Don´t ask Microsoft

Recherche Microsoft veranstaltet einen Kongress über die Freiheit des Lehrers in einem Staat, in dem Lehrer geschurigelt werden: Ungarn. Fragen dazu enden in einer Odyssee

In Ungarn haben es Lehrer gerade ziemlich schwer. Vor knapp vier Jahren unterwarf die national-konservative Regierung Orbán die Schulen und Lehrer einem strengen Regiment. Die Aufsicht über das gesamte Schulwesen ging an das Klebelsberg-Institut, benannt nach Kuno von Klebelsberg (gest. 1932), einem Antisemiten und Vertreter der Idee von der Höherwertigkeit des ungarischen Volkes. Die kommunalen Schulen Ungarns wurden verstaatlicht, es wurde ein neuer nationaler Lehrplan verfasst, Lehrer, die dagegen aufmuckten, mussten mit Rauswurf rechnen.

In diesem Land nun veranstaltet Microsoft (seit Dienstag) seine jährliche Lehrer-Konferenz „Educator Exchange“. Lehrer aus aller Welt wurden von dem Software-Riesen nach Budapest eingeladen. Der Freitag hat versucht, von Microsoft zu erfahren, wie das Unternehmen zur bedrückenden Situation der ungarischen Lehrer steht. Immerhin gingen erst vor ein paar Wochen mutige Pädagogen gegen das Schulregime von Viktor Orbán auf die Straße – ein Hoffnungsschimmer in dem Land, das stramm rechts geführt wird. Half man den ungarischen Lehrern? Erörterte wenigstens ihre Situation? Das waren die Fragen.

Microsoft reagierte auf eine interessante Art – nämlich durch Verzögerung, Beschönigung und letztlich Nicht-Beantwortung der Anfrage. Der Ball wurde so lange zwischen Microsoft Deutschland und Microsoft USA hin- und hergespielt, bis der Redaktionsschluss überschritten war. Absicht, Panne, Zufall? Darüber soll sich jeder angesichts des Protokolls eine Meinung bilden:

Wie Microsoft einmal eine Anfrage (nicht) beantwortete“

Dienstag, 9:21 Uhr: Erster Versuch, die Sprecherin von Microsoft in Berlin zu erreichen. Es werden Nachrichten auf Band hinterlassen.

Gegen halb 12:00 Uhr: Anruf bei einer Sprecherin von Microsoft, die im Netz als zuständig für das Educator Exchange-Programm in Budapest ausgewiesen ist.

Die Dame erklärt ohne zu zögern den Werbeteil der Konferenz: dass sich dort Lehrer aus der ganzen Welt treffen, um sich auszutauschen. Die Lehrer seien alle handverlesen, sie wendeten Produkte von Microsoft an. Es gehe vor allem um eine neue Plattform, auf denen sich Lehrer künftig austauschen können. Sie erzählt von Showcases – das sind die Lehrern als Werbeträger für die Produkte von Microsoft und die neue Plattform. Das Programm des Kongresses (über den die ganze Zeit getwittert wird) könne jedoch leider nicht öffentlich gemacht werden: interne Veranstaltung!

Kennen Sie die Situation in Ungarn“, will Der Freitag wissen.

Oh ja, das sei ja schlimm, kommt es zurück.

Und wie steht es mit den Lehrern in Ungarn? Ist es der richtige Zeitpunkt, einen Kongress über die Freiheit des Lehrers in einem Land abzuhalten, wo die Freiheit des Lehrers unterdrückt wird?“

Jetzt dünnt der Informationsfluss der Sprecherin deutlich aus. Der Kongress sei grundsätzlich eine unpolitische Veranstaltung. Und er sei auch schon sehr lange geplant. Aber das sei nun eine Frage, „für die die Corporation zuständig ist“.

Wird die Situation der ungarischen Lehrer auf dem Kongress denn thematisiert?“

Das wisse sie nicht, sagt die Sprecherin, wird jetzt aber doch wieder gelöster. Man könne davon ausgehen, das sei doch wahrscheinlich der Fall. Aber das könne eben letztlich nur die Corporation beantworten. Die Sprecherin bittet um schriftliche Fragen, die sie dann an zuständige Leute in den USA weiterreichen wolle.

Die Fragen an Microsoft werden also schriftlich per E-Mail gestellt. Sie gehen um 12:23 Uhr raus. Gleichzeitig erfolgt der mündliche Hinweis, dass die Fragen möglichst bis 16:00 Uhr beantwortet sein sollten. Wegen des nahenden Redaktionsschlusses:

"1) Wie steht Microsoft dazu, in einem Land einen Lehrer-Kongress zu machen, das seine Lehrer unter ideologische Kuratel genommen hat?

2) Wird auf der Konferenz Bezug darauf genommen, in einem Land unfreier Lehrer eine Tagung über die neue Freiheit der Bildung abzuhalten?

3) Wird ein staatlicher Vertreter der Regierung Orban auf der Microsoft-Konferenz auftreten?

4) Sind ungarische Lehrer dort eingeladen?“

Dann passiert erstmal nichts.

Um 14:51 Uhr meldet sich die Kommunikations-Frau aus der Berliner Microsoft-Dependance.

Die Educator Exchange ist eine Microsoft interne Bildungskonferenz, die regelmäßig an verschiedenen internationalen Orten stattfindet. Die Kriterien für die Auswahl des Veranstaltungsortes obliegen hier der Microsoft Corporation. Falls Sie weitere Fragen haben, wenden Sie sich bitte an die zuständige Presseansprechpartnerin [in den USA, Mailadresse wird genannt, d. Red.] – auf Englisch bitte.“

Das ist jetzt natürlich ein Problem. Eigentlich wollten die deutschen Microsoftler die Fragen in die USA weitergereicht haben. So war es vereinbart. Aber gut, schnell eine mail in die USA gesandt.

1) What does Microsoft officially say to the fact, that your conference is taking place in a threatening situation for hungarys teachers? Teachers are subject of an autocratic school government under MP Orban. Is this the right moment for a teachers-conference about creativity of teaching profession?

2) Do you have hungarian teachers as guests? Will you adress the bad situation of your colleauges in Budapest?

3) What is the programme of your conference?“

Aus den USA kommt zunächst die automatische Antwort, dass die Empfängerin erst wieder Anfang der Woche am Platz ist – denn sie ist selbst in Ungarn auf der Konferenz.

Gegen 16:00 Uhr kommt doch eine Mail von Microsoft. Die Beantwortung der Fragen dauere, man schaffe aber den – vom Freitag verlängerten Termin 18:00 Uhr – nicht. Wegen des Zeitunterschieds.

Das kann man verstehen oder auch nicht. Immerhin gibt es zwischen Budapest und Berlin keinen Zeitunterschied. Und die Kollegin ist ja in Budapest.

Um 19:20 Uhr kommt wieder eine Mail rein.

Hi Christian,

Thank you for your patience. I am copying my colleague, N.N., who will be able to provide a statement.

Thank you“

Um 19:49 Uhr kommt nun die „Antwort“ von Microsoft auf die Fragen des Freitag. Es ist zwar keine auf die spannenden politischen Fragen, aber immerhin wird das Programm nun nicht mehr geheim gehalten.

Microsoft Educator Exchange is an annual 3-day event recognizing and celebrating the achievements of educators from around the world. The educators in attendance have been chosen based on their exemplary work as part of the Microsoft Innovative Educator (MIE) program. More than 200 MIEs representing 82 countries from around the globe are participating in this year’s Educator Exchange, including six from Hungary. At the event participants openly discuss challenges in their countries to help advance global learning. To learn more about the event, please visit:https://microsoft.eventcore.com/e2/agenda#/.“

Seltsam ist allerdings, warum der Autor seine Antwort auf Englisch schreibt. Denn es ist Thomas Mickeleit – der Sprecher von Microsoft Deutschland. Es hat also sieben Stunden gedauert, bis diese relativ einfachen Fragen einen Umweg in die USA nehmen mussten – und dann relativ nichtssagend beantwortet werden.

Deswegen noch ein letzter Versuch – es ist ja schon spät geworden –, eine Antwort auf die Frage zu bekommen, wie Microsoft über das Gastgeberland seines Kongresses denkt:

Herr Mickeleit, ich frage Sie hiermit noch einmal offiziell und auf Deutsch.

1) Wie erklären Sie, dass Microsoft einen Kongress über Lehrerfreiheit in Budapest veranstaltet - obwohl dort die Lehrerfreiheit mit Füßen getreten wird?

2) Finden Sie es richtig, in einer Zeit der Unterdrückung und Überwachung der Lehrer in Ungarn dort selbst einen Kongress mit diesem Thema zu veranstalten?

3) Haben Sie das Thema der Überwachung der Lehrer auf Ihrer Konferenz an irgendeiner Stelle thematisiert?

4) Wie und wann sind Sie darauf gekommen, in Budapest diesen Kongress zu veranstalten?

5) Wie kooperieren Sie mit der ungarischen Regierung in Bildungsfragen?“

Vielen Dank, ich freue mich auf Ihre Antwort.“

Diese Frage war nun deutlich genug – und auch an den richtigen Adressaten gesandt. Er ist der zuständige Sprecher. Es ist 21:23 Uhr, niemand erwartet, dass heute noch eine Antwort eingeht, irgendwann will man ja auch mal Schluß machen – aber nein, Ping, um 21:38 Uhr kommt doch noch ein Mail rein.

Sehr geehrter Herr Füller, ich habe meiner Antwort nichts hinzuzufügen."

Noch Fragen?

Die Recherche diente dem Beitrag "Microsoft huldigt Orbán"

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