Bischöfen droht Anklage

Justiz Hat die evangelische Kirche Hamburgs von Missbrauchvorwürfen gegen einen Pastor gewusst und den Fall vertuscht? Akten sind verschwunden. Nun ermitteln die Staatsanwälte

Erstmals wird in einem Missbrauchsskandal gegen Bischöfe ermittelt. Am vergangenen Freitag berichtete das Hamburger Abendblatt über ein im Mai eingeleitetes Ermittlungsverfahren der Lübecker Staatsanwaltschaft. Der Vorwurf: Strafvereitelung. Beschuldigte: Der frühere Lübecker Bischof Karl Ludwig Kohlwage, die weltweit erste Bischöfin Maria Jepsen, der frühere Personaldezernent Detlev Nonne und die frühere Pröpstin des Kirchenkreises Stormarn, Heide Emse. Sie sollen durch ihr Verhalten ermöglicht haben, dass der inzwischen geständige Pastor K. aus Ahrensburg seiner gerechten Strafe entging. „Es geht um die Frage, wer wann was gewusst, aber nichts unternommen hat“, wird Oberstaatsanwalt Günter Möller seit Freitag in diversen Medien zitiert.

Amtsleute in der Kirche?

Keinem der Autoren fiel dabei bislang auf, dass dies nicht stimmen kann. Strafvereitelung durch Unterlassung kann man nämlich nur „im Amt“ begehen. Dazu muss man außerdem „Garant der Strafverfolgung“ sein, Polizist, Staatsanwalt oder Richter. Bischöfe gehören nicht zu den Garanten der Strafverfolgung. Am morgigen Mittwoch will die Staatsanwaltschaft Lübeck das durch eine Presseerklärung richtigstellen. „Weltliche oder kirchliche Amtsträger können behördenintern verpflichtet sein, Straftaten ihren Vorgesetzten zu melden, Vorgesetzte können verpflichtet sein, sie disziplinarrechtlich sie aufzuklären und ahnden zu lassen. Das zu unterlassen wäre aber keine Strafvereitelung im Sinne des StGB“, stellte der Lübecker Oberstaatsanwalt Ralf Anders dazu schon vorab auf Anfrage klar. „Wenn wir wegen Strafvereitelung gegen Personen ermitteln, die keine Garanten der Strafverfolgung sind, dann gehen wir davon aus, dass sie durch aktive Handlungen die Bestrafung eines Täters zu verhindert haben, indem sie zum Beispiel auf Zeugen oder potenzielle Anzeigeerstatter eingewirkt haben.“

Nachfragen, ob dieser Verdacht bei allen vier Beschuldigten in gleichem Maße besteht, will Ralf Anders vor Mittwoch allerdings nicht beantworten. Sicher sei aber, dass nicht „ins Blaue hinein“ ermittelt werde – das würden § 152 StPO und die Rechtsprechung des BGH klar verbieten –, sondern auf der Grundlage von Tatsachen.

Der Fall Heide Emse

Die sind zum Teil schon bekannt. Seit Maria Jepsen den Missbrauch 2010 aufdeckte und daraufhin selbst als Bischöfin zurücktrat, sind der Öffentlichkeit zumindest eklatante Widersprüche in den Darstellungen der an Dieter K.s Versetzung beteiligten Kirchenführern aufgefallen, die keinen anderen Schluss zulassen, als dass hier vertuscht wurde und wird. Die Frage ist nur, von wem.

Unstreitig ist, dass sich 1999 eine Hauptbetroffene erstmals an Dieter K.s unmittelbare Vorgesetzte wandte. Pröpstin Heide Emse bewirkte daraufhin, dass das Personaldezernat Pastor K. zunächst an ein Jugendgefängnis und zwei Jahre später in den Ruhestand versetzte. Es leitete aber kein Disziplinarverfahren ein. Im Kirchenamt gibt es zu K.s Versetzung nicht einmal eine Aktennotiz. Selbst die zwingend erforderliche Versetzungsurkunde fehlt. Umstritten ist lediglich, ob solche Aktenstücke nie angefertigt oder gezielt beseitigt wurden.

Letzteres ist die Version des Ahrensburger Pastors Helgo Matthias Haak. Haak hatte ein ihm vom Kirchenamt auferlegtes Schweigegebot durch Klage vor dem nordelbischen Kirchengericht in einem Vergleich zu Fall gebracht, der ihm das Auspacken in der Öffentlichkeit erlaubte. Wenige Wochen nach seiner Predigt, in der er Anfang 2012 das Aktenverschwinden monierte, widersprachen Haak jedoch die nordelbischen Bischöfe Kirsten Fehrs und Gerd Ulrich: Die Akten seien nicht verschwunden, sie seien „nie angelegt“ worden.

Pastor Haak klagt an

Bei seiner Klage gegen die Nordelbische Kirche ging es Pastor Haak vor allem um sein Recht, eine ihn und 39 andere belastende Schutzbehauptung seiner früheren Pröpstin richtigzustellen. Emse hatte im Mai 2011 in einem Interview zur Versetzung von Dieter K. erklärt: „Gleichzeitig habe ich den Ahrensburger Kirchenvorstand und den Kirchenkreisvorstand Stormarn in deren Sitzungen (insgesamt 40 Personen) informiert – selbstverständlich vertraulich, denn es handelte sich nach meinem Eindruck wohl um durchaus glaubhafte Anschuldigungen, aber nicht um durch mich zu verifizierende Tatsachen."

Dazu stellte Haak klar, dass Emse damals nur gesagt habe, der versetzte Amtsbruder habe in länger zurückliegenden Jahren „eine sexuelle Beziehung zu einer jüngeren Frau“ gehabt – ohne klarzustellen, dass mit „jünger“ minderjährig gemeint sei. Emse habe zunächst die Gremien getäuscht und später die Öffentlichkeit. Die Frage ist nur, wen Emse noch alles getäuscht hat. Kannte das Personaldezernat die Wahrheit? Was wusste Bischöfin Jepsen, die den Fall 2010 an die Öffentlichkeit brachte, darüber schon 1999, als K. versetzt wurde?

Tat auch Maria Jepsen Unrecht?

Jetzt, wo er reden darf, nimmt Haak Maria Jepsen klar in Schutz: „Ich sehe Anhaltspunkte dafür, dass Frau Jepsen tatsächlich mit derselben verkürzten Darstellung informiert wurde“, erklärte der Pastor gestern auf Anfrage. Dasselbe hatte Maria Jepsen 2010 behauptet. Nach ihrer Darstellung hatte Heide Emse 1999 K.s Versetzung ihr gegenüber nur mit einer außerehelichen Beziehung zu einer „jüngeren Frau“ begründet. Das deckt sich mit Haaks Erinnerungen.

Für Jepsens Aufrichtigkeit spricht auch, dass im Personaldezernat die einzige Aktennotiz zur Versetzung von Dieter K. nicht auf Emse, sondern auf die Bischöfin zurückgeht. Dort ist zu lesen, dass Maria Jepsen 1999 im Personaldezernat anfragte, ob es stimmt, dass Dieter K. in Wahrheit wegen Missbrauchs versetzt werde. Darauf hatte eine ihr unbekannte Frau die Bischöfin am Rande einer Veranstaltung hingewiesen.

Die Aktennotiz beweist, dass Jepsen diesen Hinweis sofort an die zuständige Stelle weitergab, die aber keine Untersuchung einleitete, sondern lediglich antwortete, gegen K. seien keine Missbrauchsvorwürfe bekannt. Ob das Personaldezernat selbst Bescheid wusste, oder ebenfalls durch Emse „verkürzt“ informiert worden war, ist bislang nicht aufgeklärt. Diese Frage dürfte im Zentrum der Ermittlungen gegen Nonne und Emse stehen.

Karl Ludwig Kohlwage scheint dagegen nicht als Lübecker Bischof, sondern als Emses Vorgänger im Amt des Stormarner Propstes auf die Liste der Verdächtigen geraten zu sein. Als solcher hatte er 1989/90 nach der Scheidung von Dieter K. zu klären, ob K. in Ahrensburg Gemeindepastor bleiben konnte. Kohlwage bestreitet allerdings vehement, dabei auf Missbrauchsvorwürfe gestoßen zu sein.

In den Schlagzeilen wird dagegen meistens nur eine Verdächtige erwähnt: Maria Jepsen. Dabei war sie nach allem, was man jetzt weiß, hier nicht die Täuscherin, sondern die Getäuschte. Indem sie ihrem Kirchenamt vertraute, tat sie den Opfern Unrecht. Ein sträfliches Vertrauen, aber keine Straftat. Morgen wissen wir mehr.

Christianberlin hat diesen Text freitag.de als Artikel angeboten. Er wurde vor der Veröffentlichung redaktionell bearbeitet

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Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

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