Zensur per Fiskus

TEILWERTABSCHREIBUNG Der SPD-Gesetzentwurf gefährdet wissentlich die Vielfalt des Buchangebots

Die neue Bundesregierung hat ein Problem. Sie will mit ihrem geplanten »Steuerentlastungsgesetz« einerseits die hohen Abgaben in Deutschland senken, weiß aber andererseits nicht, wie sie die dadurch entstehenden Defizite im Staatshaushalt wieder ausgleichen soll. Als kleiner Trick fiel ihr eine harmlos anmutende Umformulierung des Paragraphen 6 des Einkommenssteuergesetzes ein. In ihm heißt es, daß bei der Bewertung sämtlicher Wirtschaftsgüter die vollen Anschaffungs- oder Herstellungskosten angesetzt werden müssen und ein niedrigerer Teilwert ab 1999 nicht mehr zulässig ist. Dieser hohe Wert würde dann Grundlage für die Besteuerung sein, also wieder Geld einspielen. Das klingt zunächst undramatisch, und doch verbirgt sich dahinter ein kulturpolitischer Kahlschlag, der einer flächendeckenden Zensur gleichkäme. Bisher war es so, daß Unternehmen mit einem großen Lager dieses nach den realistischen Absatzerwartungen bewerten können und im Sinne einer ehrlichen Bilanz auch sollen. Stellt sich nämlich heraus, daß eine bestimmte Ware nicht das Interesse der Käufer findet, so hat es keinen Sinn, deren Bestände nach den Wiederbeschaffungskosten zu bewerten, denn hier können vernünftigerweise nur »die in einem überschaubaren Zeitraum absetzbaren Exemplare« zählen. Die Bewertung muß somit an der Verkäuflichkeit und nicht einfach an der Herstellung orientiert sein. Dem Fiskus geht damit letztlich nichts verloren, denn wenn sich die schwierige Ware eines Tages doch verkauft, werden natürlich entsprechende Steuern fällig. Die Absicht der Bundesregierung ist es jetzt, zu schnellem Geld zu kommen, indem sie schon vorab Gewinne besteuern will, die es noch gar nicht gibt. Für Buchhandlungen und Verlage hat das traditionell praktizierte Verfahren jedoch eine besondere Bedeutung, denn im Unterschied zu allen anderen Branchen gibt es hier keinen Schlußverkauf mit totaler Lagerräumung. Gerade der feste Ladenpreis sichert die Langlebigkeit des Kulturgutes Buch. Eine Klassiker-Ausgabe, ein Wissenschaftsband, eine aufwendige Übersetzung oder ein anspruchsvoll gestalteter Lyrik-Band schlagen sich eben nicht in einem Jahr um. Mit ihnen muß man Geduld haben. Doch fehlt diese staatlicherseits, fehlt sie natürlich alsbald auch beim Buchhändler, denn wie soll er sein großes Lager finanzieren? Er wird anfangen, ausnahmslos all das an die Verlage zurückzuschicken, was er binnen eines Jahres nicht verkaufen kann. Die Verlage wiederum werden sich nur mit Ramschaktionen zu behelfen wissen, was die festen Buchpreise endgültig gefährdet. Außerdem müssen die Lektorate bei allen künftigen Programmen wohl oder übel darauf achten, daß es sich bei den ausgewählten Texten um schnelllebige Ware handelt, die zum nächsten Bilanzstichtag entweder verkauft oder makuliert ist. Ein Teil des Programmes wird somit auf dem Umweg über den Fiskus einfach wegzensiert. Helfen könnte hier nur eine Verschiebung des Lagers ins Ausland oder eine kräftige Kapitalaufstockung, um all die anfallenden Steuern auf nicht vorhandene Gewinne zu bewältigen. Beides können sich aber nur die wirklich großen Unternehmen leisten. Die Sozialdemokraten waren im Wahlkampf mit dem Versprechen angetreten, verstärkt den Mittelstand zu fördern und der weiteren Umverteilung von unten nach oben entgegenzutreten. Zugleich bemühten sie sich um den Schulterschluß mit Künstlern und Intellektuellen. Am 19. August vergangenen Jahres kam Gerhard Schröder dazu eigens ins »Berliner Ensemble«, wo er gemeinsam mit Michael Naumann auftrat und - assistiert von Oskar Lafontaine - den Anwesenden versprach, bei der künftigen Kulturpolitik energischer als bisher zu fördern. Die Amtshandlungen der ersten Monate stehen dem jedoch teilweise klar entgegen. Bei der bevorstehenden Entscheidung über die neuen Steuergesetze muß sich jetzt erweisen, wie es die Verantwortlichen in der Bundesregierung mit der kulturellen Substanz im Lande halten und ob sie tatsächlich bereit sind, diese für einen kleinlichen Liquiditätsvorteil zu opfern. Noch ist eine Korrektur der bisherigen Fehlentwicklung möglich.

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