Heimkehr zu den Eltern

Medientagebuch Pathologische Verhältnisse oder warum "Dallas" heute nostalgisch zeitgemäß wirkt

Das Revival begann, als ein Buch die 1965 bis 1975 Geborenen unter dem Namen Generation Golf zusammenfasste und die Inhalte ihrer trüben Jugend stichwortartig auflistete. Nun wiederholt Kabel 1 die Kultserie Dallas, 350 Folgen lang, erst im wöchentlichen Rhythmus, später dann täglich. Angesichts unserer serieninflationären Zeit stellt sich die Frage, ob irgend jemand noch die Ausdauer und Muße besitzt, an einem Ereignis teilzunehmen, dessen Ausgang längst bekannt ist? Insbesondere da Dallas nicht zum ersten Mal auf die deutschen Bildschirme zurückkehrt.

Diesmal geschieht jedoch alles unter dem euphorischem Wirbel der Retro-Manie: Der Achtziger-Jahre-Zug wird für die Nostalgiker vorgefahren, die die Serie noch als Mutter aller Seifenopern kennen, und vielleicht ist ein letztes wohliges Aufseufzen im Blick zurück von Nöten, bevor sich endgültig von einer Ära verabschiedet werden kann.

Was Dallas für die Welt war, muss man erst wieder verstehen. Als die Show 1978 in den USA auf Sendung ging, steckte Amerika in der Krise, die Nation von Autofahrern litt wirtschaftlich unter der Preispolitik der OPEC-Länder. Dallas gab den Amerikanern das Gefühl zurück, die USA würden die Kontrolle über das Weltöl besitzen und läutete die kommenden habgierigen Zeiten ein. Zwei Jahre später gelangte Ronald Reagan an die Macht und rückte die Verhältnisse ins Lot. Das sich zum Ende seiner Amtszeit lockernde Verhältnis zur Sowjetunion und deren baldiger Zerfall muss gerüchteweise auch Dallas zugeschrieben werden: In einigen kommunistischen Ländern wurde das Programm als abschreckendes Beispiel für den Kapitalismus gezeigt - und bewirkte genau das Gegenteil. Alle wollten teilhaben am schönen Schein des unanständigen Wohlstands. Ihren Höhepunkt erreichte die Sendung 1980, als nach langer Sommerpause in 64 Ländern über 300 Millionen Zuschauer den Fernseher einschalteten, um zu erfahren, wer auf J.R. geschossen hatte.

Dallas wurde also zum ersten globalen Serienereignis, während man in Deutschland noch stritt, ob die Sendung überhaupt zumutbar sei für das Volk. Erst im Sommer 1981 konnten sich die Verantwortlichen zur Erstausstrahlung durchringen. Gespannt saß eine heranwachsende Jugend (zuerst nur in den Schulferien) zusammen mit den Eltern vor dem Fernseher und waren sich am Ende einig: verdammt schlecht, aber verdammt faszinierend. Die Intellektuellen protestierten noch eine Weile, da ihre Kritik aber auf Fakten fußen musste, schauten auch sie zu, ebenso heimlich wie die über Westkanal verfügenden Ostdeutschen. Die einzige Kluft, die sich innerhalb der Zuschauer auftat, war allenfalls die zwischen den Geschlechtern. Frauen verliebten sich eher in den sanften, gutaussehenden Bobby Ewing, den jüngsten Spross des Clans. Das männliche Publikum dagegen verlor sein Herz an Ekel J.R. Der traute sich wenigstens was. Die Lehre, die die Generation Golf beim Anblick von J.R. zog, schien klar: Das skrupellose Böse siegt über das integere Schwache. Lachte der älteste Ewing-Bruder sein dreckiges Lachen, lag sein Widersacher Cliff Barnes den Tränen nahe am Boden und erklang die Abspannmelodie von Dallas, schien die Welt seltsamerweise in Ordnung. Dabei war die Welt nirgends so dysfunktional wie auf der Southfork Ranch!

Eine unter einem Dach zusammengepferchte Großfamilie, Intrigen, sexuelle Eskapaden, Hass und Liebe. Bereits die erste Folge von Dallas ist voll davon. Das minderjährige Luder Lucy, Enkelin der Familie, bändelt mit dem Ranch-Vorsteher Ray an, der wiederum der Ex von Bobbys neuer Frau ist. Pamela, so ihr Name, ist Tochter der verfeindeten Familie Barnes, deren Bruder Cliff sich auf dem Feldzug gegen das gesamte Ewing-Pack befindet. Patriarch Jock hat sich zwar aus dem Geschäft zurückgezogen, hält dennoch weiterhin im Hintergrund die Stellung, im häuslichen Bereich wirkt traditionsgemäß die Autorität von Ms. Elli. Da bleibt nur noch Sue Ellen zu erwähnen, die, das wissen wir noch, die ganze Chose eines Tages nicht mehr erträgt und sich in den Alkohol flüchtet.

Schaut man die Sendung heute wieder, kann man nicht umhin zu bemerken: Die Sendung hat Stil. Anfangs irritiert der monochrome Braunschleier des Filmmaterials das mittlerweile an Pop-bunt gewohnte Auge. Auch muss man sich wieder an einen anderen Rhythmus gewöhnen, die Szenen sind durchschnittlich um einiges länger als die der Nachfolger-Soaps. Mit dem Blick nicht nur auf den Bildschirm, sondern auch auf die vergangene Zeit ergeben sich ganz neue Sichtweisen: Die Ewings spielen der Generation Golf schon von jeher vor, was auch ihr nicht gelingen sollte: Das Loslösen aus der Umarmung der Eltern mit dem revolutionären Ehrgeiz zur Entwicklung einer neuen (idealen) Gesellschaft. Stattdessen folgte der heranwachsende Zuschauer ganz der Konsumdevise - größer, schneller und besser. So wird auch verständlich, warum Dallas jetzt zur rechten Zeit zurück kommt. Immerhin feiern die Medien gerade den Abgesang auf die Dreißigjährigen, die Opfer der New-Economy Pleite. Die vom Thron verstoßene Generation Golf kann sich nun aufs elterliche Sofa verziehen und gemeinsam mit ihnen - oder miteinander - in Erinnerungen schwelgen. Eine willkommene Denkpause zur Analyse der falsch gemachten Annahmen. Wiederholungen im TV - ganz zu schweigen von Ähnlichkeiten im aktuellen politischen Alltag jenseits des Ozeans - als mediales Augenzwinkern: das Fernsehen ist schlauer als wir dachten.

Dallas, montags 22.15 Uhr auf Kabel 1

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