In vielen Bereichen können sich Grüne und Schwarze in Baden-Württemberg ziemlich leicht einigen. Nur in einem Bereich stehen sich die beiden Parteien unversöhnlich gegenüber – in der Schulpolitik. Objekt des Streits ist die Gemeinschaftsschule. Sie vereint mehrere Bildungsgänge unter einem Dach und stellt für die Grünen den Einstieg in ein modernes Bildungswesen dar. Die Gemeinschaftsschule soll perspektivisch neben dem Gymnasium die zweite starke Säule des baden-württembergischen Schulsystems werden.
Die CDU sieht das ganz anders. „Wir machen die Gemeinschaftsschulen nicht mit der Abrissbirne platt“, sagte der CDU-Vorsitzende Thomas Strobl – und er meinte: Aber wir machen sie platt, nur eben Schritt für Schritt. Das war vor der Wahl, als sich die CDU noch als stärkste Partei fühlte. Die Aussagen der CDU sind jedoch auch nach der Wahl nicht viel freundlicher geworden. Von „dieser Schulform“ werde es gewiss nicht mehr Exemplare geben, sagte Strobl kurz vor den Koalitionsverhandlungen über die Gemeinschaftsschule. Viele in der CDU wollen die ungeliebte Schulform „transformieren“. Aus ihr soll eine Realschule werden. Die Realschule gelte es zu stärken und nicht – so der große Wahlverlierer, CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf – „mit dem goldenen Zügel Richtung Gemeinschaftsschule zu führen“.
Erbe der 68er
Warum ist die Abneigung der CDU gegen die Gemeinschaftsschule, die es in etlichen Bundesländern bereits gibt, eigentlich so groß? Weil sie die späte Nachfolgerin der Gesamtschule aus den 1970er und 1980er Jahren ist, einer integrierten Schulform aus Hauptschule, Realschule und Gymnasium. Für Konservative symbolisiert die Gemeinschaftsschule das Erbe der 68er und ihrer integrativen Schulideen. Das Gegenmodell heißt gegliederte Schule. Jedes Kind müsse leistungsgerecht beschult werden, die Schülerschaft soll ab der vierten Klasse in drei Schulformen getrennt werden. Spricht man mit CDU-Schulpolitikern aus Baden-Württemberg, sagen sie: Das gegliederte Schulsystem ist erfolgreich, es hat sich bewährt.
Allerdings sind der CDU in Baden-Württemberg nicht nur die Wähler enteilt, auch die Realität ist es. Im Ländle besuchen gerade noch sieben Prozent aller Schüler die Hauptschule. Um die Flucht aus dieser Schulform aufzuhalten, benannte die CDU sie vor einigen Jahren, als sie noch sicher an der Macht schien, in eine sogenannte Werk-Realschule um. Aber das hat offensichtlich nicht viel geholfen, auch unter diesem Namen hat die Hauptschule die Schwindsucht. Inzwischen hat das auch die CDU gemerkt. Deswegen hat sie ihrem Liebling, der Realschule, so etwas wie eine kleine Gemeinschaftsschule mit eingepflanzt. Das geht so: Die ersten beiden Jahre in der Realschule sollen als Orientierungsstufe gelten. In dieser Zeit sollen alle Schüler – genau wie in der verhassten Gemeinschaftsschule – im selben Klassenraum gemeinsam lernen. Erst in der siebten Klasse werden sie dann nach Leistung getrennt.
In den Koalitionsverhandlungen wird sich zeigen, wie sehr die CDU auf ihrem Standpunkt besteht. Für die Bürger dürfte das komplexe CDU-Modell mit insgesamt vier Schulformen – Grundschule, Gemeinschaftsschule, Realschule und Gymnasium – kaum verständlich sein. Dagegen wirkt das zweigleisige Prinzip der Grünen einfach: Die integrative Gemeinschaftsschule und das Gymnasium sind verschiedene, aber gleichwertige Wege zum Abitur.
Das klingt alles sehr kompliziert und erinnert an den ersten schwarz-grünen Schulversuch in Hamburg. Dort wollten Ole von Beust und Christa Goetsch die Grundschule um zwei Jahre verlängern und ebenfalls ein zweigleisiges Modell Richtung Abitur einführen. Der erste Teil der Reform, die sechsjährige Grundschule, stoppten die Hamburger Wähler in einem Volksentscheid. Seitdem gelten Schwarz und Grün als schulpolitisches Katastrophenpaar.
Tatsächlich aber könnten die Parteien auch ein Traumpaar abgeben. Nur eine kooperative Union ist in der Lage, einer breiten Wählerschaft die überfällige Vereinfachung und Modernisierung des Schulwesens schmackhaft zu machen. Baden-Württemberg könnte das erste Flächenland werden, bei dem eine Schulreform aus einem Guss gelingt. Hunderte Gemeinden haben schon jetzt die Gemeinschaftsschule gewählt. Nicht etwa aus Ideologie, sondern aus purer Not. Nur die Gemeinschaftsschule, die alle Schüler aufnimmt, macht es Kommunen möglich, bei sinkenden Schülerzahlen eine eigene Schule im Ort zu halten. Ein einfaches Zurückdrehen der rot-grünen Schulreform hätte auch eine CDU-geführte Regierung schwerlich geschafft.
Nun aber könnte Grün-Schwarz einen einfachen Weg gehen: Die kleine Werk-Realschule wird aufgelöst. Ihre Schüler müssen von Gemeinschaftsschule und Realschule aufgenommen werden. Und, das ist wichtig, diese Schulen müssen die Kinder zum Bildungserfolg führen – unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. In der Praxis wird sich relativ schnell das gemeinsame Lernen durchsetzen. Welchen Namen die zweite Säule neben dem Gymnasium trägt, ist dann eigentlich auch egal.
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