Wenn die Talklady um Rückruf bittet

Medientagebuch Im Rauschen der Nachrichten muss der Medienjournalist heute senden wie ein eigenes Unternehmen. Und manchmal sendet der Gegenstand der Kritik sogar zurück

Ob Rundfunkanstalt, ob Solojournalist, ob Mitmensch ohne kommerzielles Interesse: Wer Inhalte für Medien herstellt und wahrgenommen sehen möchte, darf sie schon längst nicht mehr einfach nur ins Netz stellen. Er muss sie auch in eine wachsende Zahl von Kanälen gießen, damit Follower und Freunde, Blogverfolger und Kreise sie bequemer zur Kenntnis nehmen können und idealerweise multiplizieren. Gerade große Inhalteproduzenten wie die Rundfunkanstalten heuern zusehends Berufsgruppen wie „social media-editors“ an, die den ganzen Arbeitstag lang dafür sorgen, dass Inhalte ihrer Arbeitgeber geliked und -shared werden. Wenn der große Stream der sogenannten Social Media manchmal eigentümlich steril wirkt, liegt das vielleicht daran. Vielleicht ist es auch eine völlig individuelle Ermüdungserscheinung.

Dass Kanäle, in denen man ernst genommen werden will, auch von einem selbst ernst genommen werden wollen, man also nicht bloß eigene Inhalte reingießen darf, sondern auch die anderer Mitglieder wahrnehmen sollte, liest man ziemlich oft, wenn man „Lesebefehlen“ und anderen Empfehlungen folgt. Es versteht sich auch von selbst. Auch wenn sich längst ebenfalls versteht, dass der überall gern registrierte Anstieg der Vernetzung die potenzielle Aufmerksamkeit für jeden empfohlenen Inhalt automatisch schrumpfen lässt (woraus übrigens umso mehr folgt, dass jeder sich für die Verbreitung seiner Inhalte zu engagieren hat).

Die eindrucksvollsten Zahlen, um ansatzweise ahnen zu können, wohin die Reise geht, sind die von Googles Videoportal regelmäßig veröffentlichten Content-Explosionszahlen. Im Mai 2011 luden Nutzer pro Minute 48 Stunden Videos auf Youtube hoch. Wenn also doch verzeihlich ist, dass die allermeisten Inhalte, die durch meine Feeds, Timelines sowie Newsletter rauschen, mir aufgrund ihrer schieren Menge entgehen müssen, entbindet mich das nicht davon, ab und zu stichprobenweise etwas zu sharen, liken oder retweeten. Und erst recht nicht von der direkteren Kommunikation, die alle Netzwerke in unterschiedlichen Spielarten ermöglichen. Natürlich ist Feedback so wenig gleich Feedback, wie Freunde „Freunde“ sind. Aber den Überblick über Kommentare, Direktnachrichten und die klassische E-Mail zu behalten, gehört dazu.

Das Fernsehen schaut zurück

Und so kann es einem Fernsehkritiker passieren, dass, während er gerade seine Onlinekritik zu einer Talkshow zu vertwittern erwägt (und erst mal die Kommentare darunter überfliegt, ob außer Unmutsäußerungen gegenüber Institutionen wie GEZ oder SPD etwas darin steht, das eine Reaktion erforderte), eine Nachricht aufpoppt, in der die Talklady von der gerade besprochenen Sendung ihre Handynummer nennt und um Rückruf bittet. Wenn der Fernsehkritiker der Bitte Folge leistet, zitiert sie Kollegen, die anderswo online ihre Sendung besser gefunden haben und lädt ihn dann zur Sendungskritik ein.

Selbstredend verfolgt die Talklady so sehr wie jeder andere Medienproduzent eine Strategie. Und sei es nur, dass, wer ihr einmal die Hand geschüttelt hat, künftig eher darauf verzichten wird, das gattungsgemäß oft etwas spröde Medienprodukt Talkshowkritik damit aufzulockern, dass er aus dem aktuellen Twitterstream die wegen des aktuellen Lippenstifts der Talklady aufgeworfene Frage zitiert, ob die „Maskenbildnerin besoffen“ ist. Wobei es trotzdem schön ist, wenn aus dem großen Stream ein analoger Handschüttelkontakt zustande kommt.

Christian Bartels ist Medienjournalist (etwa bei der Kolumne

dasaltpapier.de

auf evangelisch.de) und bloggt auf

ueberallistesbesser.de

über die Gegenwart des deutschen Kleinstaatereifames

Jetzt schnell sein!

der Freitag digital im Probeabo - für kurze Zeit nur € 2 für 2 Monate!

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden