Auf dem Weg zu einer Ausstellung über das Kino hat man unwillkürlich Heerscharen von Monitoren und Projektionsflächen vor Augen, auf denen Filme aus elf Jahrzehnten Kinogeschichte präsentiert werden. Ob dieser Aussicht innerlich gleich bildungswillig gerüstet, stattet man sich pflichtbewusst mit einer Dauerkarte aus, betritt die für Filmvorführungen meist ungeeigneten Museumsräume und schaut tagelang den bewegten Bildern zu. Ist die - in den aller meisten Fällen - historisch exemplarisch ausgerichtete Ausstellung abgearbeitet, verlässt man sie mit viereckigen Augen, aber dem guten Gefühl, einmal mehr zu wissen, was Kino im Ergebnis ist. Wie Kino Kino wird, wie es funktioniert, entnimmt man dann zu Hause den theoretisierenden Begleitkompendien. Kino und Ausstellung, so das nach einem solchen Marathon zurückbleibende Gefühl, bei dem Sehen und Verstehen einmal mehr nicht dasselbe waren, passen letztlich nicht zusammen.
Bei einem Besuch der Ausstellung Kino wie noch nie, die von Harun Farocki und Antje Ehmann für die Wiener Generali Foundation kuratiert wurde, ist das anders. Die Ausstellung versucht keinen exemplarischen Aufriss der Kinogeschichte zu präsentieren, sondern versammelt eine aufnehmbare Zahl künstlerischer Arbeiten aus den letzten drei Jahrzehnten, die Einblicke in einige Funktionsweisen des Films geben und diese damit ästhetisch erfahrbar machen. "Zerpflücke eine Rose und jedes Blatt ist schön", lautete Brechts Votum pro Analyse, das auch als Motto des Ausstellungskonzeptes hätte dienen können.
Dem analytischen Ansatz entsprechend sind die ausgestellten Werke der Untersuchung und nicht der Beschreibung ihrer Themen verpflichtet. Unter dem Titel Wiederkehrende Muster III - Kinogeschichtliche Archetypen lassen Ehmann und Farocki zum Beispiel in ihrer extra für die Ausstellung angefertigten Installation in sechs einzelnen Videoloops Bilder mit Bildern kommunizieren. In den Sequenzschleifen Verbindung, Spiegel oder Innere Bewegung klingeln unterschiedliche Telefone der Filmgeschichte, schauen Filmmänner in Spiegel, verrät das Mimenspiel der Schauspielerinnen deren innere Bewegtheit. Dabei versammeln die einzelnen Loops nicht alle möglichen Varianten ihrer Motive, nicht mal exemplarische. Sie bestehen vielmehr aus disparaten Aneinanderreihungen von Filmeinstellungen, die durch die Differenzen im Immergleichen den Umgang des Kinos mit seinen Axiomen erfahrbar machen.
Krassimir Terzievs Installation A Movie hingegen zeigt in einer Doppelprojektion 50 in unterschiedliche historische Kostüme gekleidete Statisten, welche sechs Stunden lang auf einem Studio-Gelände in Sofia den Beginn von Dreharbeiten erwarteten, die letztlich nie stattfanden. Terziev hat die ahnungslosen Menschen dabei gefilmt und lässt sie in der Projektion 27 Minuten lang in sich nie erfüllender Hoffnung auf und abgehen, miteinander reden, sich langweilen. Die Projektion vermittelt in ihrer Schlichtheit einen deutlich sinnlichen Eindruck von dem Umgang der Filmindustrie mit ihren unteren Chargen.
Terzievs Werk eignet damit thematisch ein Moment, das auch in anderen Arbeiten der Ausstellung zu finden ist: Unter dem Titel Hingelegt, geküsst, weggetragen untersucht die Videoarbeit von Antje Ehmann die Sterotypen in der Darstellung des Mann-Frau Verhältnisses auf Kinoplakaten und ist somit, in einem weiten Sinne auch politisch zu verstehen. Wie die Ausstellung im Ganzen, denn die visuellen Analysen der gezeigten Werke machen den Besucher mündiger im Umgang mit den Darstellungsweisen und Stereotypen des Kinos. Er lernt, Bilder auf ihre Funktionsweisen hin zu lesen.
Dabei setzt die analytische Ausstellung beglückender Weise ganz auf die bildliche Vermittlung ihres Themas. Dafür nutzt sie in weiten Teilen die Aussagekraft von visuellen Differenz-Wiederholungen. Texte findet man nur in Form von Statements und Zitaten auf dem Fußboden der Räume. Und der Katalog zur Ausstellung enthält nur drei längere Aufsätze über verstreute Themen zum Kino: Außerirdische, Deleuzes Kinoverständnis und Hartmut Bitomskys Sicht des Zusammenhanges zwischen Kino und Tod (der auch von seiner Installation Das Kino und der Tod von 1974, die in der Ausstellung zu sehen ist, erläutert wird). Daneben bietet der Katalog kurze Texte unterschiedlicher Autoren zu den eben beschriebenen Motiv-Loops, die zum Teil vom selben Ausgangspunkt aus zu unterschiedlichen Beschreibungen kommen und so erneut durch Differenzen bei der Betrachtung einer einzigen Sache deren Funktionieren erläutern. Auch beim Katalog ergibt die Mischung aus Disparatem und Verdoppeltem Verständniseffekte und macht das Ausstellungskonzept zu einer runden Sache.
In den analytischen Zitatekontext der Ausstellung schmiegt sich künstlerisch Constanze Ruhms Arbeit Travelling / 234 / Extérieur Nuit ein. In der Projektion wurde eine Kamerafahrt aus Godards Film Nouvelle Vague digital nachgestellt - allerdings ohne Darsteller. Diese Videoarbeit zitiert damit nicht nur die Referenzsequenz, sondern macht die jedem Zitat eigene Transformation des Originals anschaulich. Ganz ohne Worte und belehrende Erläuterungen.
Die Ausstellung ist in ihren Varianten ohne Vollständigkeitsanspruch trotz des analytischen Ansatzes erfrischend unpädagogisch. Sie erinnert nicht an eine Bildungsanstalt, sondern eher an ein Laboratorium, in dem unterschiedliche Elemente des gleichen Systems in Reaktion gebracht werden und man darauf setzt, dass nicht vorhersehbare Erfahrungs- und Erkenntnisexplosionen sich im Kopf des Besuchers abspielen.
Die Ausstellung trägt damit deutlich die Handschrift ihrer Kuratoren. Die filmischen Arbeiten des Dokumentarfilmers Harun Farocki zeichnen sich durch ihren analytischen, nicht einfach einsammelnden Blick aus. Sein Interesse gilt der Frage, wie Phänomene gesehen oder medial vermittelt werden, und erst in diesem Sinne, was sie sind. Er nutzt in seinen Filmen strukturelle Parallelen zwischen scheinbar unzusammenhängenden Themen wie etwa Konsumentenverhaltensforschung und Gefängnisüberwachung (Ich glaubte Gefangene zu sehen 2000), um durch die Differenzen in den Übereinstimmungen der Phänomene das Thema Überwachung zu erhellen. So auch in seiner Arbeiten, Arbeiter verlassen in elf Jahrzehnten die Fabrik, die neben anderen in der Ausstellung zu sehen ist: Auf zwölf in Viererreihen gestapelten Monitoren scheinen Filmszenen auf, in denen Arbeiter beim Verlassen von Fabriken zu sehen sind. Hier bringen die historisch bedingten Unterschiede in den Darstellungen des Motivs aus den verschiedenen Dekaden der Filmgeschichte das Thema vor den Augen des Betrachters zum Oszillieren. Denn: "Nur über Differenzen kann man Kino machen", so Farocki. Auf diese Weise nutzt der Filmemacher, ganz im Sinne Brechts, Bilder, um Bilder zu verfremden und lenkt durch diesen Effekt den Blick des Zuschauers auf das Wie ihrer Entstehung.
Die Ausstellung wird durch den besonderen Ansatz ihrem großspurig wirkenden Titel durchaus gerecht. Der ist als Verbeugung vor dem 2000 verstorbenen Filmemacher Hellmuth Costard gemeint, dessen Filmtitel Fußball wie noch nie (1970/71) er zitiert; Costard ist die Ausstellung gewidmet.
Kino wie noch nie. Bis 23. April in der Generali Foundation, Wiedner Hauptstr. 15, Wien.
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