Strände gibt es überall

Tunesien Ein Jahr nach der Revolution sind die Touristen noch nicht zurück. Die kulturelle Vielfalt soll sie nun wieder nach Tunesien locken

Da kann eine Rebellion noch so friedlich sein, die ausländischen Firmen und die Touristen bleiben trotzdem weg. Tunesien, etwa ein Jahr nach seiner erfolgreichen Revolution: Obwohl im Land Ruhe eingekehrt ist, sind viele Hotels halb leer, andere haben ganz geschlossen. Die Touristen, die in diesem Winter trotzdem kommen, sind entweder überwinternde Rentner oder hartgesottene Stammgäste, mit denen man nicht viel Geld verdienen kann, da sie wissen, dass gut gefeilscht halb gewonnen ist.

In den Medinas, den arabischen Altstädten, leiden die Händler unter Kundenmangel, wie auch andere Geschäftsleute, die mit Tourismus zu tun haben. Auch Leila, Bauchtänzerin in Sousse, bekommt kaum noch Aufträge. Wenn ein Hotel sie für einen Folkloreabend bucht, sitzen oft weniger als 20 Leute im Publikum. Hotelfotograf Cem lebt davon, diese Abende mit der Kamera festzuhalten und die Bilder ans Publikum zu verkaufen, bei den wenigen Hotelgästen aber lohnt die Arbeit kaum.

Offener und relaxter

Nicht nur Cem hofft daher auf eine Rückkehr der Touristen. Gerade die gebildeteren aber lassen sich vom Gespenst des Islamismus und der Tatsache, dass die moderat-islamistische Ennada-Partei die meisten Abgeordneten im Parlament stellt, abschrecken. Sie hoffen, dass die Fundis bei der nächsten Wahl verlieren und trösten sich derweil damit, dass der Übergangspräsident ein progressiver Laizist ist.

Für die wenigen Touristen, die nach Tunesien reisen, hat die Situation durchaus Vorzüge: Das Land ist offener, meinungsfreudiger und relaxter als vor der Revolution. Die riesigen Bilder von Diktator Ben Ali, die früher Straßen, Plätze, Geschäfte und Hotels verunzierten, sind verschwunden. Gäste haben viel Gelegenheit zum Meinungsaustausch mit den Einheimischen – und Platz: Sie müssen Sehenswürdigkeiten und Strände nur mit wenigen teilen.

Das macht sich im historischen Künstlerstädtchen Sidi Bou Said, einem beliebten Ausflugsort, angenehm bemerkbar. Durch die engen Gassen kann man heute gemütlich schlendern und sich Ateliers und denkmalgeschützte Architektur in Ruhe anschauen. Die stammt im Wesentlichen von Mauren, die im Rahmen der Reconquista aus Spanien vertrieben wurden. Die weißen Häuser mit den azurblauen Fenstern und Türen, die über der Steilküste des Golfs von Tunis thronen, ergeben zusammen mit Meer und Himmel ein einzigartiges Ensemble. Das kommt auch von dem Licht, das schon die Maler August Macke und Paul Klee inspiriert hat, als sie vor knapp 100 Jahren durch Tunesien reisten.

Mackes Bild des Cafés des Nattes hat Sidi Bou Said berühmt gemacht. Das altorientalische Café hat sich seitdem kaum verändert und gehört zu den Attraktionen des Ortes. Noch schöner ist aber das Café Sidi Chebaane, wo auf Terrassen über dem Meer junge Einheimische und Touristen Seite an Seite ihren Thé de Menthe trinken. Auch Karthago, an der Metrolinie von Sidi Bou Said nach Tunis, ist ohne die Busladungen an Gästen, die die Hauptattraktionen des weitläufigen Grabungsgeländes früher regelmäßig stoßtruppartig heimsuchten, eher angenehmer geworden, auch wenn es schon in Zeiten des florierenden Tourismus Wege gab, ihnen zu entkommen.

Stundenlang kann man hier durch die teilweise parkartigen Ausgrabungsstätten stromern, auf den Spuren untergegangener Weltreiche. Denn nicht nur die Phönizier, sondern auch die Römer haben hier ihre Spuren hinterlassen, viele der bedeutenderen Grabungsfunde kann man im weltberühmten Bardo-Museum in Tunis bewundern, das demnächst, frisch renoviert, wieder für Besucher zugänglich sein wird.

Die meisten tunesischen Städte haben ihre Wurzeln in der Antike, ihre Gegenwart ist dagegen durch das Nebeneinander von Neustädten, deren baulicher Charakter oft von den französischen Kolonialherren geformt wurde und den Medinas geprägt. Die Medinas von Tunis, Kairouan und Sousse sind Weltkulturerbe. Sie sind gut erhalten, aber weit davon entfernt, nur museale Touristenattraktionen zu sein. Am Eingang findet man zwar viele Souvenirläden, im hinteren Teil und an den Rändern aber gibt es die Werkstätten und Basare, in denen Möbel, Stoffe oder Kleidung verkauft werden.

Mehr Nachhaltigkeit

Seit der Marktöffnung unter Ben Ali sind diese Basare und das lokale Handwerk nicht nur durch Produkte made in China bedroht, sondern auch durch die europäischen Altkleider-Container, deren Inhalt billig auf Flohmärkten verscherbelt wird. Wie lange sich das lokale Gewerbe daneben behaupten kann, bleibt abzuwarten.

Abzuwarten bleibt auch, ob die Pläne zur Neuorientierung des Tourismus Erfolg haben werden. Strategen des postrevolutionären Tourismus versuchen, mehr Nachhaltigkeit, Individualismus und Vielfalt in den Vordergrund zu stellen. Die Idee, Touristen nur mit Tunesiens schönen langen Sandstränden zu locken, wird heute als veraltet betrachtet. Schöne Strände gibt es schließlich auch anderswo, einen solchen Reichtum an Baudenkmälern verschiedener Epochen, verbunden mit einer guten Infrastruktur in Form von Zügen, Überlandbussen, Metros und Sammeltaxis dagegen nicht.

Die Umsetzung dieser neuen Kulturstrategie wäre gar nicht allzu aufwendig, die meisten Denkmäler sind in gutem Zustand und zugänglich, oft würden Wegweiser auf Englisch schon helfen. Eine weitere Idee ist, Touristen ins Landesinnere zu bringen, ins südtunesische Bergland etwa, oder den Sahara- und Oasentourismus zu verstärken. Das Landesinnere kann Förderung dringend gebrauchen, dort herrscht teilweise bittere Armut, was zu Landflucht führt. Die meisten Tunesier möchten in Tunis wohnen, was jeder, der die wirbelige Metropole kennt, gut nachvollziehen kann. Dort zumindest hat sich eine neue Tourismusidee schon durchgesetzt: Es gibt nun geführte Touren zu den Orten der Revolution.

Christina Ujma schreibt als Publizistin unter anderem über die Kultur des Mittelmeerraums

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