Dafür sind wir nicht auf die Straße gegangen!" lautet eines der im Nachwende-Osten entstandenen Sprichwörter. Die darin mitschwingende Empörung und Resignation, Ohnmacht und Selbstironie resultieren aus den Erfahrungen, dass der lang ersehnte Umbruch, als er endlich Wirklichkeit wurde, nicht nur unerwartete, sondern auch unerwünschte Nebenwirkungen zeitigte. Doch dies ist kein Beitrag zum allseits präsenten Wendejubiläum. Die Erkenntnis, dass Erfolge schwerer zu bewältigen sind als Niederlagen, bleibt auch anderen gesellschaftlichen Gruppen nicht erspart.
Zum Beispiel der feministischen Bewegung. Eigentlich könnten die Mütter der Frauenbewegung stolz sein auf ihre Nachfahrinnen. Sie lassen sich die Butter längst nicht mehr einfach vom B
fach vom Brot nehmen, erobern die Führungsetagen, tanzen oben ohne auf der Straße und wollen mit der Bundeswehr nun selbst die letzte Männerbastion stürmen. Doch weil sie sich zugleich mit Händen und Füßen gegen die Zumutung wehren, für "emanzipiert", gar "feministisch" gehalten zu werden, schelten manche ihrer Vorreiterinnen sie als undankbar, fehlgeleitet und unpolitisch.Ungewollt und am falschen Ende ziehen dabei beide an demselben Strang. Während die einen sich längst für emanzipiert genug halten, negieren die anderen, dass sich das Geschlechtergleichgewicht inzwischen tat sächlich deutlich zugunsten der Frauen verschoben hat. Damit tragen beide den unbestreitbaren Erfolgen der Frauenbewegung ungenügend Rechnung.Schuld daran ist einerseits die Arroganz der Nachgeborenen, doch deren Dankbarkeit einzufordern war zu allen Zeiten ein aussichtsloses Unterfangen. Zumal der Einsatz der Eltern für ein besseres Leben nur dann erfolgreich war, wenn ihre Kinder mangels Kenntnis des Vergangenen die Vorzüge des Gegenwärtigen nicht zu schätzen wissen.Doch auch die Aktivistinnen trugen und tragen selber dazu bei. Da erweist sich zum einen derselbe Rigorismus, der (zumindest im Westen) den Frauen eine weitgehend selbstbestimmte Schwangerschaft erst ermöglichte, bei der Bewertung von Fortschritten als höchst problematische Messlatte. Durch die 100-Prozent-Brille betrachtet, bleiben Teilerfolge Misserfolge. Auch Feministinnen stellen die grüne Quote immer wieder zur Disposition, weil trotz 50-prozentiger Mindestbeteiligung von Frauen die Dominanz der Männer an den entscheidenden Stellen nicht gebrochen werden konnte.Ein anderes, weniger reflektiertes Phänomen ist der eingangs erwähnte Zauberlehrlingeffekt. Frauenpolitisches Engagement zeigt dort, wo es erfolgreich ist, durchaus auch unerwartete und unerwünschte Nebeneffekte. Was tun, wenn die Begierde der "bösen Mädchen", die doch überall hinkommen wollen sollen, sich auf ein politisch nicht korrektes Objekt richtet? Zum Beispiel darauf, es den Männern gleich zu tun, auch in der Bundeswehr?Vielen Feministinnen geht in dieser Frage die Selbstbestimmung nicht nur zu weit, sondern auch in die falsche Richtung.Tatsächlich ist "Ausbildung zum Töten-Können nicht emanzipatorisch" (Angelika Beer, 1996), wohl aber der Wille, sich den Weg in eine auch unter Rot-Grün gut ausgestattete Berufsgruppe nicht verwehren zu lassen. Wenn Feministinnen Frauen nicht wie der Bundestag von 1956 von ihrer "Natur und Bestimmung" her auf die Opfer- und Gutmenschenrolle festschreiben wollen, müssen sie den Wunsch von Frauen nach dem Dienst mit der Waffe als Ausdruck gewachsenen Selbstbestimmungswillens respektieren, ohne in ihrer Kritik am Militärischen als Inkarnation männlichen Omnipotenzwahns nachzulassen.Junge Frauen lösen diesen Widerspruch für sich persönlich, indem sie ihn ignorieren. Frauenbewegte haben es da schwerer. Zwar wehren sie sich schon immer gegen den Anspruch, qua Geburt das friedlichere Geschlecht, die besseren Menschen zu sein. Dennoch gilt unter ihnen Gewaltbereitschaft, Gewalttätigkeit noch immer als allein männlich, jeder Mann als potenzieller Vergewaltiger.Erst langsam wenden sich Forschungsinstitute und Organisationen dem Thema weiblicher Gewalt zu, sehr behutsam, insbesondere, wenn sie dies aus Frauensicht tun. Schließlich drohen sie zwischen die Fronten der FeministInnen und AntifeministInnen zu geraten. Während die einen ihnen vorwerfen, zur Bagatellisierung des (noch immer) unvergleichlich höheren Anteils männlicher Gewalt beizutragen, scheinen andere nur darauf zu warten, das angekratzte männliche Ego zu rehabilitieren.Im Bewusstsein dieses Dilemmas sich dennoch mit dem veränderten Verhältnis von Frauen und Mädchen zum Thema Gewalt auseinanderzusetzen, ist nicht nur mutig, es ist auch nötig. Empirische Untersuchungen wie zum Beispiel 1998 in NRW belegen den überproportionalen Anstieg von aggressiven Handlungen bei Mädchen um 60 Prozent gegenüber einem 34-prozentigen Anstieg bei Jungen. Das gilt insbesondere für den Bereich der schweren und gefährlichen Körperverletzung.Aufmerksamkeit erregt diese Entwicklung vor allem, wenn sie sich mit rechtsextremen und fremdenfeindlichen Einstellungen verbindet. Holzkamp und Rommelspacher wiesen schon 1991 auf die wachsende Bereitschaft von Mädchen in rechtsextremen Jugendgruppen zu eigener Gewalttätigkeit beziehungsweise Zustimmung und Unterstützung ihrer männlichen Cliquenmitglieder hin.Aber auch strukturelle Gewalt ist kein männliches Privileg. Die "Vermännlichung" von Frauen insbesondere auf der politischen Karriereleiter ist ein vieluntersuchtes Phänomen. Frauen in Machtpositionen verhalten sich vor allem ihren Geschlechtsgenossinnen gegenüber häufig nicht nur dominanter und hierarchischer als ihre Kollegen, sie fügen struktureller Gewalt auch noch eine subtile emotionale Komponente hinzu.Die Erklärungsansätze, soweit vorhanden, reichen von Verunsicherung durch Individualisierung bis zur Anpassung an männlich dominierte Gruppenregeln. Direkte Gewalttätigkeit von Mädchen wird aber auch als Ergebnis einer "verqueren Emanzipation" (Wittmann, 1998) beschrieben, als Akt der "Auflehnung gegen geschlechtsstereotypische Verhaltenserwartungen", die ihnen "eine nur passive und unterstützende Rolle zuschreibt". Anerkennung als "Kämpferin" über die "Entwicklung eines maskulin konnotierten Selbstkonzeptes" und Abgrenzung insbesondere von Männern, die traditionell weibliche Verhaltensmuster wählen.Vor dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher Verhältnisse und der Thematisierung wie Kritik an "Weiblichkeitsbildern" werden Kategorien wie "traditionell" und "emanzipatorisch" zunehmend unscharf, sind Geschlechtsidentitäten nicht mehr eindeutig. Diese Entwicklung führt zu Orientierungsunsicherheiten und Entscheidungsambivalenzen, erweitert jedoch auch die Optionen für eine selbstbestimmte Gestaltung weiblichen Lebens.Dies als Erfolg zu begreifen, fällt schwer, ist aber notwendig, um die nötige Gelassenheit und Zuversicht für die aktuellen Auseinandersetzungen zu erlangen und um für potenzielle Mitstreiterinnen wieder attraktiv zu werden. Statt am Status quo festzuhalten und die vollständige Einlösung aller bisherigen Forderungen einzuklagen, wäre es vielversprechender, sich den unerwünschten Nebenwirkungen selbst zu stellen und auf einer höheren Ebene, jenseits biologischer Geschlechtergrenzen, dem Patriarchat entgegenzutreten, auch da, wo es von Frauen vertreten wird.
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