Das E-Book hat ein Image-Problem. Ein Grund dafür ist klassische Medienangst. Es mag ja sein, dass die Schrift nicht die Dichtung, die Kunst nicht die Philosophie, der Roman nicht das Epos, die Fotografie nicht die Malerei, das Kino nicht die Literatur, das Fernsehen nicht das Kino, das Video nicht das Fernsehen, der Stream nicht das Video und überhaupt das Digitale nicht das Analoge zerstört hat. Aber „dieses E-Book“, wie es gerne parallel zu anderen technikgestützten Innovationen wie „dieses Facebook“ oder auch „dieses Twitter“ genannt wird, löst bei vielen noch immer Befremden aus.
Programmatische Print-only-Leser sehen in E-Books schlicht schlechte Digitalkopien von Büchern. Im Verhältnis zum E-Book erscheint ihnen das gedruckte Buch erhaben, als „richtiges Buch“ eben. Erstaunlich oft wird das Verlegen von E-Books deshalb auch mit Self-Publishing und minderwertiger Qualität gleichgesetzt, was schlichtweg Unsinn ist. Es gibt professionelle E-Book-Verlage und Self-Publishing, gerade so wie es professionelle Verlage und Print-on-Demand gibt.
Wenn man mit Autoren spricht, die in klassischen Verlagen veröffentlichen, gewinnt man schnell den Eindruck, dass auch dort das gründliche Lektorat längst keine Selbstverständlichkeit mehr ist, weil es extern und schlecht bezahlt durchgeführt wird. Eher ist es so, dass manche Indie-E-Book-Verlage in ihrem Beharren auf traditionellem Lektorat und schöner Gestaltung diese nach wie vor Traditionsverlagen zugesprochene Rolle übernommen haben. Hier arbeiten ausgesprochene Literaturliebhaber, während die „klassischen Verlage“ meist nicht mehr von visionären Inhabern geführt werden, sondern gewinnorientierte Verlagsgruppen sind.
In den Medien kommt das E-Book aber nur dann vor, wenn Amazon wieder einmal eine Neuerung vorstellt, wie zuletzt sein Flatrate-Angebot „Kindle Unlimited“. Am E-Book selbst herrscht aber fast schon aggressives Desinteresse.
Dabei ist unter Verlegern Aufbruchstimmung zu spüren. 2013 gründeten mehrere Autorinnen und Autoren fast gleichzeitig in Berlin E-Book-only-Verlage, darunter Mikrotext, Frisch & Co, Ring E-Books und Shelff, mit denen sich der Frohmann-Verlag zum E-Book Network Berlin zusammengeschlossen hat. Im Juni dieses Jahres fand in Berlin mit der Electric Book Fair die erste Messe für E-Books und neue E-Book-Verlage statt. Im Netz eröffnen ständig neue Vertriebsplattformen und E-Book-Shops. Das feministische Missy Magazine hat gerade als erste Zeitschrift eine E-Book-only-Rezensionskolumne eingeführt. Laut Börsenverein des deutschen Buchhandels liegt der Marktanteil von E-Books inzwischen bei 3,9 Prozent. Was sich verkauft, sind vor allem Genre-Literatur und Sachbücher.
Vermutlich hätten es E-Books im deutschsprachigen Kulturraum von Anfang an leichter gehabt, wenn sie nicht wegen ihrer irreführenden Bezeichnung und diversen Gestaltungselementen – die Reader-Schutzhülle im Buchcoverdesign, die beim „Umblättern“ raschelnden Seiten und Eselsohrmarkierungen mancher Leseapps – mit der klassischen Buchkultur so eng in Verbindung gebracht worden wären. Es gibt nämlich, mindestens, zwei Arten von E-Books und nur die eine lässt sich sinnvoll als „elektronisches Buch“ bezeichnen: die digitale Ausgabe eines geistig-immateriellen Inhalts, der auch als gedrucktes Buch erhältlich ist. Wenn ein Titel als Printbuch existiert und der Verlag dazu eine digitale Ausgabe produziert, so ist dieses ein „richtiges E-Book“.
Der Text strömt
Deutlich eigensinniger, hybrider und interessanter sind die „falschen E-Books“, die kaum etwas mit Printbüchern gemein haben und deshalb eigentlich nicht sinnvoll „elektronische Bücher“ genannt werden können. In und mit ihnen zeigt das neue Format performativ, was es kann: ein buchstäblich offener Text sein, der in verschiedenen Versionen neben- und nacheinander existiert, der sukzessive neue Gedanken, Bilder und Autoren in sich aufnimmt, der strömt und Resonanzschleifen erzeugt, der mittels Verlinkung beim Lesen rekursiv hin und her springt, der in seinem ungewöhnlichen Erscheinen neue Erfahrungs-, Vorstellungs- und Gefühlswelten eröffnet, die mit einem sich ständig verändernden Schreiben und Lesen einhergehen.
Den Gestaltungsmöglichkeiten von E-Books, echten und falschen, sind, darin irren die Kritiker nicht, zum jetzigen Zeitpunkt noch Grenzen gesetzt. Mangels fehlender Standardisierungen von Dateiformaten, Leseapps und -geräten sehen ambitionierte Layouts nicht auf allen Geräten gleich gut aus oder weisen sogar Darstellungsfehler auf. Professionelle E-Book-Verleger bescheiden sich daher für den Moment mit einer einfachen Gestaltung. Mit der Textsammlung Ästhetik des E-Books, die gratis als E-Pub-Datei heruntergeladen werden kann, wurde im Rahmen der Electric Book Fair deshalb nun ein Forum geschaffen, um die Diskussion zwischen Text-, Design- und Tech-Personen zu eröffnen.
So wie meisten Argumente gegen das Medium auf die „falschen“, eher Insidern bekannten E-Books nicht zutreffen, referieren die meisten Argumente dafür – die Möglichkeit, seine ganze Bibliothek bequem mit sich herumzutragen oder auch die Schriftart und die Schriftgröße selbst bestimmen zu können – eigentlich nicht auf die E-Books selbst, die ja genau genommen nichts anderes als Dateien sind, sondern auf Lesegeräte. Es ist das Resultat eines begrifflich unscharfen Sprachgebrauchs. Selbst die Literaturwissenschaftlerin und Autorin Ruth Klüger outete sich 2011 im ersten Titel der Reihe Anders Lesen als „süchtige E-Book-Leserin“, wobei sie den Kindle ihr „E-Book“ nannte. Dieser vermeintliche Fehler bei einer höchst sprachsensiblen Person deutet darauf hin, dass bei erfahrenen E-Book-Lesern Datei und Lesegerät beim Lesen als Vorstellung verschmelzen.
Bob Browns Vision
Wem das nicht plausibel erscheint, dem sei empfohlen, einfach einmal ein E-Book zu lesen, am besten ein schönes falsches von einem ambitionierten E-Book-only-Verlag, etwa die poetischen Drinkmails aus Der Gin des Lebens von Stefan Adrian (Mikrotext), den digitalen Fortsetzungsroman Der Katechon von Johannes Thumfart (Shelff) oder das zwischen E-Book-Anthologie, Blog und Baumwollbeutel springende Berlin Unschick (Frohmann). Die meisten Menschen zeigen sich, wenn sie es denn endlich am eigenen Leib zu fühlen bekommen, äußerst überrascht, wie angenehm es sich auf einem Reader, ja selbst auf einem Smartphone liest – laut Ex-Verlegerin Elisabeth Ruge und Trendforscher Johannes Kleske ohnehin das Lesegerät der Zukunft. Ob ein E-Book nun gut oder schlecht ist, erweist sich dann nicht mehr als eine prinzipielle Frage. E-Books sind so gut, wie man sie macht. Zumindest in dieser Hinsicht sind auch falsche E-Books Büchern vergleichbar.
1930 beschrieb der US-amerikanische Visionär Bob Brown in seinem zwischen futuristischem Gestus und Jules Verne’scher Bilderwelt oszillierenden Manifest The Readies „eine Maschine, die uns das Bewältigen der gewaltigen Menge an Gedrucktem erlauben und dabei optisch ansprechend sein wird“. Wie bei heutigen Lesegeräten sollte man mit dieser erfundenen Maschine die Schriftgröße den eigenen Bedürfnissen anpassen können. Als prospektiver Geistesverwandter der Avantgarde des Jahres 2014, die sich nicht für richtige E-Books interessiert, galt Browns Aufmerksamkeit nicht der bloßen Umformatierung klassischer Inhalte, sondern „einer verdammten Revolution des Wortes“.
Das falsche E-Book ist als kultureller Möglichmacher verdammt revolutionär und das, obwohl ihm als Format bereits zwangsläufig sein Ende eingeschrieben ist. Revolutionär am E-Book-Schreiben, -Lesen und -Verlegen ist eben nun mal auch, dass darauf hingearbeitet wird, in das nächste Format, die nächste Literatur und die nächste „verdammte Revolution des Wortes“ überzugehen.
Christiane Frohmann ist E-Book-Autorin, -Verlegerin und -Theoretikerin sowie Mit-Kuratorin der Electric Book Fair. Ihr Frohmann-Verlag hat sich im vergangenen Jahr mit vier weiteren zum E-Book Network Berlin zusammengeschlossen
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.