Politisches Niemandsland

Demokratie Maaßen, Kauder, who is next? Hohe Repräsentanten wehren sich mit Händen und Füßen gegen die digitale Transformation der Politik
Mit dem strafenden Finger in der Luft: Volker Kauder
Mit dem strafenden Finger in der Luft: Volker Kauder

Foto: Sean Gallup/AFP/Getty Images

Hans-Georg Maaßen führt Krieg gegen Whistleblower. Volker Kauder will Bundestagsabgeordnete bestrafen, wenn sie ihr Grundrecht als gewählte Souveräne wahrnehmen. Ist der Sommer hinter den dicken Panzerglasscheiben der Macht zu heiß geworden, oder was ist da los?

Gerade scheiterte Verfassungsschutzboss Maaßen mit einem Versuch. Manche nennen es inzwischen Putsch. Das ist bemerkenswert. Denn der Präsident des Verfassungsschutzes tat nichts anderes, als auf die geltenden Regeln der alten Bundesrepublik zu pochen. Er wollte, dass Blogger Staatsgeheimnisse respektieren. Er scheiterte, ja er beschädigte das politische System. Denn nun klatschen alle Beifall – für den Rechtsbruch.

Maaßen bewahrte nicht etwa das Prinzip des Klandestinen, das er qua Amt schützen muss. In Wahrheit etablierte er erst eine Figur als legitime politische Physiognomie, die es in Deutschland kaum gab: den Whistleblower. Der Verfassungsschützer wollte diesen moralischen Geheimnisverräter erlegen. Zerlegt aber hat sich dabei beinahe die Regierung. Ihre Kernressorts Inneres und Justiz waren samt Kanzleramt unterschiedlicher Auffassung darüber, ob und wie Recht und Gesetz durchzusetzen wären. Das ist irritierend, um es freundlich zu sagen, denn die rule of law ist nichts weniger als die Grundlage der rechtstaatlichen Demokratie.

Die nächste Mutprobe

Der Skandal ist kaum vorbei, da versucht sich gleich der nächste an einer Mutprobe. Auch das ist eine Art Putsch. Volker Kauder, immerhin der Vorsitzende der CDU-Fraktion mit 311 Abgeordneten, also knapp der Hälfte des Parlaments, kann sich nicht einmal dieser überwältigenden Mehrheit mehr sicher sein. Daher kündigte Kauder harte Strafen gegen Abweichler an. Wer die Regierung in der Griechenlandfrage nicht stützt, dem stehen bestimmte Ausschussposten nicht (mehr) offen.

Was Kauder da macht, ist einerseits parlamentaristische Folklore – jeder Fraktionschef will Disziplin. Das heißt, er muss den Abgeordneten das nehmen, was ihnen das Grundgesetz als höchstes Recht zugesteht. Man könnte es das parlamentarische Paradoxon nennen – frei gewählter Souverän sein, aber doch gehorchen müssen. Andererseits ist Kauder mit der Androhung realer Sanktionen einen Schritt weiter gegangen: Er makulierte praktisch den Grundgesetzartikel 38, der Abgeordnete ausdrücklich „nicht an Aufträge und Weisungen gebunden“ sieht. Es ist mehr als verrückt, dass in dem Moment, wo die Blogger unter dem Beifall des Netzes auf den Tischen tanzen, gewählte Abgeordnete ihr Krönchen der Freiheit abgeben sollen.

So sehr sich der Fall Maaßen und der Fall Kauder unterscheiden, im Endeffekt münden beide in etwas, was die parlamentarische Demokratie möglicherweise nicht aushalten kann – jedenfalls dann nicht, wenn man ihre Grundannahmen beibehalten will. Ziviler Ungehorsam gehört nicht zu dem, was staatliche Repräsentanten als Tugend für sich reklamieren können. Es ist, nach dem Widerstand, die zweitschärfste Waffe, mit der sich die Bürger gegen eine anmaßende und maßlose Regierung wehren. Das mindeste, was man also über die beiden Affären sagen kann ist, dass sie das prekäre Gleichgewicht zwischen Regeln und ihrer – legitimen – Verletzung aus dem Lot bringen.

Jetzt gleich von einer Auflösung der Rechtsordnung und der staatlichen Gewalt zu sprechen, wäre ein bisschen viel. Die Regierung fußt auf einer achtzigprozentigen Mehrheit im Bundestag, und wegen zwei Bloggern, die Geheimnisse publizieren, kollabiert kein politisches System, das im Zweifel von seinem großen Bruder USA künstlich beatmet werden würde. Dort hat sich der Staat übrigens einfach genommen, worum Hans-Georg Maaßen und sein Innenminister in Deutschland auf Knien betteln müssen. Dennoch ist es eine Art Erosion, vielleicht bringt es Transformieren auf den Begriff.

Die alte Ordnung fußte auf Gesetz, Ordnung, Eigentum und Geheimnis. Die neue Ordnung, das Neuland, hat, soweit erkennbar, die Wesensmerkmale Sinn, Un-Ordnung, Teilhabe und Transparenz. Es sind die Prinzpien der digitalen Gesellschaft, die allerorten auf Konferenzen im Munde geführt werden – von der Sharing Economy über den neuen Eigentumsbegriff bis hin zur totalen Kreativität. Verwirrende Phänomene des Übergangs sind ohnehin in allen (Geschäfts)Feldern zu spüren. Warum sollte der Apparat der politischen Steuerung also davon verschont bleiben? In unserem heißen Sommer befinden wir uns gewissermaßen im politischen Niemandsland zwischen den Systemen. Die Repräsentanten der alten Republik versuchen nochmal so richtig auf den Putz zu hauen. Dass es nicht klappt, hat eine Bedeutung: Die digitale Transformation der Politik hat begonnen.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Christian Füller

http://christianfueller.com

Christian Füller

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