Der DDR-Bausoldat und Grünen-Bundestagsabgeordnete Werner Schulz wäre heute bereit, mit der Bundeswehr in Bosnien oder Kosovo einzumarschieren, erklärte er gegenüber Focus. Was wie ein persönlicher Sinneswandel aussieht, ist in Wahrheit Teil des Ausverkaufs grün-bürgerbewegter Programmatik auf dem Basar interessengeleiteter Beliebigkeit. Im Namen der Menschenrechte, für deren Einhaltung und Durchsetzung viele Friedensbewegte in beiden deutschen Staaten ihren Kopf hingehalten haben, werden heute Menschenrechte verletzt. Ein schreckliches, ein bis dato unvorstellbares Ereignis. Und es sind ausgerechnet die Bündnisgrünen, die dies als Regierungspartei nicht nur nicht verhinderten, sondern den Militärs obendrein den moralischen Persilschei
Persilschein dafür ausstellten. Für viele grünbürgerbewegte Mitglieder ist damit die Schmerzgrenze der innerparteilichen Toleranz überschritten.Um es klar zu sagen: Es gibt keine Rechtfertigung für die Verbrechen, die die Serben unter Milosevic im Kosovo begangen haben und begehen. Und es war dringend an der Zeit, den - übrigens von vielen jetzt gescholtenen Pazifisten seit langem angeprangerten - Menschenrechtsverletzungen »nicht länger zuzusehen«. Aber die unikate politische Aufgabe der Bündnisgrünen hätte in der zivilen Kontrolle der militärischen Logik, dem ständigen Mißtrauen gegenüber den Interessen der Machtstrategen und dem aktiven Gegensteuern gegen die unvermeidlichen Nebenwirkungen kriegerischen Handelns bestehen müssen. Gemessen an diesem selbstgesetzten Anspruch haben die Bündnisgrünen nicht nur versagt. Fischer, Volmer, Beck und andere haben ihren Wählerauftrag offenbar als Freifahrtschein in jene Sphären der Macht mißverstanden, in denen der Zweck jedes Mittel heiligt. Anders läßt sich der inflationäre Gebrauch der Menschenrechte als Rechtfertigung für die zerbombten Krankenhäuser, Schulen und Klöster, die im Bus verbrannten Zivilisten, für den »versehentlichen« Angriff auf die chinesische Botschaft nicht erklären. Von Bündnisgrünen vertreten, haben solche Argumentationen besonders fatale Folgen. Als scheinbar eines Besseren belehrte Alt-Pazifisten machen sie sich zu Kronzeugen für das Scheitern der Zivilgesellschaft. In ihrem programmatischen Zentrum stand immer das Streben nach friedlicher Konfliktbewältigung. Wenn sie heute den Einsatz von militärischer Gewalt als alternativlos erklären und dafür sogar das Völkerrecht brechen, wer sollte dann noch an Alternativen glauben!Dabei treten im Gefolge des Krieges genau die Effekte ein, vor denen die Kriegsbefürworter von heute in ihren friedensbewegten Zeiten immer gewarnt haben. Statt sich dadurch in ihren bisherigen Überzeugungen bestätigt zu fühlen, beteiligen sie sich an einer Instrumentalisierung der Menschenrechte, die Joschka Fischer noch vor vier Jahren aus der Opposition als humanitären Nasenring bezeichnete, an dem die Regierung den Bundestag in den Bosnienkrieg führte. Heute verklärt der ehemals linke Kriegsgegner Volmer die nationalistische UÇK als »Befreiungsarmee«, und sein grüner Außenminister inflationiert die Vergleiche mit dem Hitlerfaschismus. Sprachliche Bilder aus der nationalsozialistischen Schreckenszeit als moralischer Maulkorb für Kriegsgegner. Auch wenn es mehr wäre als der private Versuch, dem deutschen Trauma zu entkommen - es bliebe eine unerträgliche Bagatellisierung des Holocausts. Längst schrecken grüne Politiker nicht mehr davor zurück, (mit)zuentscheiden, welche und wessen Rechte es wert sind, gewaltsam durchgesetzt zu werden. Die in der Folge entstehenden neuen Opferhierarchien werden billigend in Kauf genommen. Wie will man zum Beispiel den afghanischen Frauen erklären, daß ihre seelische und körperliche Unversehrtheit, von Freiheit ganz zu schweigen, der »neuen Wertegemeinschaft« nicht eine einzige Cruise Missile wert ist? Der gerechte Krieg ist eine Illusion auf dem Niveau von Computerspielen. Der Verzicht auf den Einsatz von Gewalt ist nicht der einfachere, sondern der schwerere Weg. So hat es die Mehrheit von Bündnis 90 und von den Grünen immer vertreten. Seit dem Bonner Sonderparteitag zu Bosnien ist auch diese Position schleichend in Auflösung begriffen. Als »Erwachsenwerden« und »Regierenlernen« wird da verkauft, was in Wahrheit Kapitulation vor der Größe der Aufgabe ist. Es ist schwer für die bündnisgrüne Parteibasis, sich gegen die mediale Dominanz der BerufspolitikerInnen zu behaupten. Insofern ist es schon ein Erfolg, den Sonderparteitag erzwungen zu haben, denn unter dem erwarteten Rechtfertigungsdruck wurden die regierungsamtlichen Friedensbemühungen erkennbar intensiviert.Aber was auch immer die Basis auf dem Sonderparteitag beschließt: Nichts spricht dafür, daß sich die Mehrheit der Illusionisten in der Bundestagsfraktion daran halten wird. Nicht in dieser und kaum in einer anderen Frage. In dem Wissen, daß ihr Einsatz im Wahlkampf den bündnisgrünen BundespolitikerInnen erst zur Macht in Bonn verholfen hat, stehen inzwischen viele altgediente Bündnisgrüne vor der Entscheidung über ihre eigene politische Zukunft.Auch wenn der Bundesvorstand von einer »Austrittswelle« nicht sprechen will: seit Wochen verlassen friedensbewegte Mitglieder einzeln oder in Gruppen die Partei, andere, wie der brandenburgische Kreisverband Oberhavel, machen ihren Verbleib vom Ausgang des Sonderparteitages abhängig.Es ist sicher kein Zufall, daß im Osten die Zahl der KriegsgegnerInnen nicht nur bei den Bündnisgrünen, sondern in der gesamten Bevölkerung überwiegt. Wolfgang Engler machte jüngst zutreffend drei Faktoren dafür aus: Zum einen das geschärfte Bewußtsein der Ostdeutschen für Kriegsfolgen und -verbrechen durch die politisch und ökonomisch repressive Präsenz der Besatzungsmacht bis zum Ende der DDR. Zum anderen die eigene lebendige Erinnerung, daß kriegerische Problemlösungen nur zur Problemverschärfung beitragen, gleichgültig, ob die Bomben für oder gegen die Menschrechte, für oder gegen die Freiheit fallen. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit militärischen Lösungen von 1953, 1956 und 1968 hätte kein ostdeutscher Bürgerrechtler zur Durchsetzung der Menschenrechte in der DDR die NATO zum Einmarsch in der DDR aufgefordert oder gar selbst zur Waffe gegriffen. Und drittens haben gerade sie schmerzhaft erfahren, wie mit der interessengeleiteten Beliebigkeit Rechte und Pflichten im vereinigten Deutschland definiert werden.Was aber bleibt für die, die nicht länger zur zahnlosen Mehrheit oder belächelten Minderheit der Bündnisgrünen gehören wollen? Der Übertritt? Wohin? Zu Rühe, zu Scharping? Wohl kaum. Zur PDS? Der verlogene Pazifismus der SED-Traditionalisten, sekundiert von sozialdemokratisch kleinmütigen Reformern und dogmatischen Linksradikalen, ist keine Alternative. Der Gruppen-Austritt und Neugründung à la Ditfurth? Wie lange würde es dauern, in dem verfestigten bundesdeutschen Parteiensystem eine wählbare Alternative aufzubauen? Bliebe der stille Austritt. Der führte, wollte man der politischen Einmischung nicht gänzlich entsagen, zum Rückfall in alte Freundeskreiszeiten oder zum Rückzug in die Biotope der Umwelt- und Menschenrechtsarbeit. Letzteres erscheint vielen als einzige sinnvolle Alternative, zumal die Parteien zunehmend den Beweis ihrer Problemlösungskompetenz schuldig bleiben.Die einzige Möglichkeit aber, den Anschluß an den Apparat, an Gelder, Infos und die Macht zu behalten und gleichzeitig die eigenen Positionen unüberhörbar zu artikulieren, wäre die Bildung einer neuen Strömung, für die mit der Anti-Kriegs-Initiative »basisgrün« bereits ein Grundstein gelegt ist. Es ist paradox. Ausgerechnet diejenigen, die der Partei die Kinderkrankheiten austreiben wollen, erzwingen den Rückgriff auf eine der ältesten grünen Traditionen: den Strömungskampf. Verantwortlich dafür ist die narzistisch interessengeleitete Beliebigkeit, mit der die Mehrheit der grünen Funktionäre sich gleichermaßen über die Menschenrechte wie über andere Teile der grünen Programmatik hinwegsetzt. Es bleibt abzuwarten, welche Konsequenzen die WählerInnen daraus ziehen werden.Christiane Ziller ist Gründungsmitlied von Bündnis 90/Die Grünen und war von 1993 bis 1997 Mitglied des Bundesvorstandes
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