Er ist ein Überlebender. Wer Hunter Bidens Memoiren aufschlägt, erkennt schnell, dass die „schönen Dinge“ im Titel einem Leben abgetrotzt sind, das stets Gefahr lief, aus den Fugen zu geraten. Er hat „die Extreme des Erfolgs und des Absturzes kennengelernt“, schreibt er in seiner „wahren Geschichte“. Abtrotzen musste er das Schöne schweren Verlusterfahrungen, an denen der Sohn des 46. US-Präsidenten fast zerbrochen wäre. Die Biden-Familie ist es, die ihm half, sie zu verarbeiten: „Ich komme also aus einer Familie, die von Schicksalsschlägen geformt wurde und von einer außerordentlichen, unzerbrechlichen Liebe zusammengehalten wird.“
Schon der erste bewusste Moment im Leben fällt mit der Erfahrung eines Verlusts zusammen. Hunters Mutter und Schwester sterben bei einem Autounfall. Der fast Dreijährige und sein Bruder Beau – fast sein „irischer Zwilling“, weil er genau ein Jahr und einen Tag älter ist– werden schwer verletzt: „Ich sitze auf dem Rücksitz unseres geräumigen weißen Chevy-Kombi, hinter meiner Mutter. Beau ist auch da, hinter Naomi, die wir beide Caspy nennen – ein blasses, pummeliges Baby, das dreizehn Monate zuvor wie aus dem Nichts in unserer Familie aufgetaucht ist, weshalb ihr Spitzname von einer unserer Lieblingscomicfiguren abgeleitet ist: Casper, das freundliche Gespenst.“ Als Hunter im Krankenhaus erwacht, hört er den Bruder dreimal „Ich liebe dich“ sagen: „Beau wurde mit diesen ersten bewussten Momenten meines Lebens mein bester Freund, mein Seelenverwandter, der Stern, der mich führt.“
Aber auch dieser Stern wird zu früh verlöschen. Joe Biden ist jetzt Vizepräsident, Hunter und Beau, in deren Krankenzimmer der Vater fast 40 Jahre früher zum Senator eingeschworen wurde, sind erwachsene Männer. Beau ist Generalstaatsanwalt von Delaware, er spielt mit dem Gedanken, als Senator in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. 2010 wird er mit Kopfschmerzen ins Krankenhaus eingeliefert. Er leidet an einem Hirntumor, „ein gemeines, unerbittliches Grauen“, wie Hunter schreibt, der dem Bruder zur Seite steht, bis er den Kampf gegen die Krankheit verliert. Dennoch wird Beau über den Tod hinaus an seiner Seite bleiben: „Seit ich zuletzt deine Hand gehalten habe, bist du nie mehr als einen Schritt weit von mir fort gewesen“, schreibt er in einem bewegenden Brief an den Toten.
Trinken gegen die Leere
Hunter Biden hat an den renommierten Universitäten Georgetown und Yale Jura studiert. 1993 heiratete er Kathleen Buhle. Mit ihr hat er „drei wunderschöne Töchter“. Doch die Ehe zerbrach kurz nach Beaus Tod. Heute lebt Hunter mit seiner zweiten Frau, der südafrikanischen Dokumentarfilmerin und Aktivistin Melissa Cohen, mit der er einen einjährigen Sohn, Beau, hat, in Los Angeles.
Beautiful Things erzählt auch davon, was Hunter Biden geliebten Menschen aufgebürdet hat, dem Bruder und der Ex-Frau, aber auch dem Vater, für dessen politische Gegner, „Trump, Giuliani und ihre Banditentruppe“, das Verhalten des Sohnes immer wieder Gelegenheit zu Intrigen bot.
Da ist Hunters Sucht: Er trinkt, will die Leere, die er in seinem Inneren verspürt, im Rausch kompensieren. Er war lange ein „funktionaler Alkoholiker“, einer, der trotz Sucht fast alles unter Kontrolle hat. Und Biden wird cracksüchtig, lebt eine Zeit lang mit einer Dealerin, kann auch nicht von den Drogen lassen, als er eine Beziehung mit Beaus Witwe eingeht. Als „Oase geteilter Trauer“ fängt sie an: Als sie an die Öffentlichkeit dringt, fallen die Medien über Hunter Biden her. Als Deus ex Machina wird Melissa dafür sorgen, dass Hunter clean wird und nun seine Geschichte erzählen kann. Auch als Therapie: „Es war nicht leicht, dieses Buch zu schreiben. Manchmal war es kathartisch. Dann wieder hat es mich zurücktransportiert.“ Schließlich ist da die Ukraine-Affäre, die Hunter „ins Zentrum der größten politischen Mär des vergangenen Jahrzehnts versetzte“. Im Mai 2014 wird er in den Verwaltungsrat des ukrainischen Energiekonzerns Burisma berufen, die Barrikaden auf dem Maidan sind gerade erst weggeräumt und sein Vater als US-Vizepräsident in den Konflikt, der das Land zerreißt, politisch involviert. Hunter Bidens Version der Geschehnisse, die zum Impeachment Donald Trumps und zu jener Laptop-Affäre führten, die noch in der ganz heißen Phase des Wahlkampfes 2020 über den späteren Wahlsieger hereinbrach, ist ein historisches Dokument. „Ich bin nicht der Freak am Rande eines historischen Augenblicks, den all die krass überzeichneten Angriffe am liebsten aus mir machen würden“, schreibt Hunter Biden. Sein Buch beweist es.
Info
Beautiful Things: Meine wahre Geschichte Hunter Biden übersetzt von Bernhard Robben, Kirsten Riesselmann, Gregor Hens. Eine Leseprobe finden Sie hier
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