Der Palast der Republik, dieses durch die volkseigene Zurede-Ideologie in Perfektionshöhen getriebene Trockendock sozialistischer Traumschiffperspektiven, wofür musste er alles herhalten ...
Wir erinnern uns: der Palast, als er noch stand, war Kommandobrücke für 99,9prozentiges Befehlsempfängertum wie Partyzone für die Blaublusigen, er war ein estradenbunt aufgehübschter Gemischwarenladen zur Infantilisierung des Erwachsenenlebens im Horizont von "Rock für den Frieden" und Ostereiermalerinnen.
Im "Jugendtreff" wurde die Kleine Revue erfunden und junge Talente wie die schwergewichtigen "Molly Sisters". Bevor Jungvermählte über frühe Elternschaft und klassische Mutterrolle per Sexualaufklärung informiert wurden, gab es Disko satt auf der drehbaren "Hubplattform", um die herum das Künstlerpaar Nina Fischer / Maroan el Sani sehr viel später, nach der Schleifung des Gebäudes nämlich, ein ganzes "Palast"-Beweinungsszenario entwickelte.
Die beiden jungen Künstler haben übrigens am eigenen Leib nicht miterleben können, wie sich etwa eine Volkskammertagung, ein Kongress des Verbandes Bildender Künstler oder ein Ordnereinsatz gegen Rock-Begeisterte anfühlte, von denen der vormundschaftliche Staat zuweilen annahm, sie "gefährdeten die Sitzordnung". Und es gibt viele junge Leute, denen es in ihrer Nichterfahrung heute genauso geht. Ihnen, den Nachgeborenen, ist es eine Herzensangelegenheit, das, was sie glauben, was der Palast der Republik gewesen sein könnte, möglichst synästhetisch zu rekapitulieren. Sei´s drum.
Fischer/el Sanis zwischen 2001 und 2004 entwickeltes Erinnerungsprojekt umfasste eine Fotoserie, eine Video-Doppelprojektion, ein Sound-Objekt, die Tanzboden-Rekonstruktion aus dem "Jugendtreff" als fetzige Bodenskulptur und die Kreation einer Geruchskomponente, zusammengemixt aus Kaffeegeruch und Blumenduft. Oh heiliger Chemierarbeiter aus dem VEB Berlin Kosmetik, was muss eine Ostnase unter Westbedingungen alles noch erleiden? Immerhin war es eine grundehrliche Fan-Idee, voller Liebesschmelz an ein Stück DDR-Herrschaftsarchitektur formuliert, die sogar in Gwangju und New York gezeigt wurde.
Übrigens sind es auffällig viele Nicht-Wendegeschädigte, die sich, sobald der Palast in den vergangenen Monaten freigegeben wurde, vehement für den Erhalt der Ruine aussprachen. Es sind diejenigen, die sich auch nächtelang im Café Moskau herumdrücken oder es sich beim ersten Sonnenstrahl auf den Betonschrägen des Tele-Spargel-Unterbaus am Alex gemütlich machen. Die Architekten- und Designer-Kompromisse der real-sozialistischen Moderne gelten als cool, die unauffälligen Erd- und Schilffarben, kontrastiert vom "Hallo"-Schick der AMIGA-Plattencover, haben sogar die Ver-ostung von VIVA zum Programm werden lassen. Der Westen ist im Osten angekommen. Wer wollte das beklagen?
Und nun soll das, was vom Palast noch übrig ist, tatsächlich zerschnitten und abgetragen werden? Den Palast der Republik gibt es doch schon längst nicht mehr (auch wenn ihn manche jahrelang zum Supersymbol angeblicher ostdeutscher Verlustängste stilisierte). Seine malträtierte Außenhaut freilich könnte das beherbergen, wofür andere Städte für teures Geld zeitgenössische Funktionsbauten mitten in der Stadt errichten. Sollen denn Künstlerproteste, Aktionstage, Kampf-Partys, Petitionen, sogar der Einsatz des Bundes Deutscher Architekten (BDA) und des Verbandes der Bildenden Künstler (bbk), die rührige Promo-Tour des unerschütterlichen "Palast-Bündnisses", zuletzt "Palast Watching" und Politiker-Coaching umsonst gewesen sein? Wurde nicht genug Buße getan, gewartet und getrauert?
Das Problem der Zeitlichkeit, frei nach den ontologischen Ansätzen von Martin Heidegger und Jean-Paul Sartre, konnte in dem entkernten Gebäude hinreichend mit einer ganzen Armee alt-chinesischer Tonfiguren erforscht werden, Relativität und Nicht-Relativität von Zeit als Koordinate wurde mit Bootstouren im gefluteten Palast-Skelett und mit "Berg"-Besteigungen körperlich tausendfach erfühlt. Reicht das nicht? Wollen sich Schloß- wie Palastbefürworter gleichermaßen Nietzsches Gedanken von der ewigen Wiederkunft unterwerfen? Beide Parteien übersehen, dass Zeit ein organisches Phänomen ist, das Erinnern und Vergessen zusammenbindet. Erinnerung belastet und Erinnerung erlöst gleichzeitig. Doch auf beiden Seiten gibt es scheinbar kein kulturelles Gedächtnis, nur Nostalgie und Retroseligkeit.
Diejenigen, die den Palast zu einer Weihestätte kollektiven Erinnerns - in die eine oder andere Richtung - machen wollen, befinden sich ebenso auf dem Holzweg, denn noch nicht einmal unser autobiografisches Gedächtnis ist das, wofür wir es halten. Es formt sich - das zeigen neue Ergebnisse aus Neurologie und Psychologie - im Austausch und im Wechselspiel mit Menschen, Bildern und Normen. Der vermeintlich objektive Datenspeicher ist nicht Protokoll, sondern Konstrukt. Statt der Illusion eines Erinnerungsfetischs nachzujagen, sollten wir die marode Hülle in der Mitte der Stadt als Haube für Experimentelles annehemen, sie zu einer Bühne für Neues, Offenes, Ungesichertes machen. Die Zeit des Verklärens und Verdrängens ist vorbei. Endlich.
Jeder weiß, dass das Schloss nicht kommt, weil das Geld fehlt. Schon die Asbestbeseitigung kostete rund 80 Millionen Euro - mehr als doppelt so teuer wie geplant. Einen Schlossbau für wenigstens 700 Millionen, eher wohl aber für rund eine Milliarde Euro in den Zeiten von Hartz IV, in denen die CDU bereits wieder nach ihrer sozialen Ader schürft, wird selbst die größte Koalition nicht in Angriff nehmen wollen. Und von einem ähnlich starken Bürgersinn, wie er sich beim Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche zeigte, kann der Verein zur Förderung des Stadtschlosses nur träumen. Warum also 20 Millionen Euro für den Abriss des Palasts ausgeben, nur um dann gegenüber dem Berliner Dom 17.000 Quadratmeter Gras (über die Sache) wachsen zu lassen? Schinkel und Schlüter würden sich im Grabe rumdrehen. Völlig offen ist, wann und unter welchen Umständen das Humboldt-Forum im Schutzmantel der Schlossfassade geplant, finanziert und gebaut wird.
Die künstlerischen Zwischennutzungs-Spektakel im Palast kam beim Publikum großartig an, bis hin zur "White Cube"- Sensation von Ende Dezember. Dass die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung den Palast abgeschrieben hat, ist bekannt und schade. Sie hätte die Situation offen halten können. Stattdessen überlegt sie nun, wie man das gestrippte Bauwerk in touristengerecht portionierten Teilen zum Verkauf anbieten kann. Das grenzt an Pornographie.
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