„Im Jahr 2010 war Russland so korrupt wie Papua Neu Guinea, mit den Eigentumsrechten von Kenya, und so wettbewerbsfähig wie Sri Lanka.“ Außerdem werden Russen dieses Jahr rund 50 Milliarden Dollar außer Landes schaffen, und 22 Prozent wollen gleich selber emigrieren.
Für die Autoren einer aktuellen Studie des European Councils of Foreign Affairs ist daher klar: Russland kann nicht länger als aufstrebendes Schwellenland gelten wie die anderen BRIC Länder (Brasilien, Indien, China und Südafrika). Auf den Punkt bringt dies ein anonymer Analyst: „Wir dachten, wir würden mit China aufsteigen, doch nun wissen wir, dass wir zusammen mit der EU absteigen“. Grund dafür ist die Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009, die Russlands
Russlands Noch-Präsidenten Dimtri Medwedew zur Erkenntnis brachte: „Ich habe nie verstanden, wie abhängig wir von Rohstoffen sind, und das hat mich dazu gebracht, über Modernisierung zu reden.“Kurz vor Ende seiner Amtszeit kann Medwedew nun noch einen Erfolg bei der Modernisierung seines Landes verbuchen: den Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO. „Das ist ein historischer Moment für Russland und das regelbasierte, multilaterale Handelssystem“, sagte der WTO-Chef Pascal Lamy bei der Beitrittsfeier für Russland am Freitag. Damit endet „ein 18-jähriger Marathon“ an Beitrittsverhandlungen, und Russland wird als letztes Mitglied der G20 nun auch Mitglied der WTO. Möglich gemacht hat dies ein Abkommen zwischen Russland und Georgien. Mit Schweizer Hilfe haben sich die beiden Staaten darauf geeinigt, dass in Zukunft Mitarbeiter etwa der Société Générale de Surveillance den Warenaustausch zwischen Russland und den beiden georgischen Provinzen Abchasien und Süd-Ossetien überwachen. Diese beiden Provinzen hatten sich nach dem Russland-Georgien-Krieg im Jahr 2008 für unabhängig erklärt, was allerdings nur von Russland, Venezuela und ein paar Kleinstaaten anerkannt wird. Als Folge des Krieges hatte Georgien sein Veto gegen den WTO-Beitritt seines großen Nachbarn eingelegt und Russland ein Handlesembargo gegen Georgien verhängt. Damit ist Georgien einer der Hauptnutznießer des russischen WTO-Beitritts, denn das Embargo fällt nun weg."Man wird die Folgen kaum bemerken"Abgesehen vom Fall Georgiens ist hingegen umstritten, wie groß der Nutzen des russischen WTO-Beitritts für die anderen Mitglieder des Welthandelsabkommens ist. Die russischen Zollsätze sinken nur leicht etwa von 9,5 auf 7,3 Prozent bei Industrieprodukten und von 13,2 auf 10,8 Prozent bei Agrargütern. Außerdem werden einige Branchen wie Versicherungen und Telekommunikation nach langen Übergangsfristen für ausländische Wettbewerber geöffnet. Aber auch aus russischer Sicht ist der kurzfristige Nutzen des WTO-Beitritts überschaubar: Nur wenige russische Unternehmen sind international wettbewerbsfähig, und die WTO-Regeln gelten nicht für Öl- und Gasexporte. Diese machen rund zwei Drittel der russischen Ausfuhren aus. Alexei Devyatov von der Investmentbank Uralsib meint denn auch: „Wir treten der WTO bei, aber wir werden das kaum bemerken.“ Mittelfristig könnte die russische Wirtschaft aber dennoch profitieren: Nach Ansicht von Ökonomen soll das russische Bruttoinlandsprodukt BIP dank des Beitritts mittelfristig um 3,3 Prozent und langfristig um 11 Prozent steigen. Außerdem kann durch den WTO Beitritt eine weitere Verschlechterung der russischen Wettbewerbsfähigkeit verhindert werden, glaubt Susan Stewart von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik SWP. Der Beitritt ist „für Russland ein weiterer Schritt in Richtung Integration in die Weltwirtschaft und weg von einer Marginalisierung. Diese Marginalisierung droht tatsächlich, weil Russland sich momentan nicht ausreichend modernisiert."Der Haupteffekt des russischen WTO-Beitritts dürfte denn auch eher politischer als wirtschaftlicher Natur sein: „Es ist ein Zeichen, dass sich Russland in Richtung der zivilisierten Welt bewegt und nicht davon entfernt“, sagt Sergei Guriev, der Rektor der New Economic School in Moskau. Und Rolf Langhammer vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel IfW sekundiert. "Die WTO-Mitgliedschaft gibt ein Signal, dass sich ausländische Investoren auf Rechtssicherheit und den Schutz geistiger Eigentumsrechte verlassen können." Denn als WTO-Mitglied unterliegt Russland dem WTO-Schiedsgericht und muss sich folglich an internationalen Standards orientieren. Aber auch außenpolitisch dürfte der WTO-Beitritt Moskau von Nutzen sein. So hat US Präsident Barack Obama zugesagt, mit dem Kongress über die Abschaffung des Jackson-Vanik-Amendments zu verhandeln. Dieses Gesetz aus der Zeit des Kalten Krieges beschränkt den Handel zwischen den beiden ehemaligen Feinden, um Russland zu zwingen, Auswanderer ziehen zu lassen. Außerdem könnte der russische WTO-Beitritt die Verhandlungen über ein neues Partnerschaftsabkommen mit der EU beschleunigen: „Das Verhandlungsmandat auf der EU-Seite basiert auf einer WTO-Mitgliedschaft Russlands", sagt Susan Stewart.