Ein Skandal erschüttert nicht allein die dem Fußballsport gewidmeten Magazine von Kicker bis 11Freunde, er reicht bis in die Nachrichtenshows öffentlich-rechtlicher Fernsehanstalten. Offensichtlich versuchten ein paar Menschen das Glück zu zwingen, bestachen Spieler, Schiedsrichter, Mannschaftsköche und Mediziner von der Oberregionalliga bis zur Champions League.
Ein Spiel zu spielen, ist die eine Sache und kann Spaß machen. Auf den Ausgang eines Spiels zu wetten, ist eine andere Sache und kann auch Spaß machen. Noch mehr Spaß kann es machen, auf den Ausgang eines Spiels zu wetten, das man beeinflusst hat. Bekanntlich erhöht dies die Gewinnchancen, und Gewinnen ist fraglos erfreulicher als Verlieren, zumal wenn es um Geld geht. Allerdings stellt sich die Frage: Geht es denn bei Spiel und Wette wirklich um Geld, und nicht mehr um Kampf, Zufall, Glück, den homo ludens (den spielenden Menschen) an und für sich?
Zumindest der deutschsprachige Nobelpreisträger Hermann Hesse erkannte in seinem Alterswerk Das Glasperlenspiel im spielenden Menschen denjenigen, der den metaphysischen Wahrheiten gelassen, nämlich im Entsagen, näher kommt. Andere Nobelpreisträger sahen im spielenden Menschen die Wahrheit des homo oeconomicus. In der klassischen Wirtschaftstheorie wird ein Subjekt konzipiert, das sich in Bezug auf bestimmte Prämissen rational verhält. So folgt jeder und jede dem Gebot der privaten Nutzenmaximierung. Allerdings stellten Wirtschaftswissenschaftler alsbald fest, dass die Vorstellung, was der maximale private Nutzen sei, nicht ohne Weiteres zu verallgemeinern ist, die Subjekte widerspenstig recht unterschiedliche Vorstellungen darüber hegten. Damit werden aber ökonomische Prozesse schwer kalkulierbar.
Bereits 1928 hatte der aus Budapest stammende John von Neumann einen Aufsatz Zur Theorie der Gesellschaftsspiele publiziert, den er 1944 gemeinsam mit Oskar Morgenstern zur Studie The theory of games and economic behavior ausarbeitete. Damit wurde die theoretische Brücke vom Spiel zur Wirtschaftswissenschaft geschlagen. Ziel war dabei die Entwicklung mathematischer Modelle zur Kalkulation des Verhaltens von Spielern, deren Entscheidungen nicht rational bestimmbar im vorgenannten Sinn sind. Mit anderen Worten: Wie kann man den Ausgang von Geschäften berechnen, bei denen unbekannt ist, was der Geschäftspartner eigentlich will?
Unsichtbare Hände
Diese Modellierung wirtschaftlichen Verhaltens treibt seit den 1950er Jahren immer neue Blüten, und eine ganze Reihe von Wirtschaftsnobelpreisen der letzten zehn Jahre wurde für Erfolge auf diesem Gebiet vergeben. Die Verwendung der mathematisch formulierten Spieltheorie stößt dabei immer wieder auf etwas, das man das soziale Dilemma nennt: Das egoistische, nicht-kooperative Handeln bringt zwar dem Einzelnen einen großen Vorteil, das kooperative Handeln aber allen Handelnden den größten Vorteil. Nun, und da rührt die Wirtschaftswissenschaft dann doch im Topf der politischen Philosophie, handelt die von Rousseau auf den Begriff gebrachte Spaltung in Bourgeois (dem gefräßigen Kleinhirnkapitalisten) und Citoyen (dem verständnisvoll-verantwortungsbewussten Staatsbürger) an eben diesem Punkt. Das Problem wurde allerdings schon vorher gesehen und etwa in Bernard de Mandevilles Bienenfabel aus dem Jahre 1714 mittels der satirischen Gleichung „private Laster = öffentliche Vorteile“ zu lösen versucht, was irgendwie doch nicht aufging.
Seither haben sich Generationen von Hegelianern und Marxisten, die einen eher theoretisch, die anderen mehr praktisch, daran abgearbeitet, das soziale Dilemma „aufzuheben“. Vielleicht weil ihnen Adam Smiths Vorschlag eine unsichtbare Hand anzunehmen, die den Wohlstand von oben nach unten verteilt, dann doch ein wenig unheimlich war.
Damit sind wir dann fast wieder bei der Wettmafia, deren Hände nunmehr allerdings sichtbar geworden sind und deren Idee von Verteilungsgerechtigkeit offenbar anders ausgerichtet ist. Warum erscheint dieser Wettbetrug nun aber nach all den Wetten, die auf die Wertsteigerung von Immobilien, in Warentermingeschäften oder Hedge-Fonds getätigt wurden, als Skandal? Nach der ersten medialen Empörung über den Betrug an sich wurde eine Rationalisierung angeboten: Der Betrug war ein Skandal, weil körperliche Gewalt eingesetzt wurde. Zu lesen war, dass für den gewünschten Spielausgang die körperliche Unversehrtheit der Spieler aufs Spiel gesetzt, jemand in einen Keller gesperrt wurde und es zu Schlägen gekommen sein soll.
Da lacht das Hypothekenhascherl, und die entlassenen Arbeiter klopfen sich die Schenkel: Die ehrliche erste Empörung gilt der Unverstelltheit, die dem Betrug zugrunde liegt. Fußballklubs sind ab einer bestimmten Größenordnung keine der Gemeinnützigkeit verpflichteten Vereine mehr, sondern dem Shareholder Value verpflichtete Aktiengesellschaften. Die Wetten darauf – ob nun im Freundeskreis oder bei ich ausbreitenden Wettbüros – sind die Börsengeschäfte derjenigen, die mit Mühe eine Kreditkarte bekommen. Und wie die Herren des Geschäftes betrügen sie. Zwar frisieren sie keine Bilanzen und beuten niemanden aus. Aber in ihrer Unbeholfenheit ist Korruption noch die eleganteste Methode, aus dem Einsatz von etwas Geld mehr Geld zu machen. Und das auch noch so ungeschickt, dass der Anwalt eines beklagten Drahtziehers, diesen damit zu entschuldigen sucht, er habe mehr verloren als gewonnen. Das heißt nicht nur, dass hier nicht einmal gelungene Wettgeschäfte abgewickelt wurden, die an sich hochspekulativ auf weniger spekulativen Grund gestellt werden sollten, sondern dass da nicht richtig kalkuliert wurde.
Wie aber kalkuliert man den Erfolg von Spielen, Wetten oder Geschäften richtig? Jüngst war und ist zu sehen, das nicht allein riesige Finanzinstitute, Automobilindustrien oder Warenhausketten untergehen können, sondern auch Nationalökonomien an den Rand der Pleite geraten. Bei den Lösungen des sozialen Dilemmas ergeben sich mitunter kuriose Lösungen wie im Braess-Paradox: Das handelt, grob gesagt, davon, wie eine aus rationalen Erwägungen getroffenen Entscheidung zur Verbesserung einer Situation tatsächlich zur Verschlechterung beiträgt. Die Spieltheorie weist also nicht notwendig den strategischen Zug aus, der Einzelnen einen Vorteil in einer Konkurrenzsituation bescheren würde. Bisweilen liegt der Vorteil für alle Beteiligten im Verzicht auf Konkurrenz.
Finger weg vom Wetten!
Was kann das aber für den Wettbetrug und das Fußballspielen bedeuten? Schöpferische Destruktion – auch so ein ökonomischer Terminus – hieße hier, keine Fußballspiele mehr zu übertragen oder anzuschauen. Besser: selber Fußball zu spielen oder ein Buch zu lesen, über Solidarität und kooperatives Handeln zu sinnieren, was man an Beispielen wie dem 1. FC St. Pauli, Eisern Union oder Türkyemspor tun kann. Vom Wetten als Arme-Leute-Variante der Börsenspekulation lässt man am Besten die Finger, denn keine Regierung der Welt wird die Verluste absichern (schließlich heißt man nur im Ausnahmefall Hypo Real Estate), und die Chancen auf eine nur pareto-optimale Lösung sind, selbst wenn man dem Glück nachhilft, gering.
Um auf den Untertitel zurück zukommen: Natürlich war Fußball ein Sport und ist es auf dem Rasen für viele Spielenden immer noch. Ab der Größenordnung, die im Wettbüro gehandelt wird, handelt es sich aber um kein sportliches Spiel mehr, sondern um ein ökonomisches.
Christian Jäger ist Privatdozent für Neuere Deutsche Literatur an der HU Berlin. Zuletzt erschien von ihm: Minoritäre Literatur, DUV, Wiesbaden 2005
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