In der Nachrichtenwelt des Westens steht Iran für Atomstreben und einen unberechenbaren Präsidenten, fanatische Demonstranten und unterdrückte Frauen. Aber es gibt auch den Iran des Alltags und der Jugend, die von Selbstbestimmung und der Hoffnung auf ihre Zukunft träumt.
In dieser Stadt lässt sich soziales Gefälle körperlich erfahren. Zwischen dem wohlhabenden Norden Teherans, mit Villen hinter hohen Mauern und baumflankierten Einkaufsstraßen, in denen Designer-Mode und Rolf-Benz-Möbel feilgeboten werden, und dem stets heißeren, staubigen und stickigen Süden liegen mehrere hundert Höhenmeter. Nach Kriterien wie Besitz und Bildung liegen dazwischen Welten. Etwa in der Mitte, im Westen der Stadt, unweit des alten Flughafens und des mächtigen Azadi-Turms, jenem Teheraner Wahrzeichen, das ein Verschmelzen des antiken Persiens mit dem Islam symbolisiert, liegt der Stadtteil Apadana.
Apadana bedeutet Palast und ist ein ehrgeiziges Bauprojekt der siebziger Jahre, eine Ansammlung uniformer, acht- bis zehnstöckiger Häuser, die in den Grau-Braun-Tönen eines Wüstensturms wie überdimensionierte Bauklötze in der Gegend stehen. Eine französische Baufirma hatte 1977 unter Schah Reza Pahlewi das Projekt begonnen, 3.000 Wohnungen als komfortable Heimstatt für den Mittelstand sollten es sein. Sechs Jahre später zogen die Mieter ein. Dazwischen lag die Revolution des Ayatollah Chomeini, die das Gesicht des ganzen Landes bis heute mehr verändert hat als jede Bausünde.
Aus der Distanz betrachtet, erscheint Apadana wie ein trostloser Wohnalptraum, wirken die mit Motiven einer bunter Vorstadtidylle bemalten Wände am Rand der Siedlung wie Hohn. Autos rasen achtspurig vorbei, Fußgängern bleiben staubige Trampelpfade, die in das überraschend grüne Innere des Quartiers führen. Während die Häuser 25 Jahre Hitze und Smog nicht verleugnen können, sprießen die Bäume und Büsche dazwischen kraftvoll wie am ersten Tag. Dies sei ein guter Ort, um seine Kinder großzuziehen, meinen die, die schon lange hier leben. Wer an den chaotischen Verkehr und den Lärm anderer Stadtteile Teherans denkt, mag das gern glauben. Auch Graffiti gehören zu den Spuren, die der Alltag am Beton hinterlässt, künstlerisch ambitionierte Collagen ebenso wie schnelle Schmierereien, mit denen sich die Urheber vor allem ihrer Existenz versichern wollten - Dead End Girls oder Pimp Reza. An einem Transformatorhäuschen prangen Wand an Wand ein Spruch aus dem Koran und ein Porträt Kurt Cobains.
Nur noch schnelle Tags
Ich bin mit Keyvan verabredet, einem jungen Künstler, der in den Jahren, da er hier aufwuchs, an vielen Wänden seine mit CK1 signierten Bilder hinterlassen hat. Augenblicklich studiert der 23-Jährige, ein schüchterner Typ mit langen Haaren, die er zum Pferdeschwanz gebunden trägt, an der Kunstschule in Tabris im Nordwesten des Iran. Von seiner Sprayer-Vergangenheit ahnt dort niemand etwas. In der elterlichen Wohnung im dritten Stock eines Hochhauses - die Mutter serviert Wassermelone und Tee - erzählt Keyvan, wie mit 18 seine Graffiti-Leidenschaft erwachte, angeregt von Skater-Videos im Internet und Rap-Filmen aus dem Satellitenfernsehen - das im Iran zwar verboten, aber ebenso verbreitet ist wie früher Westfernsehen in der DDR. In der Islamischen Republik hält der Zug der Jugendmoden mit Verspätung und wird mit Begeisterung bestiegen. Zumindest von denen, die den Mut haben zum Anderssein in einer reglementierten Gesellschaft, in der es nur eine offizielle Wahrheit gibt: den Koran.
Im Schutz der Dunkelheit zog Keyvan einst los, um seinem großen Vorbild - dem britischen Sprüh-Künstler Banksy - nachzueifern, dessen Straßenkunst längst auch in Galerien teuer gehandelt wird. "Banksy ist Gott!", sagt Keyvan, was hier weit stärker nachhallt, als es der Sprachfloskel sonst zukommt. Sein bislang letztes Bild an einer Hauswand zeigte ein trauriges Gesicht und brachte ihn für drei Tage ins Gefängnis, vor zwei Jahren. Damals wollte die Polizei ihn nicht einmal zu Hause anrufen lassen, um zu sagen, wo er sich befand. "Aber ich konnte mir das Handy von einem Mithäftling ausleihen", erzählt Keyvan mit bemühter Leichtigkeit. "Der Richter fand dann alles gar nicht so schlimm. Es war ja nicht politisch."
Dennoch traut er sich seitdem nur noch an schnelle Tags, konzentriert sich ganz auf sein Kunststudium, das er in einem Jahr beenden wird. Dort malt er ausschließlich auf Leinwand, bevorzugtes Motiv ist seine Freundin. Bei der nächsten Einzelausstellung, die Keyvan gerade vorbereitet, seiner vierten bereits, will er nur Bilder von ihr zeigen. Weg der Liebe soll die Kollektion heißen - ein Bezug auf den Dichter Hafis (zirka 1320 - 1390), der Goethe zu seinem "West-östlichen Diwan" inspirierte. In seinen Gedichten feierte Hafis den Wein, den Rausch und den Sinnesgenuss als direkte Wege zu Gott. "Der Wächter weiß, dass Hafis verliebt ist", heißt ein Zitat des Dichters, das auf einem von Keyvans Bildern versteckt geschrieben steht.
Mit All You Need is Love!, bringt Keyvan die Botschaft seiner Kunst, in der er westliche und östliche Formensprache zusammenführen will, auf den Punkt. Und fügt hinzu: "Wahre Liebe bedeutet, die Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen." Was er denn täte, wenn er das Sagen hätte, frage ich. "Ich würde einen größeren Skatepark bauen", entgegnet der sanfte Rebell und lächelt nachsichtig, als hätte ich von ihm Auskunft über das Leben nach dem Tod verlangt.
Joint am Nachmittag
Tatsächlich ist der Teheraner Skatepark, nicht weit entfernt von Apadan, eher unspektakulär und ziemlich herunter gekommen. Ein Ort der kleinen Freiheiten für all jene, die sich für kurze Zeit in eine private Gegenwelt verabschieden. Auch Hamid, Mohammad und Ali, alle Anfang 20, kennen sich von dort. Die drei fallen auf: Ali im gelben, ärmellosen Muskelshirt, Mohammad mit Baseballmütze, buschigen Koteletten bis unters Kinn und einem walrossartig nach unten gezogenen Schnauzbart. Hamid trägt die Haare zum Kamm aufgestellt, um den Hals eine silberne Kette mit Vorhängeschloss. Ein Punk in Teheran erweckt Misstrauen.
"Was machst du hier? Warum läufst du so herum?", lauten die immer gleichen Fragen, wenn die Polizei auftaucht.
In Apadana führen mich die drei zu ihrem Lieblingsplatz. Vorbei an einem kleinen Rosengarten, der schon immer der abendliche Treffpunkt der Jugend des Viertels war - von Jungen und Mädchen, was der Obrigkeit nicht verborgen blieb. Der war die explosive Mischung aus Teenager-Neugier und Hormonüberschuss in der Dunkelheit suspekt. Also wurde in der Mitte des Gärtchens ein großer, vierarmiger Laternenmast aufgestellt. Es begann ein munteres Wechselspiel des Laterne-Auswerfens und Neue-Birnen-Einschraubens - bis die Staatsmacht mit zusätzlichen Schutzgittern an den Lampen Stärke bewies. Heute ist alles verrostet und verwittert. Über Wege, deren Beton wucherndes Wurzelwerk gesprengt hat, erreichen wir in einem der Hochhaustäler ein altes Becken, das zur Graffiti-Galerie geworden ist. Im Schutz der Sträucher kreist ein Joint. Es ist früher Nachmittag.
Hamid, Mohammad und Ali sind erschöpft vom Parkour-Training. Der Trendsport aus Frankreich, bei dem die ganze Stadt als großer Hindernisparcours begriffen wird, den es möglichst schnell und möglichst geschmeidig zu durchlaufen gilt, ist ihre große Leidenschaft. Mauern, Treppen, Geländer, geparkte Autos - alles kann mit der entsprechenden Körperbeherrschung überwunden werden. Für gute Traceure, wie die Parkour-Sportler genannt werden, ist die Belastbarkeit des eigenen Körpers die einzige Grenze. Der 21-jährige Hamid gilt hier als der erste im Iran, der mit Parkour begonnen hat, nachdem der Sohn eines aus Paris zurückgekehrten Auswanderers die Idee in die Hochhaussiedlung eingeschleppt hatte. "Es geht um Action, Action, Action", sagt Mohammad, "davor hatten wir nichts als Computerspiele."
Einmal ist Hamid beim Sprung von einem Zaun hängen geblieben und hat sich den Ringfinger der linken Hand abgerissen. Stolz erzählt er, dass er damals so ungerührt ins Krankenhaus gelaufen sei, dass man die Polizei rufen wollte in der Annahme, er stünde unter Drogen. Nachdem der Arzt den Stumpf versorgt hatte, wollte Hamid den verlorenen Finger mitnehmen, um sich den Knochen um den Hals hängen zu können. "Bedien´ dich!", habe der Arzt trocken erwidert und auf einen ganzen Behälter mit abgetrennten Gliedmaßen gezeigt. Hamid verzieht das Gesicht. "Ich wollte natürlich meinen Finger." So viel Individualität müsse schon sein.
"Anarchie, sich betrinken, Drogen, Heavy Metal", listet Hamid auf, was ihm wichtig ist. "Ich mag es, anders zu sein." Außerdem liest er gerade Nietzsches Also sprach Zarathustra. Was ihm daran gefällt? Dass jeder daraus etwas für sein Leben mitnehmen könne. Das sei nicht wie beim Koran oder der Bibel, die den Menschen nur unterdrücken wollten. Beim Thema Religion funkeln seine vom Kiffen geröteten Augen: "Die Leute, die beten, sind so dumm! Weil sie an etwas glauben, das es gar nicht gibt, das sich doch nur jemand ausgedacht hat." Ali, der an der Universität Metallurgie studiert, schaltet sich ein, so krass sehe er das nicht. Sein Blick schweift in die Ferne, plötzlich drückt er sich ins Gebüsch. Am Fenster im vierten Stock taucht der Kopf seiner Mutter auf. "Wenn die sieht, dass ich rauche, gibt es Ärger." Alle drei wohnen noch zu Hause.
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