Im vordigitalen Zeitalter waren Leserbriefe für Journalisten etwas Besonderes und Schönes, der Austausch mit der eigenen Leserschaft interessant und spannend – daran hat sich tendenziell bis heute nichts geändert. Problematisch ist nur das Niveau: Verleumdungen, Beleidigungen und Morddrohungen richten sich in zunehmendem Maße an die Verfasser der Texte selbst. Prominente Beispiele aus der Riege der Adressatinnen in letzter Zeit: Dunja Hayali, Anja Reschke und Mithu Sanyal.
Die Menge herabwürdigender Kommentare, die täglich in Tastaturen gehackt werden, ist inzwischen schier unüberschaubar, der Ausschuss digitalen Hasses nimmt stetig zu. Insbesondere bei den Themen Geflüchtete und Migration, AfD, Politik, Islam, Straftaten und sexualisierte Gewalt, den sogenannten „Hot Topics“, kochen die Gemüter schnell hoch. Selbst in der offen gestalteten Community des Freitags kommt es immer wieder auch zu Beleidigungen und Anfeindungen.
Zweifelsohne befeuert Kritik die Debatten, aber wenn aus Meinungen Beleidigungen werden und der Diskussionsgegenstand vom eigentlichen Inhalt zu persönlichen und niveaulosen Attacken gegen den publizierenden Journalisten abdriftet, ist eine Grenze überschritten.
Was sich bisher nur als grobes Gefühl ausmachen ließ, belegt nun eine aktuelle Studie des Mediendiensts Integration, die in Kooperation mit dem Institut für Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld erstellt wurde. Die Leitfrage: Wie nehmen Journalistinnen und Journalisten Hassbotschaften wahr?
„Hate Speech“ wird darin als „sprachlicher Ausdruck von Hass und Herabsetzung und Verunglimpfung von Bevölkerungsgruppen“ definiert, also Hass aufgrund einer Gruppenzugehörigkeit. Im deutschen Strafrecht regelt dies §130 StGB mit dem Straftatbestand der Volksverhetzung. Das Strafgesetzbuch orientiert sich hierbei an der Herabsetzung aufgrund von Merkmalen wie der Nationalität oder kulturellen Herkunft.
Die Wahrnehmung unter den Befragten ist ziemlich eindeutig: Etwa 67% der befragten Journalistinnen und Journalisten gaben an, dass hasserfüllte Reaktionen auf Beiträge 2016 generell zugenommen haben – bei knapp einem Viertel der Befragten auch bei den eigenen Erzeugnissen. Ferner fühlten sich 42% der befragten Journalisten Angriffen – also etwa verbalen Beleidigungen, Anfeindungen und Aufrufen zur Gewalt und/oder Straftaten – ausgesetzt, 22% bereits mehrmals, 4% gar regelmäßig.
Dabei sieht der Großteil der Journalisten den Hauptgrund für Anfeindungen nicht etwa in ihrer Gruppenzugehörigkeit – beispielsweise Geschlecht, Alter, Migrationshintergrund oder politischer Einstellung. Vielmehr sei es die schlichte Ausübung des journalistischen Berufs, die zu Angriffen führe (85%). Auch die – augenscheinlich unliebsamen – Beitragsinhalte sehen viele Befragte als Begründung für den Hass (77%).
Die größte Gefahr herrsche bei Außenreportagen, Demonstrationen und Interviews: Etwa 40% der Befragten waren spätestens dann regelmäßigen Angriffen ausgesetzt. In der Gefahr für die eigene körperliche Unversehrtheit sehen viele eine Beschneidung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Pressefreiheit. Die unabhängige Berichterstattung sei nicht mehr gewährleistet. „Insbesondere belasten mich körperliche Angriffe bei öffentlichen Veranstaltungen und Demonstrationen! Diese Ereignisse verfolgen mich gelegentlich auch im Schlaf“, zitiert die anonyme Studie einen Journalisten.
Besonders problematisch ist, dass die beruflichen Probleme mit nach Haues genommen werden. Knapp ein Drittel der mehrmals bis regelmäßig Betroffenen gab an, den entgegenschlagenden Hass nicht im Büro lassen zu können, was zu negativen Auswirkungen im Privatleben führe. Dies gilt im Übrigen auch für Journalisten, die bisher noch nicht im Fokus von Hasskommentatoren gestanden haben und nur durch indirekte Übergriffe eine Belastung im Alltag verspüren. Wer publiziert, muss permanent damit rechnen, auch persönlich angegriffen zu werden. Wenn man bedenkt, dass Journalisten keine homogene Gruppe darstellen und unterschiedlich mit diesem Klima der Angst umzugehen wissen, ist dies eine beunruhigende Entwicklung.
So fordert der Umgang mit hasserfüllten Kommentaren neue Strategien und Maßnahmen, wie der öffentliche Umgang mit dem Thema zeigt, die strafrechtliche Verfolgung wird zum Großteil befürwortet. Zwar wird „Hate Speech“ nur in knapp der Hälfte der Redaktionen thematisiert, einen Rückhalt finden die Opfer von regelmäßigen Attacken jedoch oft im Kollegenkreis, in dem offen über Vorfälle gesprochen und sich gegenseitig der Rücken gestärkt wird.
Wenn sich der Angriff nur online abspielt, ist der häufigste Umgang mit den Hassreden der direkte mit den Kommentaren – beispielsweise die Deaktivierung von Kommentarfunktionen, das Blockieren von Personen sowie das Löschen von hasserfüllten und aggressiven Beiträgen (80%).
Reaktionäre Lösungsvorschläge gibt es viele, beispielhaft die geforderte Solidarität der Medienschaffenden untereinander, der Ruf nach mehr Schutz und Kontrolle in Richtung der Polizei- und Sicherheitsbehörden – insbesondere bei Demonstrationen – oder eben das Löschen von Beiträgen. Der Ursprung der Problematik liegt jedoch in den Kommentaren und ihren Verfassern selbst.
Kritische Meinungen und Debatten sind wichtig und helfen ungemein, das Meinungsbild zu erweitern – der vollkommene Verlust von Anerkennung und Respekt gegenüber Journalisten jedoch nicht. Und selbst wenn die politische Meinung einer Redaktion nicht der eigenen entspricht, ist sie im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit dennoch unabdingbar. Das gleiche gilt im Gegensatz auch für kritische Meinungen in Kommentarspalten und sozialen Medien. Wer immer wieder politisch motivierte Berichterstattung zurückweist, verkennt, dass es einen redaktionellen moralischen und politischen Kompass braucht, um überhaupt Teil des öffentlichen Diskurses zu werden.
Nicht das einzelne Medium bestimmt die Nachrichten – erst durch die Bandbreite an Medien bildet sich ein Meinungsspektrum. Die freie Berichterstattung ist ein demokratischer Grundpfeiler, der durch gezielte hasserfüllte Kommentare angesägt wird, umknicken wird er dadurch jedoch nicht. Was den Journalisten letztendlich bleibt, sind die Konditionierung ihres Umgangs mit Hassbotschaften und der längst überfällige gesellschaftliche Aufruf zur Räson.
Kommentare 11
Hate Speech ist geistige Armut an fehlender inspirierender Phantasie für ein anderes Denken und mit einer der Ursachen für ein erstarken der rechtspopulistischen Härte, da Phantasien mit Traditionen ersetzt werden sollen. Doch das nicht annehmen von Veränderungen der Umstände durch unsere Gegenwart die wir erleben und selbst so gestaltet haben, bewirkt durch gelebte ignorante, bzw. indifferente Haltung eine erzeugte vorsätzliche Enge in unserem Denken und dem verhalten an Bewegungsmustern im Alltag, in der kindliche spielerische Inspirationen und Phantasien für Alternativen dann nicht mehr möglich sind, diese in gedanklicher Erscheinung treten zu lassen. Diese nicht vorhersehbaren geistigen Bewegungen will man nicht, da Sie Sprachverhalten (sogar Einkaufsverhalten) verändert. So entsteht eine geistige Armut in diesem Land und ist der Grundstock für geförderte Ungleichheiten in der Gesellschaft, die man dann als Tradition, als was sich bewährt hat in der Vergangenheit, ist auch für die Zukunft gut und somit als die Maxime in der gegenwärtigen "Leitkultur" verkauft wird. Ein Virus der alle Gesellschaftsschichten gleichermaßen befällt und seine Wirkung zeigt. Beispiel: America first. Das hatten wir auch schon 1933 hier bei uns. Und Zäune und Mauern in unseren Köpfen, werden zur Zeit überall gebaut, sogar mit unserer Unterstützung.
Situation und Empfindungen der Journalisten, wie hier beschrieben, sind ernst zu nehmen und zu respektieren. Strafbare Angriffe, egal ob verbal oder gar tätlich, müssen geahndet werden. Und wenn nur ein Drittel der Redaktionen angegriffenen Journalisten zur Seite steht, ist das ein Missstand, der auf einer Linie liegt mit der zunehmenden Prekarisierung der Journalisten.
Es scheint aber etwas neben der Sache, wenn die gute alte Zeit der nach Belieben in den Papierkorb werfbaren Leserbriefe und der ansonsten Einwegkommunikation zwischen Schreibenden und Publikum beschworen wird. Das Machtgefälle zwischen Medien und Publikum besteht nach wie vor, und mindestens ein Teil der Angriffe und der Wut ist auf Machtausübung und Machtmissbrauch gegenüber dem Publikum durch Meinungsmache und Propaganda zurückzuführen. Die Beschäftigten im Medienbetrieb, ihre Menschenrechte und Arbeitsbedingungen müssen geschützt werden. Und Hass und Beleidigungen oder gar Tätlichkeiten sind nie akzeptabel. Arroganz der Macht, Propaganda und systematische Desinformation sind es aber auch nicht.
Ganz am Rande: Die Behauptung eingangs des Artikels "Hate Speech funktioniert oft nur durch die Anonymität im Internet" ist falsch. Ein grosser Teil selbst der strafbaren Hassattacken in den Netzen werden von Realnamenkonten verbreitet.
Es ist nicht die Anonymität, möglicherweise allerdings schon die Distanz, die elektronische Kommunikation schafft, und in der massive Ausdrucksweise zum Ersatz für Körpersprache, Gestik, Mimik, Ton etc. werden kann. Elektronische Kommunikation eskaliert leichter als eine von Person zu Person.
Leider geht die Studie nicht auf die Veränderung des journalistischen Stils als mögliche Ursache von Hasskommentaren ein. Der moderne deutsche Journalismus ergeht sich in einem selbstgefälligen, intoleranten Schwarz-Weiß-Dualismus, doziert beständig die eine, einzige wahre Ansicht und grenzt bewusst jede abweichende Meinung als nicht gesellschaftskonform aus. Man denke nur an die Dreistigkeit eines Claus Kleber, Andersdenkende mit dem pseudoreligiösen Begriff des Zweiflers (=Ungläubiger, Ketzer, Häretiker) zu belegen. Dieser Stil erzeugt Wut und Wut schlägt schnell in Hass um. Die Arroganz weiter Teile der journalistischen Zunft gegenüber den scheinbar minderbemittelten/minderwertigen Konsumenten ihrer mündlichen und schriftlichen Erzeugnisse trifft nun, dank sozialer Netzwerke, plötzlich auf die reale Möglichkeit des Fußvolks, sich der aufgestauten Wut direkt beim Verursacher zu entledigen. Eigentlich ein schönes Ventil, jedenfalls besser geeignet, als die eigene Familie, die Nachbarn oder andere Verkehrsteilnehmer als solches zu missbrauchen.
Der Drang des modernen deutschen Journalisten, seine Leser/Zuhörer beständig in ein Entweder-Oder-Bekenntnis zu zwingen, folgt damit dem bekannten Prinzip, „wie man in den Wald hineinruft,…“ oder auch Gewalt erzeugt Gegengewalt. Vielleicht ist das nicht schön, vielleicht ist manches übertrieben, vielleicht wird auch zu pauschal geurteilt, aber wie so oft haben beide Seiten ihren Anteil daran.
So sehr ich inhaltlich übereinstimme, muss ich doch bitten, zu differenzieren. Alpha-"Journalisten" wie Kleber mit 6-7stelligem "Einkommen" (oder Bestechungsgeld aus öffentlichen Kassen) sind nicht die Journalisten, um die es geht. Und Leute wie er, Lielieschkies, Attai und andere Mittäter sind auch nicht die, die unter Hassausbrüchen leiden.
Die meisten Journalisten sind fremdbestimmt. Ein typischer Fall ist der der deutsch-moldawischen Journalistin Alisa Bauchina. Von ihren Überzeugungen her eine Berichterstatterin im Mainstream von EU und NATO, mit guten Kenntnissen (und Sprachkenntnissen) ihrer Herkunftsregion und interessanten Reportagen. Als freie Journalistin beging sie den Fehler, auch einen Bericht für Sputniknews oder RT zu verfassen.
Damit verstiess sie gegen die "Ethikrichtlinien" unter anderem der Zeit und anderer Organe des NATO-Mainstreams, sie war erledigt und hatte effektives Berufsverbot, ausser in ein paar Alternativauftritten wie heise.de und Telepolis. Dort wiederum wurde sie - oft unanständig und unsachlich - wegen ihrer NATO- und "westliche Wertegemeinschafts"-Treue in den Kommentaren heftig angefeindet.
Die Journalisten sind da die Verlierer. Den Medienkonzernen mit ihrer Zensur und Meinungsmache ist das egal, wie ihnen Menschen generell egal sind.
"Die Journalisten sind da die Verlierer."
Dann ist wohl Herr Hendrik Zörner, Pressesprecher des Deutschen
Journalistenverbandes, ein Gewinner? Oder spricht er für alle
Journalisten!
"Die Journalisten sind da die Verlierer."
Dann ist wohl Herr Hendrik Zörner, Pressesprecher des Deutschen
Journalistenverbandes, ein Gewinner? Oder spricht er für alle
Journalisten!
und der Diskussionsgegenstand vom eigentlichen Inhalt zum publizierenden Journalisten abdriftet, ist eine Grenze überschritten.
Bei aller Zustimmung zur grundsätzlichen Idee des Beitrags, kann ich das in dieser Absolutheit nicht akzeptieren.
Wer die Oeffentlichkeit falsch informiert hat - und das kommt vor - muss sich gegebenfalls auch eine Kritik mit Namensnennung gefallen lassen, wenigstens wenn der/die Kritisierende auch einen Klarnamen benutzt und die Kritik sachlich bleibt.
Sachlich kann dabei polemisch einschliessen, und zwar bis zu dem Grad von Polemik, in dem der Journalist oder die Journalistin in eben diesem Beitrag selbst gegen andere vorgegangen ist.
Narzisstischen Kränkung
Was viele Medienmitarbeiterinnen und -mitarbeiter nicht ertragen, ist, dass sie ihren privilegierten Status verloren haben.
Lange zählten sie sich zu den Eliten, suggerierten, sie seien die vierte Gewalt und verbreiteten in Wahrheit doch vor allen Dingen ungeniert die Erzählungen von Thinktanks, die für eine Politik der Prekarisierung großer Teile der europäischen und deutschen Bevölkerung notwendig ist, um den Beutezug der (internationalen) Finanzmärkte zu organisieren.
Sie, „die Medien“ begleiteten zudem die Politik, die die größtenteils völkerrechtswidrigen Angriffskriege des supranationalen Angriffsbündnisses mit dem Namen „westliche Wertegemeinschaft“ ermöglichten, mit Chorgesang und indoktrinierten uns mit zielgerichtetem Kampagnen-Journalismus.
Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien mit einer Bilanz all dieser Kriege von mittlerweile 1,5 Millionen Menschenleben sind nun wahrhaftig keine Empfehlung, wenn man den Mund so weit aufreißt, wie die meisten Medien das tun.
Dass dieses Ergebnis das sogenannte Establishment der Clintons, Obamas & Cos. und selbstverständlich auch deren mediale Promoter diskreditiert – auf diese Idee kommen „die Medien“ nicht. Diese Politik hat die Welt gespalten, und „die Medien“ haben dabei kräftig mitgeholfen.
Dumm nur – der eigene Narzissmus lässt eine kritische Selbstreflexion nicht zu, bläst, ganz im Gegenteil, zum Angriff, vergibt Prädikate und Etiketten, mit denen man die Trumps dieser Welt, die Putins, die Erdoğans & Cos. methodisch/didaktisch als Schmutzfinken darstellen möchte.
Indem ich dieses einwende, heißt das nicht, dass ich Hate Speeches entschuldigen will – ganz sicher nicht. Aber die Bevölkerung ist die Verdummdeubelung leid und offensichtlich hoch frustriert – auch ich bin es.
Es sind „die Medien“ selbst, die sich um ihre Reputation gebracht haben. Sie müssen nun nicht weinen, wie die kleinen Kinder, denen man das Spielzeug weggenommen hat.
Auf TELEPOLIS findet man einen interessanten Artikel, in dem aufgezeigt wird, wie SPIEGEL ONLINE mit der narzisstischen Kränkung umgeht: Mit geschlossenen Leserforen.
Und selbstverständlich naht schon Hilfe – von Google natürlich:
» Der Ansatz läuft mehr oder weniger auf das maschinelle Ausfiltern unerwünschter Worte hinaus. Google hat ein entsprechendes Programm schon entwickelt, welches nun angeblich "das Gift aus Kommentarspalten saugen" soll, wie aktuell berichtet wird. Bei der New York Times ist es bereits im Einsatz, auch andere Medien sollen es kostenlos nutzen dürfen. Google testet diese Software namens "Perspective" zur Zeit. Auf der Produkt-Webseite kann jeder Internetnutzer zur Probe eigene Kommentare eingeben und sich deren "Giftigkeit" anzeigen lassen. So hofft man, den Algorithmus noch zu verfeinern.«
Lieber Herr Jeschke,
vielen Dank für Ihren Einwand. Bezüglich der kritisierten Textstelle gebe ich Ihnen Recht und habe sie nun etwas verändert.
Beste Grüße, CK
Ich finde die neue Formulierung gut.