Der Freitag: Frau Bogedan, schaffen die Schulen das mit den Flüchtlingen?
Claudia Bogedan: Ja, die schaffen das. Wir haben ganz unglaublich tolle Lehrkräfte, die ohne auf die Uhr oder irgendwas zu gucken, sehr engagiert sind. Die überlegen nicht: "Wo fängt das an und wo endet das?", die nehmen diese Aufgabe an. Ich bin von den Schulen begeistert.
Ja, es ist faszinierend, was die Schulen gerade leisten. Aber schaffen die das wirklich ganz alleine?
Wir brauchen Unterstützung für die Schulen, weil es nicht nur Lehrerinnen und Lehrer sein können, die diese Integrationsleistung vollbringen. Die geflüchteten Jugendlichen kommen oft mit Erfahrungen an, die gar nicht im Unterricht bearbeitet werden können. Die Pädagogik braucht Hilfe von anderen Professionen. Ich hoffe doch sehr, dass der Bund seiner Verantwortung gerecht wird und den Schulen in den kommenden Monaten mit finaneziellen Mtteln für Sozialarbeit zur Seite stehen wird.
Der Bund soll das machen?
Ja, das ist zunächst eine sozialpolitische Aufgabe. Der Bund ist in der Verantwortung. Wir Länder sind als bildungspolitischer Akteur da, um die Lehrer bereit zu stellen. Der Bund fürs Soziale.
Haben Sie denn genug Lehrer für die vielen Flüchtlingskinder, die 2016 in die Schulen kommen werden?
Wir Schulminister haben mehr Lehrer aktivieren können, als wir dachten, dass auf dem Arbeitsmarkt überhaupt verfügbar sind. Wir finden noch qualifiziertes Personal, häufig Lehrer, die nie richtig in den Schuldienst gegangen waren, sich aber jetzt mit großem Einsatz zur Verfügung stellen. Gleichzeitig müssen wir die Zahlen in der Lehrerausbildung erhöhen. Lange Zeit sind wir von sinkenden Schülerzahlen ausgegangen, jetzt steigen sie.
20.000 neue Lehrer? Nur eine Schätzung
Die Lehrer werden aber sofort gebraucht. Ihre KMK selbst hat errechnet, dass sie rund 325.000 neue Schüler erwartet – und dafür 20.000 neue Lehrer benötigt werden.
Das war keine akkurate Zahl, sondern eine Schätzung. Man hat aufgrund von Erfahrungswerten der Zuwanderung von einer Million Flüchtlingen die Zahl der Minderjährigen und Schulpflichtigen geschätzt. Damit hatten wir als Minister eine Handlungsgrundlage. Und die haben wir Länder auch benutzt.
Die Kultusminister haben im Oktober gesagt, sie brauchen 20.000 neue Lehrer für die Integration. Aber eingestellt werden im Jahr 2016 doch nur 8.500.
Es ist ein dynamischer Prozeß. Diese 8.500 waren ein statischer Wert. Da wurde von einer Zeitung zu einem Stichtag X angerufen. In den Ländern wird aber kontinuierlich eingestellt.
Verzeihung, aber das sind die in den Ländern abgefragten Einstellungszahlen für das Jahr 2016. Wir können den Kollegen von Bild und Welt da ruhig vertrauen.
Die Werte für Bremen konnten sie nicht gar ermitteln, weil wir noch keinen Haushalt haben. Viele Länder haben auch flexible Regeln verabredet. Wenn die Schülerzahlen im Laufe des Jahres weiter steigen, dann können zusätzlich Lehrerinnen und Lehrer eingestellt werden. Das meine ich mit "dynamischer Prozess". Es wird bedarfsabhängig gesteuert. Das ist der angemessene Weg, damit umzugehen. Wir wissen nicht, wie viele Kinder in den Monaten bis zum Beginn des neuen Schuljahres hinzu kommen. Bisher haben wir nur Erfahrungswerte auf groben Grundlagen: Nehmen wir die hohen Septemberzahlen – oder die geringeren Zuwanderungszahlen aus dem Januar?
Aber wenn man in die Schulen geht, dann hört man das ständig: Wir brauchen Lehrer – und zwar jetzt sofort.
Ich lade sie gerne mal nach Bremen ein.
Fixe Einstellungszahlen für Lehrer wären fatal
Da komme ich gerne. Aber wir sprechen gerade nicht nur über Bremen, sondern über das ganze Land. Um es kurz zu machen: Sie widersprechen den vielen Schulleitern in der Republik, die sagen: "Wir brauchen mehr Lehrer für die große Zuwanderung"?
Ich sage, dass sich alle anstrengen. Wir können aber nicht starr festlegen, soundsoviele Lehrer zum 31.12. einzustellen. Das wäre fatal. Wir haben ganz wenig Gespür im Moment, wie sich die Lage entwickelt. Wir wissen nicht, wie viele der Kinder und Jugendlichen, die gekommen sind, überhaupt eine Bleibeperspektive haben.
Aber haben die Kinder nicht sofort ein Recht auf Bildung, wenn sie hier ankommen?
Es geht hier um zwei verschiedene Fälle. Sprachliche Erstintegration ist das, was im Moment läuft. Das Ankommen in Regelklassen ist noch mal ein zweites Geschäft. Da haben es Flächenländer schwer, die große zentrale Aufnahmelager haben. Wir in Bremen hingegen können die Kinder direkt in die Regelklassen aufnehmen.
Direkt in normale Klassen?
Ja.
In welchen Jahrgangsstufen?
Bis 16 Jahre, bis in die 10. Klasse hinauf.
Ist das sinnvoll, Schüler ohne Deutschkenntnisse in normale Klassen zu stecken?
Das geht, wenn sie eine sprachliche Unterstützung von 20 Stunden in der Woche bekommen. Parallel zu diesem Intensivkurs nehmen die Schüler sukzessive am normalen Unterricht teil. Sie sind im Ganztag mit dabei oder sie machen schon in Sport oder in der Musik-AG mit. Viele sind ganz schnell im normalen Matheunterricht, weil das für sie eine tolle Möglichkeit für persönlichen Erfolg darstellt – da können sie schnell an ihre Leistungen im Heimatland anknüpfen.
Kein Wort Deutsch – in der Regelklasse
Die Zahl der Schulen, die wegen Personalmangels keine Willkommensklassen eröffnen können, steigt. Selbst in Klassen der Sekundarstufe kommen Schüler, die kein Wort Deutsch sprechen. Ist das ein gutes Konzept, Frau Bogedan?
Wenn die kein Wort Deutsch sprechen, wird, das – glaube ich – schwierig. Mindestens müsste dort die Möglichkeit zur Binnendifferenzierung bestehen, weil man sonst die Kinder nicht gleichberechtigt unterrichten kann. Grundsätzlich hat sich das Schulsystem in dieser Hinsicht schon stark verbessert in den letzten Jahren. In Bremen sind die Lehrer es gewohnt, mit heterogenen Gruppen zu lernen, in denen 60 und mehr Prozent der Kinder Migrationshintergrund haben. Das ist bei uns ein ganz anderer Schnack. Andere Länder, die überwiegend mit homogenen Klassen arbeiten, müssen da noch dazu lernen.
Frau Bogedan, Sie haben das digitale Lernen auf ihre Agenda gesetzt. Was ist daran eigentlich so gut?
Erst mal macht das Spaß!
Auf dem Tablet rumzudaddeln, das macht Spaß, ja.
Aber in der Schule ist es nicht Daddeln. Digitales Lernen ist etwas anderes. Der kluge Einsatz von Lernsoftware im Unterricht ist ein besonderer Anreiz, die Motivation der Schüler wächst dabei. Es besteht auch die Möglichkeit, individueller zu arbeiten. Das gab's auch in der Vergangenheit schon. Wir haben uns erst jüngst ein Mathematikbuch angeschaut, dass für verschiedene Lerngeschwindigkeiten konzipiert war. Digital geht es allerdings viel einfacher, zu individualisieren. Da sind wir einen Schritt weiter. Die Software antizipiert menschliches Verhalten. Sie sagt mir zum Beispiel, welchen Fehler ich gemacht habe.
Sie haben gesagt, dass digitales Lernen den vielen Bremer Risikoschülern helfen könnte. Wie soll das gehen?
Nur ein Beispiel: Ich kenne eine Schulleiterin, die filmt die Matheaufgaben mit einer Kamera und Stativ ab. Die Erklärungen und die Lösungen erklärt sie in dem Film sehr verständlich. Die Schüler können sich das dann vor der betreffenden Stunde anschauen – und überhaupt viel öfter. Das hilft den Schülern, berichtet uns die Schulleiterin.
Fast alle haben Smartpohnes
Das ist flipped classroom. Und der hilft – vor allem Schülerinnen. Aber viele Jungs, die keine Lust auf Mathe haben, gucken sich das gar nicht erst an. So lautet die Erfahrung aus dem umgedrehten Klassenzimmer.
Der Schule, die ich beschrieben habe, liegt in einem sozialen Brennpunkt. Die Lehrerin berichtet von dort, dass die Schüler sich die Aufgaben gerne anschauen. Die haben, trotz der sozialen Probleme, fast alle Smartphones. Die sind das gewohnt, weil die viel bei Youtube unterwegs sind. Das ist genau der richtige Weg, denn die Schüler lernen dabei, dass sie im Netz auch Orte und Instrumente zum Lernen finden.
Und sie meinen, damit könnte man die Risikogruppe in Bremen bekämpfen? Gerade diese Gruppe wird doch als eine gesehen, die man eng führen muss – und gerade keine digitalen Geräte einsetzen sollte.
Das schließt sich nicht aus: Eine Klasse eng zu führen – und der Einsatz digitaler Geräte. Das ist die hohe Kunst. Der Einsatz der Geräte ist nicht per se gut, davon bin ich kein Fan. Es reicht nicht, einfach Technik in die Klassen zu schmeißen. Wir brauchen ein abgestimmtes Konzept. Lehrer können dabei ihre Rolle reflektieren, und es soll ein intelligenter Einsatz der Geräte erfolgen. Die müssen nicht permanent im Unterricht eingesetzt werden, sondern eben nur punktuell.
Was können Sie als KMK-Präsidentin eigentlich bewirken? Das digitale Lernen ist für Sie doch nur eine rhetorische Girlande.
Nein, das will ich nicht hoffen. Wir haben einen Arbeitsprozess fürs Digitale verabredet, und ich werde als Präsidentin genau darauf achten, dass die Ergebnisse auch fixiert werden.
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