Wider die Caligulas

Pazifist Vor 150 Jahren wurde der Historiker und Friedensnobelpreisträger Ludwig Quidde geboren

Von den vier deutschen Trägern des Friedensnobelpreises ist Ludwig Quidde wohl der am wenigsten bekannte. Dabei kann sich sein Lebenswerk für den Frieden neben dem von Gustav Stresemann, Carl von Ossietzky und Willy Brandt durchaus sehen lassen. Nahezu unbeirrbar folgte dieser tapfere Demokrat und "unverbesserliche Optimist" (Quidde über Quidde) in dunklen Zeiten seinem Ziel: Friedenspolitik als Anwendung demokratischer Grundsätze auf das Zusammenleben der Völker - in dieser Formel fasste Quidde, der am 23. März 1858 in Bremen geboren wurde, sein pazifistisches Credo.

Bereits als Student in Göttingen ergreift Ludwig Quidde Partei gegen antijüdische Hetzerei. Seine spätere Frau Margarethe Jacobson entstammt einer jüdischen Familie aus Königsberg. Nach dem Studium steht ihm eine akademische Karriere als Mittelalter-Forscher offen. Doch 1893 veröffentlicht er - zunächst anonym - eine grundlegende Kritik des Militarismus im heutigen deutschen Reich und formuliert seine demokratisch-pazifistischen Überzeugungen. Ein Jahr später entfacht Caligula. Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn einen veritablen Skandal, kann man doch alles, was hier über den römischen Diktator gesagt wird, auch als Satire auf Kaiser Wilhelm II. lesen. Im Herrscherstil Caligulas sieht Quidde ein typisches Beispiel dafür, wie Größenwahn und Unterwürfigkeit einander bedingen können - mit fatalen Folgen. Der Chef des kaiserlichen Geheimen Zivilkabinetts wittert "beabsichtigte Majestätsbeleidigung". Strafrechtlicher Verfolgung kann Quidde sich diesmal noch entziehen, doch zwei Jahre danach verurteilt man ihn zu einer dreimonatigen Gefängnisstrafe wegen Majestätsbeleidigung.

1889 hat Bertha von Suttners Roman Die Waffen nieder! ein weltweites Echo gefunden. Drei Jahre später wird in Berlin die Deutsche Friedensgesellschaft gegründet, der Quidde bald beitritt. Sein Pazifismus verbindet weltbürgerliche Ideale mit Vaterlandsliebe. Der Staat soll vor allem den friedlichen Ausgleich unter den Völkern anstreben. Das geht nur, wenn alle mitmachen.

Doch nicht wenige Intellektuelle in Deutschland können es zu Beginn des Ersten Weltkriegs kaum erwarten, endlich zu den Waffen zu greifen. Die deutschen Pazifisten sind überrascht und geschockt. "Die reine Kriegstrunkenheit, ohne eine Spur von Bewusstsein für den entsetzlichen Ernst der Entscheidung. ... Was wir jetzt erleben, übersteigt an Grausigkeit alles, was wir Pazifisten sonst leichtfertigen und gewissenlosen Kriegstreibern vorgehalten haben", schreibt Quidde im August 1914.

1919 zieht Quidde für die Deutsche Demokratischen Partei (DDP) in die Weimarer Nationalversammlung. Wie viele ist er enttäuscht, dass der Vertrag von Versailles nichts von dem enthält, was das Friedensprogramm des amerikanischen Präsidenten Wilson in Aussicht gestellt hat. Der deutschen Alleinschuld am Weltkrieg steht Quidde skeptisch gegenüber. Er sieht den Krieg eher in der strukturellen "Unfriedlichkeit" des imperialistischen Weltsystems begründet und fordert die Klärung der Schuldfrage vor einem internationalen Ausschuss. Den Friedensvertrag hält er aus pazifistischer Sicht für unannehmbar und wiederholt seine Warnung aus den Kriegsjahren: "Eine Sicherung des Friedens durch Gewalt gibt es nicht."

Bald darauf tritt Hindenburgs "Dolchstoßlegende" ihre unheilvolle Karriere an. Weitsichtige Beiträge sehen für eine - erwünschte - Revision des Versailler Vertrages entweder den "Versuch loyaler Pflichterfüllung" oder den baldigen Eintritt Deutschlands in den Völkerbund. Doch die politische Rechte versteht es, die Unzufriedenheit mit dem Versailler Vertrag gegen Parlamentarismus und Demokratie zu mobilisieren. Bereits 1920 macht Quidde wie alle pazifistischen Redner Bekanntschaft mit den "Hakenkreuzlern". Niedergeschlagen kommentiert er den Kapp-Lüttwitz-Putsch im gleichen Jahr als "namenloses Unheil": "Die politische Unreife ist doch etwas ganz Trostloses."

Als Quidde 1924 in einem Artikel die Reichsregierung auffordert, gegen die "vertragswidrige Vermehrung der Reichswehr" vorzugehen, wird er wegen Landesverrats verhaftet. 1927 erhält er gemeinsam mit dem französischen Pazifisten Ferdinand Buisson den Friedensnobelpreis. In seiner Rede warnt er eindringlich vor der Gefahr für den Weltfrieden, falls das kaum gerüstete Deutschland weiterhin seinen hoch gerüsteten Nachbarn gegenüber stehe und nimmt damit die Entwicklung ab 1933 vorweg. Nach dem 30. Januar 1933 ist für Quidde eine öffentliche Betätigung in Deutschland unmöglich. Über Paris setzt er sich in die Schweiz ab. Seine naiv anmutende Ansicht, Hitler hege keine Kriegsabsichten, ist womöglich dem Umstand geschuldet, dass seine Frau sich noch in Deutschland aufhält - er korrigiert sie später. 1941 stirbt Ludwig Quidde in Genf.


Zum Weiterlesen: Karl Holl Ludwig Quidde - Eine Biographie. Düsseldorf 2007.

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