Als unlängst ein Magazin die Lohndumping-Praktiken in evangelischen Pflegeeinrichtungen enthüllte, versuchte es der Bundesverband des Diakonischen Werkes gar nicht erst mit einer Ausrede. Man müsse nun einmal, hieß es dort, „den Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und Nächstenliebe aushalten“.
In der Praxis führt dieser Spagat dazu, dass Teile des Personals, oftmals die ohnehin schlecht bezahlten Reinigungs- und Küchenkräfte, in Subunternehmen ausgegliedert werden, bei denen sie dann nicht mehr nach Diakonie-Tarif, sondern zum Teil um mehrere Hundert Euro schlechter bezahlt werden. Mitunter war das gekündigte Stammpersonal sogar über eine eigene Leiharbeitsfirma zu niedrigeren als den üblichen Löhnen wieder eingest
er eingestellt worden.Die Diakonie ist mit rund 430.000 Beschäftigten einer der größten Arbeitgeber in Deutschland. Wie viele vom Lohndumping betroffen sind, bleibt umstritten: Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Nikolaus Schneider, spricht von 35.000, die Mitarbeitervertreter setzen die Zahl mit 75.000 deutlich höher an.Dass Lohndumping bei der Diakonie um sich greift, ist schon länger bekannt. Das Problem hat dabei auch Ursachen, die tiefer liegen: die finanzielle Unterversorgung im Bereich der sozialen Dienstleistungen und der politisch gewollte Wettbewerb. Auf den können etwa Pflegeeinrichtungen nur bis zu einem gewissen Grad mit Effizienzsteigerungen reagieren. Früher oder später wird die Axt an die Personalkosten gelegt: Wer kann die Arbeit billiger machen?Verhindern ließe sich das über einen bundesweit einheitlichen Tarif für alle Arbeitnehmer. Die evangelische Kirche und die Diakonie sind jedoch einen anderen Weg gegangen: Sie berufen sich auf das grundgesetzlich garantierte Privileg, sich ein eigenes Kirchen-Recht zu geben, und haben sich mit eigenen Arbeitsvertragsrichtlinien von der üblichen Tarifentwicklung im öffentlichen Dienst abgekoppelt. Den diakonischen Unternehmen erlaubt das eine große Flexibilität bei den Lohnkosten – im Wettbewerb ist das ein Vorteil.Für die Beschäftigten ist der kirchliche Sonderpfad – der so genannte „Dritte Weg“ – dagegen ein großer Nachteil. Verhandelt wird über die Gehälter nicht in Tarifgesprächen, sondern in Kommissionen. In diesen sitzen die Angestellten an einem viel kürzeren Hebel als etwa die Gewerkschaften in Tarifgesprächen – nicht zuletzt, weil die Diakonie ihren Arbeitnehmern das Streikrecht abspricht. Seit Jahren wehren sich Arbeitnehmer und die Gewerkschaft Verdi gegen die Ungleichbehandlung. Erst in der vergangenen Woche haben Diakonie-Beschäftigte und die „Gewerkschaft Kirche und Diakonie“ in Berlin für den Abschluss eines Tarifvertrags beim evangelischen Sozialverband protestiert.Das Signal von HammDie Diakonie reagierte prompt: Der Dritte Weg im Arbeitsrecht der evangelischen Kirche, bei dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer ohne Streikrecht die Arbeitsbedingungen aushandeln, „steht nicht zur Disposition“, erklärte eine Sprecherin. Was sie nicht sagte: Bereits im Januar hatte das Landesarbeitsgericht Hamm eine viel beachtete Entscheidung getroffen, die in eine ganz andere Richtung weist. Eines der Kernargumente der Kammer hatte dabei auch direkt etwas mit dem Lohndumping in der Diakonie zu tun: Ausgründungen und Leiharbeitsfirmen seien ein Indiz dafür, dass in den Kircheneinrichtungen doch nicht alle Beschäftigten gleichermaßen einen christlich verstandenen „Dienst am Nächsten“ verrichten. Also könne auch nicht für alle das daraus begründete Streikverbot gelten. Außerdem meldeten die Hammer Richter Zweifel an, ob die Mitarbeiterinteressen im kirchlichen Arbeitsrecht genauso gut geschützt seien wie im normalen Arbeitsrecht. Das aber wäre die Voraussetzung dafür, dass die Abwägung von zwei Grundrechten – dem Streikrecht einerseits und dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht andererseits – wirklich zugunsten der Kirchen ausgehen könnte.Nun kommt die Argumentation der evangelischen Kirche auch noch von katholischer Seite unter Bedrängnis: Im vergangenen März hatte ein vom Vatikan eingesetztes katholisches Kirchengericht entschieden, dass die Beschäftigten der Kolping-Bildungszentren GmbH in Paderborn nicht automatisch nach dem kirchlichen Arbeitsrecht angestellt werden müssten – sondern dies durchaus auch im Rahmen des normalen Arbeitsrechts geschehen könne. Das hieße dann aber, dass das christliche Selbstverständnis durchaus mit Tarifverträgen und Streiks vereinbar wäre. Eine Arbeitsgruppe der deutschen Bischofskonferenz berät nun, ob und wenn ja wie die Grundordnung für den kirchlichen Dienst nun geändert werden muss.Die katholische SeiteInteressant ist der Blick auf die katholische Seite, weil der Streit um das kirchliche Arbeitsrecht dort unter umgekehrten Vorzeichen ausgetragen wird: Im Fall der Kolping-Bildungszentren wollte das Unternehmen nicht mehr nach dem kirchlichen Arbeitsrecht anstellen. Demgegenüber sind die Vertreter der Mitarbeiterseite in der Arbeitsgruppe der Bischofskonferenz bemüht, das Urteil des vatikanischen Kirchengerichts vom vergangenen Jahr als Einzelfall zu interpretieren. Der Grund: Zwar ist die Position der Mitarbeitervertreter in katholischen Einrichtungen ähnlich eingeschränkt wie die der Kollegen von der evangelischen Kirche. Aber die Caritas hat sich bei ihren Löhnen bisher weitgehend am höheren Tarifniveau des öffentlichen Dienstes orientiert. Auch haben sich die katholischen Bischöfe bisher nicht so eindeutig auf die Seite der Caritas-Arbeitgeber gestellt, wie die evangelischen Kirchenoberen auf jene der Diakonie-Chefetage.Zwei unterschiedliche Konflikte: Das Verfahren um das Streikrecht, das vor dem Bundesarbeitsgericht weitergehen wird, und die Debatte in der Arbeitsgruppe der katholischen Kirche. Aber beide Prozesse könnten zu einem ähnlichen Ergebnis kommen: Kirchliche Mitarbeiter werden immer mehr ihren Sonderstatus verlieren – und damit ein gewisses Maß an Benachteiligung hinter sich lassen.