Haustier

Lästig Die Fliege ist ein Anarcho

"Der kann keiner Fliege was zuleide tun" sagt man. Die Fliege ist ein Nichts, ein Niemand. Nicht einmal einer Fliege was zuleide tun: das ist soweit unten; eine Fliege zu töten, ist ein bisschen schlimmer, als einen Brotkrümel vom Tisch zu fegen. Dabei ist die gemeine Stubenfliege ein treues Insekt, das sich gerne bei den Menschen aufhält. Im Laufe der Evolutionsgeschichte hat sich eine ganz besondere Liaison zwischen diesem Haustier und dem Menschen entwickelt.

Die Geringschätzung der Fliege liegt an unserem Unvermögen, sie in gut oder böse einzuordnen. Das macht sie verdächtig. Nehmen wir die Ameise zum Vergleich, die trägt 30 Mal ihr eigenes Körpergewicht, ja, da staunen alle, und die ist sozial und fleißig, schleppt den ganzen Tag wie blöde irgendeinen Kram von einem Waldende zum anderen, wo von dem Zeugs, das die Ameise gerade dorthin schleppt, schon genauso viel rumliegt. Völlig überschätzt, die Ameise. Die Fliege ist ein Anarcho. Die Proportionen plump, keine ansprechenden Farben, keine graziösen Bewegungen, kein vordergründiger biologischen Nutzen, außer vielleicht der zweitklassigen Rolle in irgendeiner Nahrungskette. Ein brummender, schwarzer Klumpen im Zick-Zack-Flug, dem die Augen nur schwer folgen können, wenn er nicht gerade seine konzentrischen Kreise um die Deckenlampe zieht. Und diese unschöne Vorliebe für Kot, in den sie ihre Saugnäpfe vergräbt. Zugegeben, diese Vorliebe entspricht nicht unseren zivilisatorischen Standards und berührt zudem noch ein Tabuthema. Aber: sie sticht nicht, trinkt kein Blut, frisst keine Löcher in den Armani-Anzug und saugt nicht an unseren geliebten Balkonpflanzen. Sie ist einfach nur da.

Wie so häufig treten die wahren Werte nicht offen zutage, sondern liegen im Inneren verborgen. Allein oder in Gruppen auftretend ist es erstaunlich, wie die Fliege, dieses Nichts, uns in die unterschiedlichsten Gemütszustände versetzt. Diese kleine Kreatur ist ein Agent Provocateur, ein Katalysator unserer geheimsten psychischen Dispositionen und ein Kommunikationssubjekt. Man stelle sich einen warmen, drückenden Sommernachmittag vor, absolute Stille, nur das Summen einer Fliege. Ohne die Fliege wäre diese atmosphärische Dichte gar nicht denkbar. Oder die Beharrlichkeit, mit der eine Fliege vor die geschlossene Fensterscheibe fliegt, stundenlang. Am nächsten Morgen liegt sie auf der Fensterbank, die tote Hülle des unbändigen Willens, eine Glasscheibe zu zerschmettern. Wer hat sich da noch keine Gedanken über den Sinn des Lebens gemacht?

Als Kind habe ich mal einer Fliege die Flügel ausgerissen, mit der zynischen Bemerkung, sie könne ja jetzt zu Fuß gehen. Beim Anblick dieses kleinen unbeholfenen Klümpchens war ich dann aber doch so über meine eigene Grausamkeit erschrocken, dass ich mich gerne selber geohrfeigt hätte. Für diese Fliege war das nicht mehr gutzumachen, aber ich schone seitdem ihre Brüder und Schwestern so gut ich kann und solange sie´s nicht übertreiben.

Wenn die Fliege des Nachts beharrlich summt und wir kein Auge zutun, bringt sie uns zur Raserei. Eine genügt. Tritt sie in Massen auf, vervielfältigt sich auch ihre Wirkung. In südlichen Ländern, nehmen wir Ägypten als Beispiel, steuern sie zielstrebig auf Augen, Ohren, Nase und Mund, auf alles, was irgendwie feucht ist. Die Einheimischen haben sich längst eine stoische Ruhe angewöhnt. Das fällt uns nordisch erzogenen Menschen schwer. Meine Reisebegleiterin damals am Nil fand, wenn jeder Ägypter einmal am Tag auch nur eine Fliege erschlüge, wäre die Welt erträglicher. Vor den heiligen Hallen des Luxortempels geschah es, dass sie, die schweißbedeckten Waden von mindestens dreißig summenden brummenden Fliegen besiedelt, plötzlich einen Veitstanz aufführte, wie irre mit den Füßen stapfte, sich dann auf den Boden warf und schrie, sie könne nicht mehr, sie würde wahnsinnig werden mit diesen Aasfressern. 15 Minuten pure Hysterie (sehr zur Belustigung der umstehenden Bevölkerung): so loslassen können, das ersetzt mehrere Therapiestunden. Gratis. "Die Insekten werden einmal die Welt beherrschen", sagte meine Biologielehrerin früher, und das ist einer der wenigen Sätze, die mich nachhaltig beeindruckt haben. Die Fliege wird mit dabei sein, ich bin mir ganz sicher. Aber was wird sie ohne den Menschen machen?

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