Zuweisung von unbezahlter und unterbezahlter Arbeit an Frauen.

Karrierefeminismus im Norden und Überlebensfeminismus im Süden

Es zeichnet sich ab, dass Frauenorganisationen ihre Kämpfe in Zukunft mit Mehr-Ebenen-Strategien führen werden: mit Projekten und Selbsthilfe auf der Mikro-Ebene, mit Öffentlichkeitskampagnen und Politikintervention auf der nationalen Ebene und mit Ein- und Mitmischversuchen bei globalen Regulierungssystemen. Trotzdem ist es in vielen Ländern stiller geworden um die Frauenbewegungen. Empörung und Emphase der ergrauten Feministinnen haben sich erschöpft. Im Norden setzt die junge Generation auf einen Karriere-Feminismus: Gleichstellung in Führungspositionen. Im Süden verfolgen Frauen an der Basis dagegen primär einen Überlebens-Feminismus: Kämpfe gegen die Verelendung aus der Frauenperspektive.

Zwar hat sich die Vernetzung von Frauen-NRO stark verdichtet, aber die Verknüpfung der verschiedenen Handlungsebenen muss noch intensiviert werden. In ihren nationalen und lokalen Kämpfen und Ansätzen beziehen sich Frauengruppen jedoch inzwischen immer häufiger auf internationale Standards, wie die Frauenrechtskonvention. Oder bei Verhaltenskodizes für Konzerne auf soziale und ökologische Mindeststandards. Motto: "Take the global and make it local." Gegen die neoliberale Globalisierung von oben organisieren sich transnationale Frauenbewegungen für eine Globalisierung der Frauenrechte von unten.

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