Mitte Mai 2007 beauftragte die Freiburger Universitätsklinik eine Untersuchungskommission, die Dopingvorwürfe gegen zwei Ärzte des Klinikums zu prüfen. Am 23. Mai gaben Professor Andreas Schmid und Lothar Heinrich zu, an Doping von Radsportlern mitgewirkt zu haben. Wenige Tage später räumte der Freiburger Sportmediziner Georg Huber ein, Straßenradfahrern Testosteron verabreicht zu haben. Nach zehn Monaten legt die Expertenkommission nun ihren Zwischenbericht vor.
Um den Beginn des Freiburger Dopingskandals auszuleuchten, muss man eine kleine Strecke in die Vergangenheit des deutschen Radsports zurücklegen. Bei der Tour de France 1992 sind die deutschen Radfahrer der italienischen und spanischen Konkurrenz hoffnungslos unterlegen. Dass es zwischen dem
es zwischen dem ausbleibendem Erfolg und dem Beginn des Doping mit Erythropoietin (EPO) beim Team Telekom (seit 2004 Team T-Mobile) einen Zusammenhang gibt, legt nun auch der Freiburger Untersuchungsbericht nahe: Bereits 1993 begann beim Team Telekom das Doping mit dem "Wundermittel" EPO, das die ausländischen Rennställe bereits damals einsetzten. Der Sportmediziner Andreas Schmid und anschließend Lothar Heinrich übernahmen für etliche Fahrer Organisation und Überwachung der "Dopingkuren". Dabei waren Cortisonpräparate nach wie vor bevorzugtes Dopingmittel. Der ärztliche Beitrag bestand dabei darin, die erforderliche Ausnahmegenehmigung zu beschaffen. Nach Aussage des Pflegers Jef D´hont wurde bereits 1994 auch gentechnisch hergestelltes Wachstumshormon als Dopingmittel eingesetzt. In der Medizin werden vor allem kleinwüchsige Kinder mit Wachstumshormon behandelt. Bei Erwachsenen steigert diese Substanz das Wachstum der Skelettmuskulatur sowie Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden.Für den Zeitraum von 2001 bis 2005 gibt es bislang keine konkreten Angaben über Dopingpraktiken von Radrennfahrern. Das erklärt die Kommission damit, dass für diesen Zeitraum noch keine strafrechtliche Verjährung eingetreten ist. Zudem kann man seit 2000 EPO im Blut direkt nachweisen. Damit wird die Anwendung dieser Substanz riskanter als in den Jahren zuvor. Doch die Kommission geht davon aus, dass auch in dieser Zeit gedopt wurde. Dafür sprechen die Vergütung der Ärzte durch die Rennställe und die im Dezember 2007 entdeckten fiktiven Patienten im elektronischen System der Uniklinik. Darunter finden sich Namen wie "Maier, Ulrich, geboren am 2.12.1937" und "Mayer, Alexander, geboren am 2.7.1943". Jan Ullrich wurde am 2.12.1973 geboren, die Tour de France 2005 begann am 2. Juli. Für 2006 liefern die Aussagen von Radprofi Patrik Sinkewitz dann wieder konkrete Erkenntnisse zum Eigenblutdoping, das nicht zuletzt als Folge des direkten EPO-Nachweises im Blut ein "Comeback" erfuhr.Die Frage, was das Umfeld der dopenden Ärzte an der Uniklinik Freiburg von deren Aktivitäten wusste, ist im Zwischenbericht nicht endgültig geklärt. Doch werden die Mitarbeiter der Abteilung Rehabilitative und Präventive Sportmedizin inklusive deren Leiter Hans-Hermann Dickhuth deutlich entlastet. Offenbar haben die Ärzte Schmid und Heinrich die von den Radprofis geschilderte Regel beherzigt, über unerlaubte Leistungsmanipulation möglichst nicht zu sprechen. Diese Abschottung bestätigen sämtliche Mitarbeiter der Sportmedizin.Als Reaktion auf den Festina-Skandal 1998 fördert der Sponsor des Team Telekom denArbeitskreis Dopingfreier Sport. Von den knapp 800.000 Euro landet gut die Hälfte in der Freiburger Abteilung für Sportmedizin. Doch während man sich offiziell im Kampf gegen Doping engagiert, dopen die Radprofis unter ärztlicher Mitwirkung munter weiter. Die Bezahlung einiger Medikamentensendungen an Sportler wird ausgerechnet über das Konto Dopingfreier Sport abgewickelt."Wenn Spitzensportler gezielt dopen, sind meist Ärzte involviert - natürlich nicht unbedingt Sportmediziner", sagt Sebastian Thormann. Thormann gehörte viele Jahre zur Nationalmannschaft der Ruderer. Seit 2006 ist er im Vorstand der Nationalen Anti Doping Agentur (NADA). Im Verdacht, sich an Doping beteiligt zu haben, stehe jedoch "nur ein sehr kleiner Teil der mehr als 10.000 deutschen Sportärzte", betont Herbert Löllgen, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP).Sind die Freiburger Mediziner Schmid, Heinrich und Huber also eine Ausnahme? "Ärzte von Leistungssportlern stellen deutlich häufiger Anträge auf ... Ausnahmegenehmigungen für Medikamente, die auf der Dopingliste stehen, als dies der Verschreibungshäufigkeit der Arzneien in der Normalbevölkerung entspricht", moniert Thomas Bach, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes. Solche Anträge würden künftig genauer geprüft. "Jede Diagnose kann schöngeschrieben werden", bestätigt der Arzt Thormann. Die Asthmadiagnose auf Zuruf des Sportlers?In seiner Erklärung vom Mai 2007 bedauert Professor Schmid seine "Verfehlungen sehr". Ärzten, die sich an Doping beteiligen, droht unter den Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes eine Geld- oder Freiheitsstrafe sowie der Entzug der Approbation. "Oberstes Gebot ärztlichen Handelns ist die Erhaltung und die Wiederherstellung der Gesundheit des Patienten; Doping aber ist vorsätzliche Körperverletzung und mit dem Arztberuf völlig unvereinbar", sagt Udo Wolter von der Bundesärztekammer. Auch wenn die strafrechtliche Beurteilung beim einwilligungsfähigen, erwachsenen Sportler etwas kniffliger ist - vor dem Hintergrund möglicher gesundheitlicher Schäden und des Dopingverbots im Arzneimittelgesetz wird die Körperverletzung zu Dopingzwecken allgemein als sittenwidrig angesehen. Damit macht ein Arzt sich strafbar, wenn er beim Doping mitwirkt.Was aber, wenn ein Sportler unbedingt dopen will? Mit dem Mythos vom Sportler als Opfer und dem Arzt als Verführer räumt Professor Wilfried Kindermann, Chefarzt der Deutschen Olympiamannschaft, auf: "Die Sportler setzen häufig die Ärzte unter Druck." Wichtige Voraussetzungen, sich dem Wunsch der Sportler nach chemischer Leistungssteigerung zu widersetzen, sind laut Kindermann, dass der Arzt finanziell nicht abhängig ist von der Betreuung der Athleten und eine Aufwandsentschädigung anstelle einer Erfolgsprämie erhält.Auch einem Arzt, der Doping ablehnt, fällt nicht immer auf, wenn ein Sportler sich leistungssteigernde Substanzen zuführt. Erschwerend ist hier, dass ein Athlet häufig von verschiedenen Ärzten betreut wird. Und was kann ein Arzt tun, wenn er erfährt, dass ein von ihm betreuter Sportler seine Leistung künstlich steigert? Handelt es sich um einen Erwachsenen, darf der Arzt laut DGSP-Beratergremium seine Schweigepflicht nicht brechen, denn die Aufklärung eines Dopingvergehens stelle kein höherwertiges Gut dar. Doch die Sportverbände könnten von den Athleten verlangen, ihre Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden.Der Verdacht liegt nahe, dass die Geständnisse der Freiburger Ärzte nur die Spitze eines Eisbergs sind. Für medizinische Zwecke werden jährlich höchstens 500 Kilogramm Steroide benötigt, die Pharmazeutische Industrie bringt jedoch mehrere Tonnen davon auf den Markt. Woher die Freiburger Mediziner das EPO bezogen, das sie an die Radfahrer weitergaben, konnte laut Kommission bisher nicht ermittelt werden. Fachleute schätzen, dass nur 20 Prozent des verschreibungspflichtigen Medikamentes Erythropoietin für die Behandlung von Patienten verwendet werden.