Das mit der Freiheit der Schulwahl ist so eine Sache. Vielerorten gilt noch das Sprengelprinzip, also dass das Kind da in die Schule geht, wo es wohnt. Zudem besteht oft keine Wahl – weil die Schule vor Ort schlecht ist. Besonders kompliziert aber ist die Schulwahl für Politiker, vor allem solche, die einer linken Partei angehören. Das musste gerade Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) erfahren. Weil sie ihr Kind an eine Privatschule vor ihrer Haustür gab, wurde ihr von Gewerkschaft, Schulleitern und der Linken die Hölle heiß gemacht. Schwesig sende ein „fatales Zeichen“ aus, weil sie den staatlichen Schulen misstraue, sagte der Vorsitzende des Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger. Die taz schrieb, Schwesig sei sogar „Patin“ der Schule. In Anführungsstrichen. Als ob es da eine mafiöse Verbindung gäbe.
Wenn die Deutschen über Privatschulen reden, dann haben sie sündhaft teure englische Internate im Kopf. Die Harrow School etwa, wo die Zöglinge interessante Strohhüte als Schuluniform tragen müssen. Oder das Eton College, wo die Söhne von Prinz Charles und Lady Di zur Schule gingen – für rund 40.000 Pfund pro Jahr. Ein Missverständnis – denn solche Privatschulen gibt es in Deutschland so gut wie nicht. 80 Prozent der privaten Schulen in Deutschland sind katholische, evangelische oder Waldorfschulen. Das Schulgeld dort beträgt nicht etwa 3.000 Euro, sondern 150 Euro pro Monat (im Schnitt). Und es gibt fast immer Sonderrabatte für Geringverdiener oder Hartz-IV-Empfänger. Manuela Schwesig etwa wird pro Monat 200 Euro an ihre freie Schule bezahlen. Wäre sie arm, wären es nur 50 Euro. Dieser Preis kam in der Debatte über Schwesigs Schulwahl nicht vor. Er stört das simple Bild, das sich viele machen. Und lässt aus der Schlagzeile „Schwesig schickt ihr Kind auf Privatschule“ ziemlich viel Luft ab.
Neuerdings freilich scheint das Vorurteil gegen Privatschulen wissenschaftlich belegt. In zwei Studien haben Forscher des Berliner Wissenschaftszentrums (WZB) herausgefunden, dass die Schulbehörden der Länder die Kontrolle der privaten Schulen sträflich vernachlässigen. Der Staat überprüfe die Höhe des Schulgeldes nicht – und könne so nicht im Auge haben, ob eine Privatschule gegen das sogenannte Sonderungsverbot des Grundgesetzes verstoße.Die WZB-Forscher warnten, viele Privatschulen seien verfassungswidrig. „Würde man das Grundgesetz ernst nehmen, müssten Schulen wie Salem oder das Bonner Aloisiuskolleg sofort geschlossen werden“, sagte einer der beiden, Marcel Helbig, der Süddeutschen Zeitung. Schon hier konnte man sehen, dass es mit der WZB-Empirie nicht weit her ist. Das Aloisiuskolleg nimmt überhaupt kein Schulgeld.
Doppelblindforschung
In der Öffentlichkeit rief Helbigs Satz dennoch Empörung hervor – über die Privatschulen genau wie über die Behörden. Seitdem mehren sich die Berichte über den ungeheuren Privatschulboom, den es gebe. Nach wie vor aber besuchen nur etwa zehn Prozent der deutschen Kinder freie Schulen. Zudem entstand der Eindruck, es sei die Schuld der Privatschulen, dass das deutsche Schulsystem notorisch ungerecht ist. Freilich hat diese Rechnung einen Schönheitsfehler: Es ist das öffentliche Schulwesen, das Kinder aus Hartz-IV- und Zuwandererfamilien strukturell benachteiligt. Das kann auch nicht verwundern, denn die Staatsschule ist in ihrer – nach wie vor – dreigliedrigen Anlage eine ständische Einrichtung. Sie bevorzugt die Kinder von Akademikern und Beamten. Von 100 Arbeiterkindern schaffen es nur 23 auf die Hochschule; bei Kindern von Akademikern sind es 77. Das bedeutet: Die „Sonderung nach den Besitzverhältnissen der Eltern“ (so Artikel 7 des Grundgesetzes) ist nicht etwa Nebenwirkung von Privatschulen, sondern Wesensmerkmal der Staatsschule und ihrer Eliteanstalt Gymnasium.
Die Gutachten des Wissenschaftszentrums sind zu eng fokussiert. Ja, der Staat muss den freien Schulen auf die Finger schauen, wie offen sie eigentlich sind. Aber er sollte endlich wirksam bei seinen eigenen, den staatlichen Schulen auf Chancengleichheit achten. Die Schließung privater Schulen hilft da wenig. Tatsächlich könnte man Ausschließung und Ökonomisierung besser entgegenwirken, indem man privaten Schulen die gleichen Zuschüsse wie öffentlichen gewährt.
Die WZB-Forscher sind aber noch auf einem anderen Auge blind. Der stärkste Trend zur Ökonomisierung des Schulwesens geht keineswegs vom Privatschulsektor aus. Der mächtigste Treiber ist die Digitalisierung. Sie wird die Schulen erfassen. Und der Staat selbst ist es ja, der dafür einen gigantischen Betrag bereitstellen will – es wird die größte Investition ins Schulwesen, seit Preußen vor 250 Jahren die allgemeine Schulpflicht einführte. Fünf Milliarden Euro sollen in Computer, Tablets, WLAN, Fortbildungen der Lehrer fließen, um die deutsche Schule und die Schüler aufs 21. Jahrhundert vorbereiten. Diese Investition wird Schule und Lernen von Grund auf verändern.
Welche Wege man dabei erfolgreich beschreitet, kann sich die Staatsschule übrigens abgucken – bei den Privaten. Die sind bei der Digitalisierung nämlich weit vorne dran. Und zwar nicht, weil sie mehr Geld haben, sondern weil sie unbürokratischer handeln können.
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