Es ist vielleicht nicht der beste Stil, auf einen Rezensenten zu antworten. Doch die Vorwürfe, die Stefan Dornuf im Freitag vom 26. 1. 2001 erhebt, sind derart an den Haaren herbeigezogen, dass sie fast schon an Rufmord grenzen.
Dornufs Hauptkritik gilt meiner umfangreichen Einleitung in das von mir herausgegebene neue Werk von Leo Kofler: Zur Kritik der bürgerlichen Freiheit. Ausgewählte politisch-philosophische Texte eines marxistischen Einzelgängers, Hamburg (VSA) 2000. In der Süddeutschen Zeitung und der Neuen Zürcher nennt er meine Neuherausgabe zwar "verdienstvoll", zieht aber ansonsten genüsslich über mich her, ohne irgendeinen Beleg für seine weitreichenden Urteile anzuführen. In der SZ behauptet er, ich gehörte zu denen, "die von Philosophie nichts verstehen" und meine Einleitung sei "deutlich auf eine der political correctness verpflichtete linke Glaubensgemeinde zugeschnitten, die sich mit der Schere im Kopf am wohlsten fühlt". Wer nach einem Hinweis sucht, was der Rezensent damit meint, wird enttäuscht. Er oder sie muss die NZZ zu Hilfe nehmen, in der mir Dornuf vorhält, ich neigte "leider zu Begriffslosigkeit und Halbbildung, die durch die dank der 'Neuen Linken' inflationär verschlissenen Attribute 'kritisch' und 'engagiert' kompensiert werden sollen". Warum? Weil ich nichts von Dialektik verstände und mir erlaube, "Kofler einen Philosophen zu nennen - was dieser selbst für sich niemals reklamiert haben würde", und weil ich glaubte, dass "die inzwischen weidlich strapazierte Bezeichnung 'westlicher Marxismus' von Perry Anderson stammt (sie stammt von Maurice Merleau-Ponty)".
Zum ersten: Kofler hat sich selbst durchaus gelegentlich einen Sozialphilosphen genannt, unter anderem im Untertitel des von Dornuf extra hinzugezogenen Werkes Geistiger Verfall und progressive Elite. Sozialphilosophische Untersuchungen von 1981, was nicht im Widerspruch dazu steht, dass er - marxistisch gesprochen - natürlich ein Gesellschaftstheoretiker war. Und was die Dialektik angeht, so hat jedenfalls die für Dornufs gesamten Veröffentlichungen so typische positivistische Aneinanderreihung gelehrter Anekdoten weniger mit dialektischer Methodik zu tun, als mein Versuch, Kofler zu historisieren.
Zum zweiten: Mir ist bekannt, dass der Begriff des westlichen Marxismus von Merleau-Ponty stammt. Doch darum geht es in meiner Einleitung nicht, denn dort schreibe ich ausführlich, dass ich Perry Andersons Versuch einer historisch-soziologischen Einordnung desselben folge. Entlang von Andersons Kriterien arbeite ich heraus, inwieweit Kofler nicht nur theoretisch, sondern auch historisch-biografisch ein nicht untypischer Vertreter der Generation westlicher Marxisten ist. Dass Kofler in wesentlichen Aspekten von dieser Tradition abweicht, auch darauf gehe ich ebenso ausführlich ein, wie ich Koflers berühmt-berüchtigten Streit mit der Frankfurter Schule im Kontext eines Richtungsstreites innerhalb des "Westlichen Marxismus" interpretiere. Dornuf hat mich also nicht nur nicht verstanden, er benutzt sein "Missverständnis" auch, um mir "aus Ignoranz" einen "arge(n) faux pas" zu unterstellen. Kofler hätte doch eine andere Ästhetik als Adorno Co. vertreten. Spezifisch für den westlichen Marxismus (in Adornos anregender Analyse) ist aber weniger die Art der Ästhetik, sondern die Tatsache, dass sich die Theoretiker desselben überhaupt der Ästhetik zuwenden. Dafür steht auch Kofler.
Geradezu grotesk wird es schließlich, Kofler in Abgrenzung von Ernst Bloch und Bert Brecht zum patriotischen Wahldeutschen und Quasi-Nationalisten stempeln zu wollen. Dornuf wirft mir sogar vor, "Versuche, die Erinnerung daran zum Schweigen zu bringen - so geschehen auf einem (von mir organisierten; C.J.) Bochumer Kongress am 1. Mai 2000". Der von Dornuf nicht namentlich erwähnte "brillante junge Altphilologe, promovierter Philosoph und Wiener Genosse Koflers" heißt Reinhard Pitsch und hat seinen dortigen Vortrag mit einer vermeintlich sachlichen Berichtigung eines am Vortag gehaltenen Beitrages begonnen, in dem er diese Berichtigung explizit und zweimal eine "hygienische Maßnahme" nannte. Danach hat er seinen Vortrag Albert Leo Schlageter gewidmet, "der für Deutschland gefallen" sei, hat von Theodor Adorno bewusst und explizit nur als "Herrn Wiesengrund" gesprochen, von "Mitteldeutschland" und der "gemeinen Linken" gefaselt und das linke Festhalten an der Marx'schen Zielvorstellung "Jedem nach seinen Bedürfnissen" als "pseudohumanistisches Geschwätz" bezeichnet. Dass diese sich antisemitischer Klischees bedienende deutsch-nationalistische Provokation zu entsprechend heftigen Reaktionen des anwesenden Kongress-Publikums geführt hat, sollte verständlich sein und hat selbst den damals anwesenden Stefan Dornuf zu einer Distanzierung von seinem Freunde genötigt. Dass er selbst es allerdings auch nicht besonders genau nimmt und antisemitische Klischees reproduziert, zeigt er ausgerechnet im Freitag, wenn er Kofler für den stalinistischen Feldzug gegen den "Kosmopolitismus" vereinnahmt. Der war beileibe nicht das, was man heute "die Europa-Idee" nennen würde, sondern eindeutig antisemitisch intendiert.
Verständlich wird all dies ungereimte und haltlose Zeug des Stefan Dornuf, wenn man weiß, dass auch er auf dem besagten Kongress ein langes Referat gehalten hat, in dem er den historischen Stalinismus geschichtsphilosophisch gerechtfertigt und damit ebenso Unmut geerntet hat wie Pitsch. Vor diesem Hintergrund offenbart sich dann der ganze Sinn seiner Verleumdungskampagne. Auf Äußerungen des späten Kofler sich stützend, versucht er einen namhaften freiheitlichen Sozialisten zu einem stalinistischen Erziehungsdiktator umzuinterpretieren (in der NZZ preist er deswegen besonders gern Koflers "pädagogischen Eros"). Deswegen die unsachliche Polemik gegen die "Neue Linke" und den "Westlichen Marxismus", deswegen der Versuch, mich der political correctness zu bezichtigen und die Ecke von Stephane Courtois Schwarzbuch zu stellen. "Im Übrigen haben, so sehr man das bedauern mag, der Neoliberalismus ebenso wie die CDU (...) Recht damit, dass Freiheit und Sozialismus unvereinbar sind." Diesen, seinen eigenen Standpunkt erschöpfenden und gegen Koflers Lebenswerk gezielten Satz traut sich Dornuf - Opportunist, der er ist - in der NZZ, einem der führenden Blätter der europäischen Bourgeoisie, nicht jedoch im Freitag. Trotzdem ist es der Subtext aller drei Rezensionen. Es bleibt zu hoffen, dass die Veröffentlichung einer solch unsachlichen und unredlichen Rezension dieses neo-stalinistischen Gelegenheitsschreibers ein pures Versehen der Kulturredaktion des linken Freitag gewesen ist.
P.S.: Dornufs Eröffnungsbonmot im Freitag, ich hätte mir ein Armutszeugnis damit ausgestellt, Texte herauszugeben, die über den Buchhandel noch lieferbar seien, entspricht gleichfalls nicht der Wahrheit. Besagter Kofler-Band (Geistiger Verfall und progressive Elite) ist über den Buchhandel nicht mehr lieferbar. Das Hauptkriterium meiner Textauswahl war allerdings auch nicht das der Greifbarkeit, sondern das der Repräsentativität. Der von mir herausgegebene Band ist - der Untertitel sagt es bereits - eine Art "best of" Kofler, eine Einführung in Leben und Werk. Seine Hauptwerke, auch hier ist Dornuf schlecht informiert, obwohl er es besser wissen könnte, sollen demnächst - von anderer Seite - in einem eigenen Verlag neu herausgebracht werden.
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