Italien und die Italiener haben momentan in Deutschland eine schlechte Presse, denn die Deutschen können nicht verstehen, warum die Einwohner des Bel Paese schon wieder Berlusconi gewählt haben. Der Müll, die Ausländerfeindlichkeit und die Mafia prägen das Bild italienischer Städte. Der deutsche Italienkenner Gustav Seibt bemerkte kürzlich eine "Entliebung" und glaubte, die linke künstlerische und intellektuelle Kultur Italiens totsagen zu können. Da hat er zumindest teilweise Recht. Die Zeiten von Peppone und der ewigen Kämpfe zwischen Kirche, Christdemokraten und dem italienischen PCI sind definitiv vorbei und die Don Camillos von heute haben nicht mehr den Kommunisten, sondern eher den Konsumismus und den Materialismus eines Volkes zu fürchten, dem gutes Essen, schöne Kleidung und die bella figura wichtiger als höhere Ziele geworden sind.
Natürlich - die italienische Kultur ist nicht mehr so politisch engagiert wie in den siebziger und achtziger Jahre. Aber im europäischen Vergleich ist es den Italienern vergleichsweise besser gelungen, mit dem politischen Wandel in Zeiten der Globalisierung, der Entintellektualisierung und Entpolitisierung des öffentlichen Lebens umzugehen. Die italienischen Kulturschaffenden sind allemal engagierter als die deutschen Kollegen, die ´68 nachtrauern oder die "Neue Bürgerlichkeit" entdecken. Eine Absurdität, wie die, dem bekennenden Reaktionär Martin Mosebach ausgerechnet den Büchnerpreis umzuhängen, gibt es aus Italien nicht zu vermelden. Insgesamt haben die italienischen Liebhaber der progressiven deutschen Kultur einige Gründe mehr enttäuscht zu sein, als die deutschen Freunde der italienischen Linkskultur.
Die linken Kulturschaffenden und Intellektuellen haben sich auch wieder kräftig im Wahlkampf engagiert. Filmfreund Walter Veltroni, der Anführer der Demokratischen Partei, konnte so ziemlich alles, was im italienischen Film Rang und Namen hat, hinter sich vereinen, inklusive diverser Altkommunisten wie zum Beispiel Bernardo Bertolucci. Deren Motiv war, die Filmindustrie und das Land vor Berlusconi zu retten, was auch Persönlichkeiten, bei denen man wenig echte Sympathie für Veltronis synthetische Partei vermuten kann, zur Unterstützung bewegt hat. Die Zeitschrift Micro Mega gab kurz vor der Wahl eine Sondernummer heraus, die mit ironisch-vulgärem Titel dazu aufforderte, Berlusconis politische Karriere durch die Wahl von Veltronis Bündnis endgültig zu beenden, und Unterstützer wie Antonio Tabucchi, Marco Tavalgio und Krimiautor Andrea Camillieri aufbieten konnten
Dies hat sich als schwerer Fehler erwiesen, gibt Herausgeber Paolo Flores d´Arcais in der Mai-Nummer unumwunden zu. Der Aufruf für Veltronis Bündnis habe zur linken Stimmabgabe für ziemlich rechte Politik geführt und dafür gesorgt, dass die neugegründete Linkspartei Arcobaleno an der Vierprozenthürde scheiterte. Das Parteienbündnis der italienischen Linken und Grünen unter dem schönen Namen Regenbogen hatte sich Ende 2007 gebildet und war bei den Parlamentswahlen 2008 erstmals angetreten. Nun gibt es keine linke Opposition mehr im Parlament, denn Veltroni gibt den staatstragenden Oppositionspolitiker, dessen Politik sogar in L´Unita als Appeasement bezeichnet wird. D´Arcais sagt wütend, dass man es hätte besser wissen können, wenn man den eigenen Analysen geglaubt hätte. Schluss mit der Realpolitik und eine neue linke Theorie-Debatte, fordert er nun.
Die Wiederbesinnung auf die einst reichen Theoriebestände der italienischen Linken ist voll im Gang und bleibt nicht länger auf das linksintellektuelle Blatt Il Manifesto beschränkt. L´Unita und Liberazione, die Zeitungen der Demokratischen Partei beziehungsweise der Rifondazione Communista haben sich von langweiligen Werbepostillen zu lebhaften Orten der neuen Strategiedebatte entwickelt, selbst die seriöse linksbürgerliche Repubblica mischt mit. Das wichtige Ergebnis der Debatte ist, dass es den italienischen Linksparteien an Gesellschaftsanalyse, gar an Kontakt zur Gesellschaft fehle. Die Demokratische Partei mit ihrem postideologischen, postidentitären Ansatz und dem Glauben daran, dass Politikvermittlung heute über die Medien und nicht mehr wie in alten PCI-Zeiten über die Präsenz in der Zivilgesellschaft und im Alltagsleben funktioniere, hat kein überzeugendes politisches Projekt entwickelt, wie Pietro Ingrao feststellt. Der bemängelte weiter, dass sich die Demokratische Partei zu nachgiebig gegenüber den ausländerfeindlichen Tendenzen in der Gesellschaft gezeigt habe und der oft damit verbundenen Kriminalitätsangst nichts entgegensetzen wollte.
Mit der Arbeitswelt haben sowohl die Demokratische Partei als auch der Arcobaleno mit seiner arbeiterbewegten Rhetorik ihre Schwierigkeiten. Beide haben viel Rückhalt in der Arbeiterschaft verloren. Besonders im hochmodernen, hochflexibilisierten Norditalien wirke das Gesellschaftsbild der Linkspartei mit seiner Orientierung auf eine traditionelle fordistische Industrie-Arbeiterschaft verstaubt und antiquiert, merkten nicht nur der Philosoph und Ex-Bürgermeister von Venedig, Massimo Cacciari, und der Interimsvorsitzende des Arcobaleno, Paul Ginsborg, an. Der Soziologe Franco Cassono hebt in Liberazione nicht nur die italienische Besonderheit hervor, einen im europäischen Vergleich hohen Prozentsatz an selbstständigen Klein- und Kleinstunternehmern zu haben, sondern auch die Unfähigkeit beider Linksparteien, zu begreifen, dass Lebenswelt und Mentalität der Arbeiterschaft zumindest im Norden sehr stark von diesen oft (neo)liberal orientierten Kleinstrukturen geprägt würden.
Eines ist klar, die italienische Rechte hat die Hegemonie im Land. In dieser Situation heißt die vielfach propagierte Losung: Rückkehr zu Gesellschaftsanalyse und Gramsci. Remo Bodei fordert mit dem legendären Philosophen einen Stellungskrieg um die Wiedererringung der gesellschaftlichen Hegemonie und Giorgio Baratta plädiert in Liberazione dafür, Gramscis Begriff der subalternen sozialen Gruppen wiederzubeleben, da er auf die prekarisierte italienische Arbeitswelt wesentlich besser passe als die traditionelle Proletariatsrhetorik.
Des Problems der prekarisierten Arbeitswelt nimmt sich selbst Achille Occhetto, Mitglied der Sinistra Democratica und letzter Generalsekretär des PCI, an. Er kehrt in L´Unita zu den Traditionen der marxistischen Gesellschaftsanalyse zurück und reflektiert darüber, wie es möglich ist, wieder eine Linke zu schaffen, die nicht zwischen blässlich-kraftlosen Reformisten auf der einen und verbalradikalen Traditionalisten auf der anderen Seite gespalten ist.
Die Organisationsfrage hält die italienische Linke und ihre Intellektuellen weiterhin in Atem, denn abgesehen von Walter Veltroni ist keiner so recht mit den erst kürzlich entstandenen Strukturen zufrieden. Massimo d´Alema von der Demokratischen Partei, der in seiner Stiftung Italiani-Europei offensiv die sozialdemokratische Zukunftsdebatte anpackt, könnte sich eine Zusammengehen mit dem pragmatischen Teil des Arcobaleno vermutlich gut vorstellen.
Die Zukunft dieser Formation ist gegenwärtig in der Schwebe, aber es sieht so aus, dass, nachdem die Politiker das Projekt an die Wand gefahren haben, nun die Intellektuellen gefragt sind. Der international renommierte Historiker Paul Ginsborg hat nach der Wahlniederlage sofort ein Treffen von Arcobaleno in Florenz einberufen und so das Projekt Linkspartei vorm Auseinanderbrechen bewahrt. Endgültige Entscheidungen werden aber erst getroffen werden, wenn die drei am Arcobaleno beteiligten Parteien im Juli ihre Führungsgremien neu bestimmt haben. Bis dahin dümpelt die größte Partei des Arcobaleno, Rifondazione Communista, führerlos und in eine Vielzahl von Fraktionen zersplittert, vor sich hin.
Ein wichtiger Kandidat für den Vorsitz, Nichi Vendola, ist ein Intellektueller und Volksheld, wie er nur in Italien vorkommt. Ursprünglich aus dem PCI kommend, hat er sich als Vorsitzender der parlamentarischen Anti-Mafia-Kommission und prominentes Mitglied der Schwulenbewegung einen Namen gemacht. Die Tatsache, dass er es mit diesem Hintergrund schaffte, 2005 zum Präsidenten der stockkatholischen süditalienischen Region Apulien gewählt zu werden, brachte ihm landesweite Popularität ein. Ihm ist es gelungen, die innerparteilichen Hardliner ruhig zu stellen, die gleich nach der Wahl mit der großmäuligen Analyse vorpreschten, dass man verloren hätte, weil man auf Hammer und Sichel verzichtet habe. Er empfiehlt angesichts des Ausmaßes der Niederlage Bescheidenheit und Nachdenklichkeit.
In einer Rede, die im Konkurrenzblatt L´Unita abgedruckt wurde, sagt er: Wir, die Besiegten, machen es wie Gramsci, womit er die Gramscianische Analyse auch der eigenen Fehler meint. Die Rechten hätten gewonnen, weil sie die Sprache der Menschen sprechen, während die eigenen Leute sich in unverständlichem Jargon ausdrückten. Die Linke müsse wieder glaubhaft machen, dass sie die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit als Adressaten ihrer Politik habe, statt sich auf Partikularinteressen zu kaprizieren. Gegen die neoliberale Vereinzelungs- und Konkurrenzideologie setzt Vendola auf eine Resolidarisierung der Gesellschaft.
Er spricht offen von seiner Trauer über die Niederlage und thematisiert damit ein Thema, dass leider für Linke sehr aktuell ist und doch selten angesprochen wird, wie geht man adäquat mit Niederlagen um? Anders gesagt: Wie vermeidet man, diese schön zu reden oder zu verdrängen? Das Thema wurde von der legendären Linksintellektuellen Rossana Rosssanda in La Repubblica angestoßen und mit einem geharnischten offenen Brief an Rifondazione fortgesetzt. Sie wirft ihr vor, sich zu weigern, sozialen Veränderungen zur Kenntnis zu nehmen: die Piazza sei nicht mehr Mittelpunkt des städtischen, die Fabrik nicht mehr Fokus des politischen Lebens; denn die Arbeiterschaft sei zersplittert in Prekäre, Arbeitslose, Migranten und Klein- beziehungsweise Scheinselbstständige. Die Rechte sei erfolgreich damit, diese Fragmentarisierung zu befördern, an Egoismus und Gier zu appellieren und Ausländer und Kriminelle zu Sündenböcken zu machen. Die Linken zeigten den Rassisten, Gewerkschaftsfeinden, den Befürwortern des Abbaus der öffentlichen Bildung und des Rechts auf Abtreibung gegenüber eine ungewöhnliche Milde, sagt sie.
Die Tatsache, dass Rifondazione gerade in dieser Situation die Fraktionsstreitigkeiten im Vorfeld des Parteitags mit Andacht zelebriert, zeige, dass die Prioritäten durcheinander geraten seien. Denn wenn Rifondazione beim bevorstehenden Parteitag nicht deutlich mache, dass man aus der Niederlage gelernt habe, und kein Signal zum Aufbruch in den gemeinsamen linken Kampf gegen den Generalangriff auf soziale und demokratische Rechte setze, sei es egal welche Fraktion gewinnt, sagt Rossanda, weil die Partei dann ihre gesellschaftliche Relevanz endgültig verloren habe.
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