Als die Staatsanwaltschaft Dresden Anfang 2008 ihre Ermittlungen einstellte, gab die Öffentlichkeit sich insgesamt zufrieden: Uff, wieder ein heillos komplexes Knäuel aus Behauptungen und Hinweisen, das man zwecks eigener Urteilsfindung nicht mehr durchdringen musste. Übrig blieben von der Affäre, die in den Zeitungen „Sachsensumpf“ genannt worden war: Verworrene Geschichten um ein Bordell, in dem junge Mädchen zur Prostitution gezwungen wurden, um zwielichtige Immobiliengeschäfte und kriminelle Netzwerke, in denen auch Staatsdiener ihre Hände im Spiel gehabt haben sollen. Womöglich, vermutlich alles Gerüchte.
Doch nun sind in diesem August zwei Leipziger Journalisten zu Geldstrafen verurteilt worden, nachdem sie einen Faden aus dem Knäuel aufgenommen und weiter recherchiert hatten. Plötzlich stellt sich die Frage, ob Sachsen mit seinem Sumpf wirklich schon fertig ist.
Jahrelang hatte der Verfassungsschutz Informationen gesammelt. Riesige Aktenberge über mögliche Verbindungen zwischen Rotlichtmilieu und Staatsapparat im Sachsen der frühen 90er Jahre häuften sich an. Teilweise konnten sie von Politikern, Ermittlern und Journalisten durchforstet werden, doch spalteten die verschiedenen Rechercheergebnisse 2008 die Gemüter, die Presse geriet in Aufruhr: Korruption und Bestechung? Oder bloße Verleumdung? Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) sprach anfänglich von der Notwendigkeit, die organisierte Kriminalität zu zerstören. Alles nur „heiße Luft“, ließ dann der damalige Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) verlauten.
Vor rund drei Jahren bekamen Thomas Datt und Arndt Ginzel einen Auftrag von tagesschau.de, noch einmal nachzuforschen. Aus den Ermittlungsakten erfuhren sie von dem Bordell "Jasmin". 1992 zwang dort ein ehemaliger Boxer in einem Wohnhaus in Leipzig Lindenau junge Mädchen zum Sex mit fremden Männern. Zwischen 13 und 19 Jahren waren die Mädchen gerade alt. Im Januar 1993 wurde das Bordell von der Polizei gestürmt und der Bordellbesitzer zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Viele empfanden das Urteil als zu milde.
Datt und Ginzel machten sich zuallererst auf die Suche nach den Frauen. Nicht alle wollten reden, zu sehr schmerzte die Vergangenheit. „Wir hatten den Eindruck, dass die Mädchen damals durch die Boulevard-Presse gezogen wurden, um als Lolitas dargestellt zu werden“, erinnert sich Arndt Ginzel. „Sie kannten sich auch juristisch nicht aus, bekamen keine Hilfe und waren nicht Nebenkläger“, fügt er hinzu. Heute sind die früheren Zwangsprostituierten nur noch Statistinnen ihrer eigenen Geschichte. Für unglaubwürdig erklärte man sie im Prozessverlauf, einige wurden selbst angeklagt. Zu widersprüchlich seien ihre Aussagen gewesen.
Die beiden Journalisten aber riefen Erinnerungen auf. "Eine Zeugin schilderte uns die Szene vor Gericht, als sie einen Stammkunden auf der Richterbank wiedererkannt haben wollte", erzählt Thomas Datt. Einige der "Jasmin-Mädchen" hätten schon acht Jahre früher mindestens zwei Freier identifiziert haben wollen, was nicht in den Akten dokumentiert worden sei. Ihre Rechercheergebnisse gaben Datt und Ginzel weiter an den Spiegel. Der veröffentlicht im April 2008 einen Text, in dem der besagte Richter als "Freier Ingo" beschrieben wurde. Einige Monate später erschien ihr Text bei Zeit-Online. Darin zeigten sie Widersprüche im Fall „Jasmin“ auf, in dem sie Fragen stellten: Ob Polizisten nicht früher vielleicht schon verdeckt ermittelt hätten, um mögliche Freier zu identifizieren, später aber unter Druck gerieten, weil jener einflussreiche Richter Dienstaufsichtsbeschwerde gegen sie erhob. Das sollte ihnen Ärger einbringen.
Berufungsverfahren im kommenden Jahr
Vor zwei Wochen verurteilte Amtsrichter Hermann Hepp-Schwab Thomas Datt und Arndt Ginzel wegen übler Nachrede an zwei Polizisten. Der Gerichtssaal war am Verhandlungstag bis auf den letzten Platz gefüllt. Ein Großteil der anwesenden Hörer waren Journalistenkollegen. Solidarität schwappte zu den beiden Angeklagten, während der Richter in einer komplizierten Rede die grammatikalischen Fehlleistungen der beiden Schreiber zu erklären versuchte. Die Frage war dem Richter zu sehr Tatsachenbehauptung.
„Du musst vertretbare Anhaltspunkte haben, um weiterführende Fragen zu stellen“, sagt Thomas Datt. „Selbst wenn sich am Ende rausstellt, dass du auf der falschen Fährte warst.“ Die beiden Polizisten fühlten sich gar nicht selbst in ihrer Ehre angegriffen – ihr Vorgesetzter war es, der stellvertretend Strafanzeige gestellt hatte, statt, wie sonst üblich, zunächst etwa eine Gegendarstellung zu erwirken. Jeweils 2.500 Euro sollen Datt und Ginzel nun zahlen.
Bis heute sind der Zeit-Online- und der Spiegel-Artikel allerdings im Internet zu finden. Verbände und Politiker sind hellhörig geworden. „Wenn das Urteil Bestand hat, müssten Journalisten künftig ihre Quellen offenlegen, um sich zu entlasten. Das halte ich für die Pressefreiheit für eine sehr bedenkliche Entwicklung“, sagt Johannes Lichdi, Landtagsabgeordneter der Grünen. Lichdi ist auch Mitglied des Untersuchungsausschusses des Landtags, der die Akten derzeit aufs Neue prüft. Lichdi spricht nicht von „Sachsensumpf“: Dieser Begriff suggeriere fälschlich, dass im ganzen Freistaat korrupte Netzwerke herrschten.
Möglicherweise aber befördert der Untersuchungsausschuss Neuigkeiten darüber zu Tage, was wahr ist an den schweren Vorwürfen. Der Prozess gegen die beiden Journalisten ist dabei nicht förderlich, vielmehr schadet er dem Ruf des Freistaats, weil er offensichtlich von der eigentlichen Aufklärungsarbeit ablenkt. Jederzeit könnte der Strafbefehl gegen Thomas Datt und Arndt Ginzel zurückgezogen werden. Vorerst aber ist die Staatsanwaltschaft Dresden in Berufung gegangen: Ihr ist das Urteil noch zu milde. Anfang kommenden Jahres soll alles neu verhandelt werden.
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