Bis auf einige wenige Ausnahmen wirkt jene im Ost-Deutschen verwurzelte Kunst heute, zehn Jahre nach überstandener deutsch-deutscher Eiszeit, randständig und marginalisiert. Dabei hatte die Stasi doch bereits 1977 so überaus erfolgreich die "Viererbande" der staats-sozialistisch klöppelnden Mangelverwaltung in die Kasseler "documenta VI" lanciert. Als Willi Sitte, Werner Tübke, Bernhard Heisig und Wolfgang Mattheuer sowie die Bildhauer Fritz Cremer und Joachim Jastram mit gut zwei Dutzend Werken aufmarschierten, zogen Künstler wie Georg Baselitz (der das volkseigene Intrigantentum am eigenen Leib erfahren hatte) und Jörg Immendorf (ein enger Freund von A.R. Penck) demonstrativ aus. Besser hätte es nicht laufen können. Das Kampfziel der Unterwanderung der Westkunst wurde erreicht.
Danach ging alles wie von selbst. Reihenweise knickten die bis dahin höchst autonomistisch und pro-westlich agierenden westdeutschen Museumsleute ein und propagierten eine Ostpolitik, die die Hofschranzen der DDR im Westen bekannt machte, die Devisenkasse des Schuldenstaates auffüllte und die Sub-Szene der DDR zermürbte.
Über Ausstellungen wie "Internationaler Realismus heute" im Hamburger Kunstverein (1978/79) bis hin zu den Präsentationen des Ludwig-Instituts für Kunst der DDR in den 80er Jahren wird kaum noch gesprochen, wohl auch deshalb, weil der Schulterschluss der Mächtigen in Ost und West schon damals als fast perfekt gelten konnte und man sich einig darüber war, sich auf keinen Fall von den rebellischen Jung-Oppositionellen der DDR in die Suppe spucken zu lassen. Nie ging es um Kunst, immer nur um Politikerkarrieren West sowie Klassenkampf Ost - und natürlich um Männerfreundschaften. An Bernhard Heisigs Porträt des Ex-Kanzlers Helmut Schmidt (1986) erinnert sich nicht nur der Porträtierte selbst mit höchster Freude, auch die Funktionäre frohlockten, gelang es Schmidt doch via Heisig, sich bei Honecker anzubiedern.
Als es im Frühjahr 1994 zu ersten öffentlichen Auseinandersetzungen in Bezug auf die Neukonzeption der Bestände des 20. Jahrhunderts in der Neuen Nationalgalerie zu Berlin kam und ein Offener Brief der "Initiative der Überlebenstrainer der Neuen Nationalgalerie zu Berlin" kursierte, unterschrieben u.a. von den Künstlern Lutz Dammbeck, Hans-Hendrik Grimmling und Via Lewandowsky, schien den West-Kollegen zum allerersten Mal klar zu werden, in welche Falle sie getappt waren. Befreien konnten sie sich daraus allerdings nicht.
Im Gegenteil, die Einladung an Bernhard Heisig, an der Ausgestaltung des Reichstages mitzuwirken, erfolgte 1998 gerade aus dem Grunde, weil sich ein deutsches Opportunisten-Schicksal in der Cafeteria so wunderbar eignet, die Provinzialität der politischen Klasse bei Sekt und Finger-Food als Kunstwert zu verkaufen. Heisigs lehrerhafte Historienmalerei vom "Pflichttäter" steht für Stagnation und Visionsarmut. Wer Bilder dieser Art malt und aufhängt, suggeriert denjenigen, die Angst haben vor dem Wechsel, politische Stabilität.
Auf der Suche nach der dekorativen Tapete gehen die Ängstlichen mittlerweile meilenweit - bis ins thüringische Bad Frankenhausen, wo man in diesem Jahr Werner Tübke gesamtdeutsch huldigte. Oder in Nürnberg, wo zu Ehren von Willi Sittes 80. Geburtstag im Februar 2001 eine große Retrospektive vorbereitet wird.
Vielleicht hängt das Revival der DDR-Staatsmaler aber auch mit einem Trend zusammen, der dem seit 20 Jahren aus der DDR in den Westen übergeschwappten romantischen Illusionismus neues Oberwasser beschert. Nicht nur die internationale junge Großstadtelite findet wieder Gefallen an einer "Darstellenden Malerei", auch eine Ausstellung, wie die soeben von Peter Weiermair für das Rupertinum in Salzburg zusammengestellte, richtet sich nach dem wiedererwachten Interesse an der "Figuration" und zeigt Werke von Dumas, Fischl, Hausner, Katz, Neri, Peyton und Schmalix.
Noch bis zum 28. November sind in der Berliner St. Matthäus Kirche Bilder des aus Zwenkau b. Leipzig stammenden Malers Hans-Hendrik Grimmling (Jahrgang 1947) zu sehen. Wer annimmt, hier würde ein vermeintlich in Vergessenheit geratener Ost-Dissident unter dem weiten Talar der Ev. Kirche erneut die alte Leier des protestantischen Widerstands abnudeln, hat sich getäuscht.
Grimmling, obwohl Bartträger, gehörte nie zur hochkirchlich festen Burg der Wende-Weisen. Auch jetzt hat er sich seine Ausstellung nicht von den Herren der heiligen Halle zahlen lassen (obwohl es neuerdings eine millionenschwere "Stiftung St. Matthäus" gibt), sondern löhnt selbst. Typisch Ostler, zu gehemmt für's Geschäft, möchte man meinen. Aber Grimmling hat eben "nur" Kunst im Blick. Mit seiner "deutsch-hacke" (1994) gibt Grimmling den Grundton vor. Wie Gong-Schläge hämmern die Bilder gegen das symbolische Kapital des "neuen Deutschland". Eine Figürlichkeit, die bis an den Rand der Abbildhaftigkeit getrieben wurde, dazu stumpf glänzende Farb-Lava, wuchtig und unerbittlich gemalt, gleichen so gar nicht den perfekt durchgestylten Imagekampagnen der westlichen Malerfürsten. Mit Grimmling, der ein Schüler Mattheuers ist und 1986 nach West-Berlin ging, erfährt die Leipziger Schule den lang ersehnten brachialen Bildschnitt. Grimmling war übrigens auch Mitinitiator des Leipziger Herbstsalons von 1984, der das Ende des Dirigismus bereits vor dem Ende der DDR praktizierte. Mit so viel Kraft konnte der Westen bisher schlecht umgehen. Grimmling, ein ewiger Feuerschlucker und frei von Beißhemmungen, kann weder seinen Mund halten noch seichte Bilder tuschen. Wie ein paar andere seelisch Gleichgestimmte, hat er seinen Ost-West-Durchbruch selbst organisiert.
Wer über den Wandel in der deutschen Kunst reden will, sollte anerkennen, dass er nicht erst mit dem Fall der Mauer in Gang gekommen, sondern durch freiwilliges und erzwungenes Exil bereits eine jahrzehntelange Tatsache ist.
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