Körper, die Geschichte machten

Ausstellung "Wir gegen uns. Sport im geteilten Deutschland" im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig. Sport ist darin Spielball der Politik, solange nur die Mauer steht

Der Abend vor dem Finale der Weltmeisterschaft 1978. Die DDR ist bereits aus dem Rennen, um den Sieg spielen BRD und UdSSR. Obwohl jede Unterredung mit dem Klassenfeind tabu ist, schleicht sich der Handballer Wolfgang Böhme mit ein paar Bierbüchsen rüber zu den Westkollegen. Ihnen erklärt er an diesem Abend die Taktik der Sowjetunion. Am nächsten Tag wird die BRD Weltmeister. Als die DDR zwei Jahre später olympisches Gold holt, ist Böhme nicht mehr dabei. „Aus disziplinarischen Gründen“ wurde der Kapitän ausdelegiert, seine sportliche Karriere war am Ende. Den Triumph seiner Mannschaft in Moskau verfolgte er vor dem Fernseher.

Böhmes Geschichte ist nur eine von vielen, in denen persönliche Träume an sozialistischen Realitäten scheiterten. Radsportprofi Wolfgang Lötzsch wurde nur wenige Wochen vor den Olympischen Spielen in München 1972 wegen politischen Fehlverhaltens ausgeschlossen; sein großes Talent verkümmerte im Breitensport.

Obwohl einige dieser Biografien nach 1989 schon erzählt wurden – über Lötzsch gibt es sogar einen Film (Freitag vom 11. Juli 2008) –, bilden sie einen Teil jener deutsch-deutschen Sportgeschichte, die in der Ausstellung Wir gegen uns. Sport im geteilten Deutschland im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig zu sehen ist. Die umfangreiche Sammlung, zu der das Renn­rad von Täve Schur, die Fahne der gesamtdeutschen Olympiamannschaft und Aufnahmen sportlicher Schlüsselmomente zählen, spiegelt neben der Geschichte der Sieger, vor allem die der Besiegten wider, der Opfer von Doping und politischem Kalkül.

Erzählt wird linear und überblicksartig. Beginnend in den 1950er Jahren, als Turn- und Sportfeste in Leipzig gefeiert wurden und im Westen Nazitreue zu Sportfunktionären mutierten. Zu den Olympischen Spielen 1956 tritt noch eine gesamtdeutsche Mannschaft an, aber die beiden Staaten entzweien sich. Das „Sportwunderland“ DDR rüstet auf: gezieltes Training, Sportschulen und höchste Disziplin zeitigten bald Erfolge. Trotz harscher Kritik an den disziplinarischen Methoden zieht die Bundesrepublik nach. „Jugend trainiert für Olympia“ wird letztlich als Folge des DDR-Trainings betrachtet und auch vor Doping macht die BRD nicht Halt.

In ständiger Abhängigkeit und misstrauischer Beäugung verfeinern beide Staaten den sportlichen Wettkampf zur Stärkung des Selbstbilds. Sie verbindet die Jagd nach Goldmedaillen. Dieser Tunnelblick verhindert oft die Sicht aufs Wesentliche. Als die westdeutsche Nationalmannschaft 1978 zur Fußball-Weltmeisterschaft nach Argentinien fährt, gibt es wenig Skrupel gegenüber dem dortigen Militärregimes. „Argentinien ist ein Land, in dem Ordnung herrscht. Ich habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen“, sagt Berti Vogts in einem Interview.

Die 40 Jahre deutsch-deutscher Geschichte scheinen exemplarisch für die politische Instrumentalisierung körperlicher Höchstleistungen. Dass sich daran bis heute kaum etwas geändert hat, wird in der Schau nur angerissen. Wir gegen uns bleibt diplomatisch, wo es um Machenschaften der Entscheidungsträger in der gesamtdeutschen Gegenwart geht. Tröstlicher sind die Geschichten von Wolfgang Böhme, der sich bei seinen Gegnern durch menschliche Größe allemal Respekt verschafft.

Wir gegen uns. Sport im geteilten Deutschland Zeitgeschichtliches Forum Leipzig, bis 5. 4. 2010, Begleitpublikation 19,90

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