Unlängst zierte ein Udo-Jürgens-Foto die Titelseite der Bild-Zeitung, darunter stand in den üblich großen Lettern: "Kriminelle Ausländer haben hier nichts zu suchen!" Warum muss ein sehr gutsituierter älterer Österreicher mit Schweizer Pass ausgerechnet in der Bild-Zeitung seine Meinung zur deutschen Innenpolitik ausbreiten? Wo ist der gute alte moderat-liberale Jürgens geblieben? Eine Schlagzeile auf der Titelseite der Bild-Zeitung ist Gold wert, wenn es um die Vermarktung eines Produktes geht. Aber hat er das nötig? Vielleicht, so kann man dem 73-Jährigen zu Gute halten, hat er eine Generationen-Solidarität zu dem armen Rentner empfunden, der da in der U-Bahn zusammen geschlagen wurde. Und ist es nicht außerdem leider so, dass Menschen im Alter immer konservativer werden?
Udo Jürgens ist zur Zeit gut im Geschäft. Ende 2007 feierte das Musical Ich war noch niemals in New York Premiere in Hamburg. Das musikalische Lebenswerk des Schlagersängers wird in dem Musical zusammengefasst, ohne dass er selbst als Figur vorkommt. Dafür ist 51. Studioalbum Einfach ich nach eigenen Aussagen sein "bisher persönlichstes". Anfang Januar stieg es auf Platz 9 der Album- Charts ein. Grund genug für die Boulevardmagazine der öffentlichen und privaten Sender ausgiebig über den dienstältesten deutschen Schlagersänger zu berichten, und auch im Feuilleton einigte man sich darauf, für den großen alten Mann des deutschen Schlagers zumindest so etwas wie Respekt zu empfinden: War er nicht 50 Jahre im Showgeschäft? Hat er nicht unbestreitbar großes musikalisches Talent und viele gute Songs sogar für Showgrößen wie Bing Crosby und Sammy Davis geschrieben, sogar den Welthit Reach for the Stars für Shirley Bassey komponiert?
In den Siebzigern, als in den Hitparaden Liebeskitsch und Stumpfheit regierten und eine "wilde Ehe" noch ein Skandal war, prangerte Jürgens in Songs wie Ehrenwertes Haus den Mief des deutschen Spießbürgertums an. Seine Arbeitsimmigranten-Hymne Griechischer Wein sensibilisierte erstmals ein Massenpublikum für die Probleme der "Gastarbeiter" und wurde zum Hit des Jahres 1975. Jürgens und der Textdichter Michael Kunze wurden ehrenhalber sogar vom damaligen griechischen Ministerpräsidenten in Athen empfangen. Das Lied übertrug man ins Griechische, es ist als Phile kerna krassi in Griechenland zu einer Art Volkslied geworden.
Und wenn auch seine besten Texte von anderen geschrieben wurden - von Michael Kunze, Eckhart Hachfeld, Thomas Hörbiger -, so verkörperte Udo Jürgens als Komponist und Interpret mit seinem zwingenden Vortrag und seiner natürlichen Sängerautorität einen neuen in der Schlager- und Unterhaltungsbranche. Seine Auftragsarbeiten blieben im kulturellen Gedächtnis. 1971 sang er das Lied der ARD-Fernsehlotterie Zeig mir den Platz an der Sonne, und Vielen Dank für die Blumen ist einer ganzen Generation als das Titellied von Tom Jerry im deutschen Fernsehen bekannt.
Hört man sich nun seine neue CD Einfach ich an, so sieht man inhaltlich eine Verschiebung von allgemeinen Themen zu eher geriatrischen Problemstellungen. Das internet- und technikkritische Lied Völlig vernetzt drückt aus, wie ältere Menschen sich hilflos mit den neuen Medien und moderner Technik fühlen, von der "Navitante" angemeckert von "Sms bombardiert": "Bin völlig vernetzt und völlig verlor´n, von Technik umzingelt bis über die Ohr´n. Bin fernbedient und zwar komplett. Und sowas von Internet."
Mit dem Problemfeld "Krimininalität und gewaltbereite Problemjugendliche mit Migrationshintergrund" hat es im inzwischen doch recht langen Leben des österreichischen Sängers bislang wenig Berührung gegeben. 1937 in Klagenfurt geboren wuchs er, mit damals noch bürgerlichem Namen Jürgen Bockelberg, recht behütet, im elterlichen Schloss in Kärnten auf, studierte am Konservatorium. 1966 gewann er beim Grand Prix Eurovision de la Chanson, wie der "European Song Contest" damals noch hieß, mit Merci Cherie den 1. Platz. Das war der internationale Durchbruch, auf den ausgedehnte Tourneen in alle Welt folgten. Jürgens Stücke waren meistens musikalisch und inhaltlich anspruchsvoller als der normale Schlager und eher am Chanson orientiert. Es scheint so, als habe er für die Entwicklung seiner Bühnenpersönlichkeit - für die Intensität, das atemlose Singen - auch französische Künstler wie Gilbert Becaud und Jaques Brel als Vorbild genommen. Seit Merci Cherie hat Jürgens nicht nur über die Liebe in all ihren Spiel- und Unterarten, sondern auch über viele gesellschaftspolitische Probleme gesungen. In Rot blüht der Mohn prangerte er die Droge als solche an, in 5 Minuten vor 12 warnte er vor Umweltverschmutzung. Dekadenz-Kritik übte er mit Café Größenwahn, Am Tag davor hatte er Angst vor dem 3. Weltkrieg, dem Thema Überbevölkerung widmete er sich mit Gehet hin und mehret euch. Und wer kennt ihn nicht, den flotten Anti-Agism-Hit Mit 66 Jahren und den Adipositas-Knaller Aber bitte mit Sahne? Auf der aktuellen CD kümmert sich Jürgens um den Klimawandel. Aber Tanz auf dem Vulkan reicht textlich leider nicht an Präzision und Realismusgehalt der kritischen Siebziger heran: "Die Eskimos schwitzen, der Eisberg ertrinkt, die Mächtigen reden und Venedig versinkt."
Einfach ich beginnt mit einer Fanfare, einem orchestralen Gewitter aus Streichern, Bläsern, Harfe und Pauken. 120 Musiker hat Jürgens auf dem Album versammelt, hat elf Monate im Berliner Hansa-Studio und im Londoner Abbey Road Studio aufgenommen. Musikalisch sind keine Überraschungen zu erwarten, seine Studioplatten wurden immer mit Orchester eingespielt und auch diesmal wechseln sich ruhige, von Klavier und Streichern getragene Lieder mit bombastischen Kompositionen und schnelleren Tanzstücken ab. Die viel zitierten "leisen Töne" des Manns am Klavier folgen auf angejazzten Schlagerpop.
Geliebt wird Udo Jürgens von seinen Fans vor allem wegen der Konzerte. Augenzeugenberichten zufolge sind es vor allem die Damen des Typus Bürgermeistergattin, die regelrecht durchdrehen, wenn sich der Chansonnier nach dem zweistündigen Live-Konzert zum letzten da capo noch einmal im weißen Frotee-Bademantel an den gläsernen Flügel setzt, um im Schweiße seines Angesichts mit einem intimen Moment dem dankbaren Publikum noch einmal alles zu geben.
Natürlich werden diese angeschwitzten Bademäntel dann in die Menge geworfen und wie Devotionalien gehandelt. Jürgens´ großer Erfolg bei den weiblichen Fans hängt mit seinem gepflegten Äußeren, weltmännischem Auftreten und dieser Mischung aus Gentleman-Charisma und Authentizität zusammen. Unterm Smoking Gänsehaut lautet ja auch der Titel seiner Biographie. Bei der Damenwelt verscherzte er es sich aber leichtfertig durch eine unbedachte Äußerung in der Bild-Zeitung. Hatte der damals 70-Jährige dem Blatt 2005 doch gestanden, er könne sich eine Beziehung zu einer gleichaltrigen Frau nicht vorstellen, weil solch eine Beziehung eher ein Mutter-Sohn Verhältnis sei: "Frauen können eigentlich nur bis Ende 30 Kinder bekommen. Danach ebbt auch ihr Interesse an Sexualität merklich ab. Das ist wissenschaftlich nun mal erwiesen." Nach den entrüsteten Rektionen entschuldigte sich der Schlagersänger mit dem Hinweis, er sei bei dem Interview nicht richtig konzentriert gewesen, weil er Lampenfieber vor seinem Konzert in Hamburg gehabt habe.
Vielleicht ist er, wie viele gute Musiker, einfach nicht der Allerklügste und trotz 50 Jahren Showgeschäfts nicht besonders geschickt im Umgang mit den Medien? Wer weiß. Nach seinem letzten Ausflug zum Stammtisch kann man dem erfahrenen Showmann auf den weiteren Weg jedenfalls nur ein mahnendes "Hättest du geschwiegen, wärst du ein Sympath geblieben" mitgeben.
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