Aufklärer und Kosmopolit, Anhänger der Französischen Revolution und Gegner der Sklaverei, Wissenschaftler von internationalem Renommé, Vordenker der Ökologie und der interdisziplinären Forschung … Alexander von Humboldt ist das Prachtexemplar einer seltenen Spezies: die des guten Deutschen. Doch leider kennen ihn die meisten Menschen diesseits des Orinoco und des Rheins kaum. Oder sie kennen ihn nur als monomanisch-verschrobenen Vermesser der Welt.
Dabei bemühen sich einige Verlage und Publizisten eifrig darum, Humboldts Schriften wieder unters Volk zu bringen. Den Anfang machte die Andere Bibliothek, die vor fünf Jahren den Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung neu auflegte, ein monumentales Werk, das auf den „tollen Einfall“ des Autors zurückging, „die ganze materielle Welt, alles was wir heute von den Erscheinungen der Himmelsräume und des Erdenlebens, von den Nebelsternen bis zur Geographie der Moose auf den Granitfelsen wissen, alles in einem Werke darzustellen, und in einem Werke, das zugleich in lebendiger Sprache anregt und das Gemüt ergötzt.“
Ein gutes Vierteljahrhundert arbeitete Humboldt an diesem großen Wurf, und als er am 6. Mai 1859, fast 90-jährig, die Schreibfeder für immer aus der Hand legte, war das Schöpfungswerk noch lange nicht vollbracht. Der Kosmos blieb unvollendet, wurde aber mit 87.000 verkauften Exemplaren trotzdem ein Bestseller seiner Zeit, den manche sogar mit der Bibel verglichen.
Als „Gegenentwurf zur Heiligen Schrift“ verkaufen ihn die Herausgeber der Anderen Bibliothek und lassen die Neuausgabe 2004 mit folgender Vorrede anheben: „Deutschland hat der Welt viel zu bieten, aber es fehlt ihm an großen Namen. Goethe wird zwar überall respektiert, aber kaum jemand kennt ihn. Wahrscheinlich ist Alexander von Humboldt der einzige Deutsche, dessen Ruhm heute bis in die USA, nach Lateinamerika und Rußland, Frankreich, Japan reicht.“ Außer vielleicht noch Franz Beckenbauer.
Affektierte Bescheidenheit
Bald folgten andere Neuausgaben Humboldtscher Schriften. In diesem Jahr, wohl aus Anlass seines 150. Todestags, erscheint gleich ein halbes Dutzend Bücher mit Texten des preußischen Forschungsreisenden, von der kleinen Sprüchesammlung Es ist ein Treiben in mir bis zur kompletten Neuausgabe des Wälzers Zentral-Asien, in dem Humboldt seine zweite große Reise, nach Russland und Sibirien 1829, publizistisch auswertete.
Bei diesen Neuauflagen wird wissenschaftliche Pedanterie tunlichst vermieden. Kein kritischer Apparat verunziert die Seiten, kein Zeilenkommentar bremst die Lektüre. Die Texte werden in voller Länge und originaler Diktion dargeboten, getreu dem Credo, dass sie auch nach mehr als 150 Jahren noch so frisch und aktuell wie damals sind und dass es allenfalls eines modernisierten Layouts und eines hymnischen Nachworts bedarf, um sie dem Publikum zu erschließen. Das Zielpublikum muss man sich wohlhabend vorstellen, denn diese Bücher sind nicht billig, mitunter sogar teuer, weil sie von den Originalausgaben die aufwändige Ausstattung mit Illustrationen und Karten übernommen haben; diese war schon Humboldt selbst so wichtig, dass sie ihn am Ende in den Bankrott trieb.
Zweitens setzen sie beim Leser ein Interesse an wissenschaftlichen Detailfragen eher voraus, als dass sie es anregen. Da ist es vielleicht doch gescheiter, eine Auswahl kürzerer Humboldt-Texte in einem Band vereint zu haben. Gleich drei solcher Textsammlungen, mit zum Teil sich deckendem Inhalt, hat Oliver Lubrich in zwei Verlagen herausgegeben. Eine davon ist Alexander von Humboldt. Das große Lesebuch, das tatsächlich einen guten Querschnitt durch dessen Lebenswerk bietet, vom rätselhaft-dunklen Rhodischen Genius des 26-Jährigen bis zum legendären Ruf um Hülfe, den Humboldt wenige Wochen vor seinem Tod in einer Zeitung abdrucken ließ, weil er einer Korrespondenz von 2.000 Briefen pro Jahr nicht mehr Herr wurde.
Aufsätze wie der über Jagd und Kampf der electrischen Aale mit Pferden, die der Forscher in Venezuela beobachtet hatte, beeindrucken ihrer lebendigen Darstellung wegen noch heute. Einige Briefe bezeugen seinen bestrickenden Charme, der – neben großem Talent und Fleiß – Humboldts Karriere nicht wenig befördert haben dürfte. Andere Texte wiederum, wie jener Ueber die gereitzte Muskelfaser oder der über die Isothermen-Linien, die Humboldt entdeckte, sind Fachaufsätze und allenfalls für Wissenschaftshistoriker eine lohnende Lektüre.
Liest man indes länger, so wirkt nicht nur vieles vom Inhalt, sondern auch vom Stil her antiquiert, die betuliche Innerlichkeit etwa, die Humboldt mit der Weimarer Klassik teilte, oder die Topoi affektierter Bescheidenheit, die er in seinen Texten auftürmte. Nach einer Weile fragt man sich: Hat dieser Humboldt, unbeschadet seiner wissenschaftlichen Leistung, wirklich das Zeug zum literarischen Klassiker, dessen Werke samt und sonders in Publikums-Editionen neu aufgelegt werden müssen? So wie die Neuausgaben kaum philologische Textkritik betreiben, verzichten sie auch weitgehend auf die kritische Würdigung und Historisierung von Humboldts Oeuvre: Es ist einfach alles gut und groß.
Transreale Kosmopolitik
Diese Lücke schließt auch Ottmar Ette nicht mit seiner Studie Alexander von Humboldt und die Globalisierung. Ette findet bei Humboldt das Programm für eine „Weltwissenschaft“ der Zukunft, das er mit offenkundiger Begeisterung in den heute grassierenden Jargon überträgt. Transdisziplinarität, Interkulturalität und andere bis zum Überdruss gehörte Wörter klingeln durch das Buch, umtanzt von so bizarren Gebilden wie „transareale Kosmopolitik“ und „fraktale Konstruktionsformen von Wissen“. Ettes Aktualisierungsversuch berauscht sich mehr an den eigenen Metaphern, als dass er Neues zur Analyse des Humboldtschen Lebenswerks beiträgt. Weitaus erhellender ist da die Doppelbiographie Manfred Geiers, der das Leben Alexander von Humboldts in dem seines um zwei Jahre älteren Bruders Wilhelm spiegelt, des Diplomaten, Bildungsreformers und Sprachforschers.
Die beiden Männer, obwohl sehr verschieden von Charakter, standen lebenslang in enger Beziehung. Geier legt den Schwerpunkt auf die frühen, prägenden Jahre im vaterlosen Elternhaus, unter der Zucht des strengen Hauslehrers Kunth, der die Brüder in die Zirkel der Berliner Aufklärung einführte. Hier begann Alexander das gigantische Netzwerk zu knüpfen, das eine der Voraussetzungen seines Erfolges war. Hier wurde ihm der weite intellektuelle Horizont eröffnet, der seinem Denken den eigentümlich universalistischen Zug gab. Hier kultivierte er die große Empfindsamkeit, mit der er der Natur begegnete. Und hier lernte er, neunzehnjährig, den Apotheker Carl Ludwig Wildenow kennen, mit dem er, sooft es ging, „Hand in Hand in den großen Tempel der Natur“ trat. Wildenow begeisterte den nur wenige Jahre Jüngeren für die Botanik.
Humboldt ist nicht als Botaniker berühmt geworden, aber er hat, vor allem auf seiner mittelamerikanischen Reise zusammen mit Aimé Bonpland, auch die Pflanzenwelt ausgiebig erforscht und gilt als Begründer der Pflanzengeographie. Diesen weniger beachteten Teil seines Oeuvres illustriert Hans Walter Lack in dem – unvermeidlich teuren – Prachtband Alexander von Humboldt und die botanische Erforschung Amerikas. Lack bietet eine Auswahl der kolorierten Pflanzenabbildungen, die Humboldt seinem amerikanischen Reisewerk beigab, und im Begleittext analysiert er die botanische Arbeit Humboldts und Bonplands anhand der Feldbücher, die sie während ihrer Expedition führten: ein wunderbares Buch, das die Sinne erfreut und zugleich Humboldts Wirken in seinem historischen Kontext würdigt. Dasselbe leistet, zu guter Letzt, auch Mein vielbewegtes Leben – die erfreulichste Neuerscheinung dieses Frühjahrs zu Alexander von Humboldt und gerade auch dem zu empfehlen, der sich gerade erst für den Menschen und sein Werk zu interessieren beginnt. Frank Holl hat daraus solche Passagen ausgewählt, in denen Humboldt über sein Leben erzählt, und diese mit erläuternden Überleitungen und einer Fülle schöner Abbildungen verbunden.
Daraus ist ein wirklich gelungener Band entstanden, der nicht nur erschwinglich ist, sondern auch das leistet, was der Zweck einer nicht wissenschaftlichen Neuausgabe Humboldtscher Texte sein sollte: das hiesige Publikum wieder mit dem Autor vertraut zu machen, anstatt ihm jeden Schnipsel seiner Werke mit der Begründung zu verkaufen, es handele sich um die heiligen Schriften eines ignorierten Klassikers. Der Humboldt-Heiligenkult, den seine rührigen Nachlassverwalter zu stiften sich bemühen, scheint ohnehin weniger auf literarischen als auf identitätspolitischen Erwägungen zu beruhen, weil da endlich mal eine historische Figur ist, mit der sich auch der gebildete, liberale, aufgeklärte Deutsche identifizieren kann. Gewiss ein ehrenhaftes Unterfangen, aber man muss ihnen trotzdem nicht alles abkaufen.
Alexander von Humboldt und die botanische Erforschung AmerikasH. Walter Lack. Prestel, München 2009, 278 S., 148 Über die Urvölker von Amerika und die Denkmähler welche von ihnen übrig geblieben sind Alexander von Humboldt; Hg. von Oliver Lubrich. Wehrhahn, Hannover 2009, 168 S., 16 Über die künftigen Verhältnisse von Europa und Amerika Alexander von Humboldt; Hg. von Oliver Lubrich, Wehrhahn, Hannover 2009, 140 S., 16 Alexander von Humboldt und die Globalisierung Ottmar Ette, Insel, Frankfurt am Main 2009. 476 S., 24,80 Alexander von Humboldt. Mein vielbewegtes Leben Ausgewählt von Frank Holl, Eichborn, Frankfurt am Main 2009, 283 S., 29,95 Alexander von Humboldt. Es ist ein Treiben in mir Hg. von Frank Holl. Dtv, München 2009, 180 S., 8,90 Die Brüder Humboldt. Eine Biographie Manfred Geier, Rowohlt, Hamburg 2009, 359 S., 19,90 Reise durchs Baltikum nach Russland und Sibirien/Amerikanische Reise Alexander von Humboldt; Hg. von Hanno Beck. Edition Erdmann, Wiesbaden 2009, 256/352 S., je 24,90 Alexander von Humboldt. Das große Lesebuch Hg. von Oliver Lubrich. Fischer TB, Frankfurt am Main 2009, 352 S., 13,50 Alexander von Humboldt. Die Entdeckung der Neuen Welt Hg. von Ottmar Ette. Insel, Frankfurt am Main 2009, 780 S., 98 Alexander von Humboldt. Zentral-Asien Hg. von Oliver Lubrich. Fischer TB, Frankfurt am Main 2009, 1.216 S., 78
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