Freitag: Bayerns Staatsregierung macht eine ziemlich engagierte Flüchtlingspolitik. Finden Sie das auch?
Ates Gürpinar: Ja, es wird viel Geld aufgewendet. Aber gute Integration sieht in meinen Augen anders aus.
Herr Gürpinar, Bayern gibt so viel Geld wie kein anderes Bundesland für Flüchtlinge aus, sowohl relativ als auch in absoluten Zahlen!
Aber gerade dadurch werden die flüchtlingsfeindlichen Sprüche von Seehofer & Co nur noch perverser. Politisch fährt die CSU eine extrem harte Linie. Zusätzlich zum so genannten Bundesintegrationsgesetz soll es ein eigenes bayrisches Integrationsgesetz geben. Insgesamt will Bayern die Residenzpflicht für Flüchtlinge wieder einführen und unter anderem Menschen, die wie Flüchtlinge ausseh
einführen und unter anderem Menschen, die wie Flüchtlinge aussehen, vor Schwimmbädern kontrollieren. Die müssen dann erstmal nachweisen, dass sie sich benehmen können. Das ist nichts anderes als Racial Profiling. Auch ich könnte da ins Raster fallen. Ist Ihnen das schon passiert?Nein. Aber darum geht es auch nicht. Das Gesetz soll im Spätherbst kommen, aber schon jetzt machen viele Gruppen dagegen mobil. Ich finde es schlimm, dass im Text auch die Formel von der deutschen Leitkultur steht.Placeholder infobox-1Wir verstehen Ihre Kritik. Aber die Leistungen Bayerns lassen sich nicht zu leugnen. Integration wird auf vielen Feldern vorangetrieben.Davon kann keine Rede sein. Nehmen Sie das Prinzip Fördern und Fordern. Vom Förderprinzip kann ich in Bayern nichts erkennen. In den Flüchtlingsunterkünften wird die Schulpflicht bei Kindern ausgesetzt, wenn noch nicht hundertprozentig klar ist, ob sie in Deutschland bleiben können. Das ist doch absurd. Die Bayern haben zwar das Geld, aber machen eine rückwärtsgewandte Politik. Dringen Sie denn politisch mit dieser Kritik durch? Die CSU kann doch immer argumentieren: Ist ja alles schön und gut, aber wir haben 10.000 junge Flüchtlinge fit für die Integration in echten Lehrstellen gemacht.Das ändert nichts daran, dass Bayern extrem harsch mit den Geflüchteten umgeht. Auf der einen Seite vollzieht sich in der Gesellschaft gerade ein Rechtsruck Andererseits können wir uns überfehlende Resonanz nicht beklagen. Gewerkschaften, Flüchtlingsinitiativen auch Politiker von SPD und Grünen sehen das ganz ähnlich. Wir werden auch weiterhin gegen das geplante bayerische Integrationsgesetz mobil machen.Wie erklären Sie sich denn den Kurs der CSU: rechts blinken aber trotzdem viel für Integration tun? Die CSU beherrscht eben das kleine Einmaleins des Neoliberalismus. Sie weiß, dass sie der Wirtschaft was bieten muss. Denn die braucht dringend Nachwuchskräfte. Da kommen die Geflüchteten natürlich gerade recht. Die Konzerne investieren Geld in die Ausbildung und am Ende profitiert natürlich auch der bayerische Staat von den neuen Arbeitskräften. Dabei entstehen zum Teil innere Konflikte, die ich schlimm finde."Ich finde es offen gesagt pervers, wenn Geflüchtete beim Diehl-Konzern arbeiten müssen, der auch Waffen produziert."Was meinen Sie damit genau?Ich finde es offen gesagt pervers, wenn Geflüchtete beim Diehl-Konzern arbeiten müssen, der auch Waffen produziert. Das ist an Zynismus kaum zu überbieten – die Bundesregierung exportiert diese Waffen in Länder, aus denen dann Menschen vor Krieg nach Deutschland fliehen. Letztlich geht es der CSU nur um die Stärkung der heimischen Industrie – egal zu welchem Preis. Wahlanalysen zeigen, dass viele AfD-Symphatisanten früher Linkspartei gewählt haben. Haben Sie dagegen eine Strategie entwickelt? Viele Nichtwähler, die früher links gewählt haben, sympathisieren mit der AfD. Mir ist es wichtig, mögliche Abwanderer zur AfD sehr direkt zu erreichen. Daher werden wir in bestimmten Bezirken im Wortsinne von Haus zu Haus gehen. Wir wollen mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, weil die anders nicht mehr erreichbar sind. Idealerweise könnten sich aus solchen Hausbesuchen auch Netzwerke ergeben. So könnte man in einem Bezirk wie München-Giesing dazu beitragen, dass sich noch mehr Menschen in Wohnungsfragen zusammen tun und die Vereinzelung durchbrechen.Haben Sie schon Arbeiter- und Arbeitslosenbezirke identifiziert, in denen sie ihren Häuserwahlkampf machen werden?Es werden natürlich vor allem die größeren Städte Bayerns sein, München, Nürnberg, Augsburg. In München die Außenbezirke, in Nürnberg wären es zum Beispiel Gostenhof oder die Südstadt.Ist Bodo Ramelows Politik für Sie ein Vorbild?Dafür sind unsere Situationen in Thüringen und Bayern zu unterschiedlich. Er macht jedenfalls eine gute Politik, aber wir können uns daran nicht messen. Noch nicht. Werden Sie denn auf den ersten Ministerpräsidenten der Linken angesprochen?Auf der Straße wird man meistens auf Gysi und Wagenknecht angesprochen, Bodo Ramelow beginnt seine Rolle zu spielen."Man darf Menschen nicht gegeneinander ausspielen und Flüchtlinge oder hier lebende Erwerbslose wahlweise bevorzugen."Die Vorrangprüfung bei Bewerbungen fällt in vielen Arbeitsamtsbezirken weg. Das heißt jetzt können Flüchtlinge, die einen bestimmten Status haben, Jobs annehmen, ohne dass man zuvor prüft, ob es einen geeigneten deutschen oder europäischen Bewerber gibt. Finden Sie das richtig? Man darf Menschen nicht gegeneinander ausspielen und Flüchtlinge oder hier lebende Erwerbslose wahlweise bevorzugen. Damit schafft man eine Konkurrenzsituation. Was heißt das?Flüchtlinge dürfen nicht schlechter bezahlt werden. Es darf also keine Ausnahme beim Mindestlohn geben. Sonst würden sich die Menschen hier benachteiligt fühlen, weil sie zu teuer sind für Jobs. Der Grundsatz muss heißen, wir machen das, was wir machen, für alle nach den gleichen Regeln – egal ob Ausbildungsplätze anbieten oder Wohnungen oder soziale Rechte.Haben Sie nicht Angst, dass sich ihre Stammklientel der Entrechteten dann benachteiligt fühlen könnte? Im Gegenteil. Aha, wie das? Die Flüchtlinge sind eine Art Pausbild – es gab schon vor ihrer Ankunft zu wenig Sozialwohnungen und Jobs. Wenn es jetzt endlich Sozialprogramme für alle gäbe, würden die Flüchtlinge nicht als Konkurrenz oder Bedrohung gesehen, sondern quasi als Triebfeder für eine gerechtere Politik. Das ist jetzt Ihr Wunsch. Ja. Ich bezweifle, dass die Regierung das tun wird. Aber es wäre richtig. In Bayern ist die Vorrangprüfung nicht überall abgeschafft worden. In bestimmten Bezirken werden also die Einheimischen vor der Konkurrenz durch die Flüchtlinge geschützt. Wollen Sie diesen Schutz aufheben – oder engagieren sie sich hier für ihre Klientel der Armen und Arbeitslosen? Die Vorrangprüfung muss natürlich ganz weg. Überall in Bayern. Da führt kein Weg dran vorbei. Ich schiele da nicht nach ein oder zwei Wählerstimmen. Ihren Parteifreunden in Mecklenburg-Vorpommern – wo die Vorrangprüfung zugunsten von Inländern ebenfalls weiter gilt – täten sie damit keinen Gefallen. Da hätte die AfD sofort ein starkes Wahlkampfargument – gegen die Linke.Das ist für mich keine realpolitische, sondern eine moralische Frage. Wahltaktik darf nicht über Menschenrechte gehen.